"Nun sehe ich, Clärchen/ auf wen du ein "Auge wirfst. Herr Solmes ist nur in Ver- "gleichung gegen einen andern unangenehm, weil "er nicht so viel angenehmes hat als ein anderer, "der dir besser in die Augen fällt."
Aber, erwiederte ich, "sind nicht seine Sit- "ten eben so unangenehm? Jst nicht seine äussere "Gestalt eine wahre Abbildung seines Gemüths? "Jch frage nach dem andern Mann gar nichts, "und will nichts nach ihm fragen. Erlösen sie "mich nur von diesem, vor dem mein Hertz einen "naturlichen Abscheu hat."
"Unterstehe dich nur, deinem Vater solche "Bedingungen vorzuschreiben! Glaubst du, "daß es ihm wird erträglich seyn, sich mit dir "in einen solchen Wortwechsel einzulassen? Habe "ich dich nicht beschworen, gehorsam zu seyn, "so lieb es dir ist, daß ich noch eine ruhige Stunde "habe? Was habe ich in der Welt, daß ich "nicht aufopfere? Selbst die Arbeit die ich jetzt "übernehme, weil ich besorgte du möchtest dich "nicht so leicht bewegen lassen, ist mir wahrhaftig "eine schwere Arbeit. Wilst du denn gar nichts "aufopfern? Hast du nicht alle Partheyen aus- "geschlagen, die dir angetragen sind? Wenn wir "keinen Argwohn haben sollen, daß du dabey ei- "ne geheime Absicht gehabt hast, so bequeme dich "jetzt. Denn gehorchen must du, oder du wirst "dafür angesehen werden, als wolltest du der "gantzen Famile trotzen."
Als sie dis gesagt hatte, stand sie auf, und
ging
Die Geſchichte
„Nun ſehe ich, Claͤrchen/ auf wen du ein „Auge wirfſt. Herr Solmes iſt nur in Ver- „gleichung gegen einen andern unangenehm, weil „er nicht ſo viel angenehmes hat als ein anderer, „der dir beſſer in die Augen faͤllt.„
Aber, erwiederte ich, „ſind nicht ſeine Sit- „ten eben ſo unangenehm? Jſt nicht ſeine aͤuſſere „Geſtalt eine wahre Abbildung ſeines Gemuͤths? „Jch frage nach dem andern Mann gar nichts, „und will nichts nach ihm fragen. Erloͤſen ſie „mich nur von dieſem, vor dem mein Hertz einen „naturlichen Abſcheu hat.„
„Unterſtehe dich nur, deinem Vater ſolche „Bedingungen vorzuſchreiben! Glaubſt du, „daß es ihm wird ertraͤglich ſeyn, ſich mit dir „in einen ſolchen Wortwechſel einzulaſſen? Habe „ich dich nicht beſchworen, gehorſam zu ſeyn, „ſo lieb es dir iſt, daß ich noch eine ruhige Stunde „habe? Was habe ich in der Welt, daß ich „nicht aufopfere? Selbſt die Arbeit die ich jetzt „uͤbernehme, weil ich beſorgte du moͤchteſt dich „nicht ſo leicht bewegen laſſen, iſt mir wahrhaftig „eine ſchwere Arbeit. Wilſt du denn gar nichts „aufopfern? Haſt du nicht alle Partheyen aus- „geſchlagen, die dir angetragen ſind? Wenn wir „keinen Argwohn haben ſollen, daß du dabey ei- „ne geheime Abſicht gehabt haſt, ſo bequeme dich „jetzt. Denn gehorchen muſt du, oder du wirſt „dafuͤr angeſehen werden, als wollteſt du der „gantzen Famile trotzen.„
Als ſie dis geſagt hatte, ſtand ſie auf, und
ging
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Die Geſchichte
„Nun ſehe ich, Claͤrchen/ auf wen du ein
„Auge wirfſt. Herr Solmes iſt nur in Ver-
„gleichung gegen einen andern unangenehm, weil
„er nicht ſo viel angenehmes hat als ein anderer,
„der dir beſſer in die Augen faͤllt.„
Aber, erwiederte ich, „ſind nicht ſeine Sit-
„ten eben ſo unangenehm? Jſt nicht ſeine aͤuſſere
„Geſtalt eine wahre Abbildung ſeines Gemuͤths?
„Jch frage nach dem andern Mann gar nichts,
„und will nichts nach ihm fragen. Erloͤſen ſie
„mich nur von dieſem, vor dem mein Hertz einen
„naturlichen Abſcheu hat.„
„Unterſtehe dich nur, deinem Vater ſolche
„Bedingungen vorzuſchreiben! Glaubſt du,
„daß es ihm wird ertraͤglich ſeyn, ſich mit dir
„in einen ſolchen Wortwechſel einzulaſſen? Habe
„ich dich nicht beſchworen, gehorſam zu ſeyn,
„ſo lieb es dir iſt, daß ich noch eine ruhige Stunde
„habe? Was habe ich in der Welt, daß ich
„nicht aufopfere? Selbſt die Arbeit die ich jetzt
„uͤbernehme, weil ich beſorgte du moͤchteſt dich
„nicht ſo leicht bewegen laſſen, iſt mir wahrhaftig
„eine ſchwere Arbeit. Wilſt du denn gar nichts
„aufopfern? Haſt du nicht alle Partheyen aus-
„geſchlagen, die dir angetragen ſind? Wenn wir
„keinen Argwohn haben ſollen, daß du dabey ei-
„ne geheime Abſicht gehabt haſt, ſo bequeme dich
„jetzt. Denn gehorchen muſt du, oder du wirſt
„dafuͤr angeſehen werden, als wollteſt du der
„gantzen Famile trotzen.„
Als ſie dis geſagt hatte, ſtand ſie auf, und
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/186>, abgerufen am 23.11.2024.
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