terredung mit meiner Mutter, als ich sie vorhin gewünscht hatte. Jch ging aber dennoch hin- unter: und meine Furcht machte, daß ich mit Zittern zu ihr trat, und sie sehen konnte, wie mir das Hertz schlug.
Sie sahe, daß ich voller Furcht wäre, und öffnete mir ihre liebreichen Armen mit denen sie mich umfing. Komm mein Kind/ sagte sie, und küsse mich. Warum zittert mein Klei- nod so? Diese Gütigkeit, damit sie mich auf das zubereitete, was sie unangenehmes zu sagen hatte, und die Freundlichkeit, die ich kurtz vorhin von ihr genossen hatte, benahmen mir meine Furcht einiger massen: Sie sahe wol, daß sie die bittere Pille versilbern müste.
Jch konnte nichts weiter zu ihr sagen, als: o meine Mutter! Jch schlug meine Arme um ihren Hals, und ließ mein Gesicht in ihren Busen sincken. Sie sprach: mein Kind/ mein Kind/ du kanst gar zu beweglich thun. Brauche dich jetzt deines Vermögens nicht, sonst wer- de ich mich mich nicht wagen dürfen, bey dir allein zu bleiben. Wir weinten beyde: Jhre Thrä- nen fielen auf meinen Hals, und meine in ihren Bu- sen. O müssen alle diese gütige Worte, davon ihre Lippen überflossen, vergeblich ausgesprochen seyn! Hebe doch dein liebes Gesicht auf: sagte sie noch weiter: mein bestes Kind! meine eigene Tochter! meine Clärchen Harlowe! meine allerliebste Tochter! hebe doch das Gesicht auf/ das ich stets so sehr geliebet habe.
Was
der Clariſſa.
terredung mit meiner Mutter, als ich ſie vorhin gewuͤnſcht hatte. Jch ging aber dennoch hin- unter: und meine Furcht machte, daß ich mit Zittern zu ihr trat, und ſie ſehen konnte, wie mir das Hertz ſchlug.
Sie ſahe, daß ich voller Furcht waͤre, und oͤffnete mir ihre liebreichen Armen mit denen ſie mich umfing. Komm mein Kind/ ſagte ſie, und kuͤſſe mich. Warum zittert mein Klei- nod ſo? Dieſe Guͤtigkeit, damit ſie mich auf das zubereitete, was ſie unangenehmes zu ſagen hatte, und die Freundlichkeit, die ich kurtz vorhin von ihr genoſſen hatte, benahmen mir meine Furcht einiger maſſen: Sie ſahe wol, daß ſie die bittere Pille verſilbern muͤſte.
Jch konnte nichts weiter zu ihr ſagen, als: o meine Mutter! Jch ſchlug meine Arme um ihren Hals, und ließ mein Geſicht in ihren Buſen ſincken. Sie ſpꝛach: mein Kind/ mein Kind/ du kanſt gar zu beweglich thun. Brauche dich jetzt deines Veꝛmoͤgens nicht, ſonſt wer- de ich mich mich nicht wagen duͤrfen, bey diꝛ allein zu bleiben. Wir weinten beyde: Jhre Thraͤ- nen fielen auf meinen Hals, und meine in ihren Bu- ſen. O muͤſſen alle dieſe guͤtige Worte, davon ihre Lippen uͤberfloſſen, vergeblich ausgeſprochen ſeyn! Hebe doch dein liebes Geſicht auf: ſagte ſie noch weiter: mein beſtes Kind! meine eigene Tochter! meine Claͤrchen Harlowe! meine allerliebſte Tochter! hebe doch das Geſicht auf/ das ich ſtets ſo ſehr geliebet habe.
Was
<TEI><text><body><divn="2"><p><pbfacs="#f0177"n="157"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa.</hi></hi></fw><lb/>
terredung mit meiner Mutter, als ich ſie vorhin<lb/>
gewuͤnſcht hatte. Jch ging aber dennoch hin-<lb/>
unter: und meine Furcht machte, daß ich mit<lb/>
Zittern zu ihr trat, und ſie ſehen konnte, wie<lb/>
mir das Hertz ſchlug.</p><lb/><p>Sie ſahe, daß ich voller Furcht waͤre, und<lb/>
oͤffnete mir ihre liebreichen Armen mit denen ſie<lb/>
mich umfing. <hirendition="#fr">Komm mein Kind/</hi>ſagte ſie,<lb/><hirendition="#fr">und kuͤſſe mich. Warum zittert mein Klei-<lb/>
nod ſo?</hi> Dieſe Guͤtigkeit, damit ſie mich auf<lb/>
das zubereitete, was ſie unangenehmes zu ſagen<lb/>
hatte, und die Freundlichkeit, die ich kurtz vorhin<lb/>
von ihr genoſſen hatte, benahmen mir meine<lb/>
Furcht einiger maſſen: Sie ſahe wol, daß ſie<lb/>
die bittere Pille verſilbern muͤſte.</p><lb/><p>Jch konnte nichts weiter zu ihr ſagen, als:<lb/><hirendition="#fr">o meine Mutter!</hi> Jch ſchlug meine Arme um<lb/>
ihren Hals, und ließ mein Geſicht in ihren Buſen<lb/>ſincken. Sie ſpꝛach: <hirendition="#fr">mein Kind/ mein Kind/<lb/>
du kanſt gar zu beweglich thun. Brauche<lb/>
dich jetzt deines Veꝛmoͤgens nicht, ſonſt wer-<lb/>
de ich mich mich nicht wagen duͤrfen, bey diꝛ<lb/>
allein zu bleiben.</hi> Wir weinten beyde: Jhre Thraͤ-<lb/>
nen fielen auf meinen Hals, und meine in ihren Bu-<lb/>ſen. O muͤſſen alle dieſe guͤtige Worte, davon ihre<lb/>
Lippen uͤberfloſſen, vergeblich ausgeſprochen ſeyn!<lb/>
H<hirendition="#fr">ebe doch dein liebes Geſicht auf:</hi>ſagte ſie<lb/>
noch weiter: <hirendition="#fr">mein beſtes Kind! meine eigene<lb/>
Tochter! meine Claͤrchen</hi> H<hirendition="#fr">arlowe! meine<lb/>
allerliebſte Tochter! hebe doch das Geſicht<lb/>
auf/ das ich ſtets ſo ſehr geliebet habe.</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Was</hi></fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[157/0177]
der Clariſſa.
terredung mit meiner Mutter, als ich ſie vorhin
gewuͤnſcht hatte. Jch ging aber dennoch hin-
unter: und meine Furcht machte, daß ich mit
Zittern zu ihr trat, und ſie ſehen konnte, wie
mir das Hertz ſchlug.
Sie ſahe, daß ich voller Furcht waͤre, und
oͤffnete mir ihre liebreichen Armen mit denen ſie
mich umfing. Komm mein Kind/ ſagte ſie,
und kuͤſſe mich. Warum zittert mein Klei-
nod ſo? Dieſe Guͤtigkeit, damit ſie mich auf
das zubereitete, was ſie unangenehmes zu ſagen
hatte, und die Freundlichkeit, die ich kurtz vorhin
von ihr genoſſen hatte, benahmen mir meine
Furcht einiger maſſen: Sie ſahe wol, daß ſie
die bittere Pille verſilbern muͤſte.
Jch konnte nichts weiter zu ihr ſagen, als:
o meine Mutter! Jch ſchlug meine Arme um
ihren Hals, und ließ mein Geſicht in ihren Buſen
ſincken. Sie ſpꝛach: mein Kind/ mein Kind/
du kanſt gar zu beweglich thun. Brauche
dich jetzt deines Veꝛmoͤgens nicht, ſonſt wer-
de ich mich mich nicht wagen duͤrfen, bey diꝛ
allein zu bleiben. Wir weinten beyde: Jhre Thraͤ-
nen fielen auf meinen Hals, und meine in ihren Bu-
ſen. O muͤſſen alle dieſe guͤtige Worte, davon ihre
Lippen uͤberfloſſen, vergeblich ausgeſprochen ſeyn!
Hebe doch dein liebes Geſicht auf: ſagte ſie
noch weiter: mein beſtes Kind! meine eigene
Tochter! meine Claͤrchen Harlowe! meine
allerliebſte Tochter! hebe doch das Geſicht
auf/ das ich ſtets ſo ſehr geliebet habe.
Was
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/177>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.