denn die Auctorität und Rechte der Eltern halte ich allerdings für heilig. Nur sollten El- tern nichts ohne vernünfftige Ursache befehlen.
Verwundern Sie sich nicht, daß Jhre Schwe- ster bey dieser Gelegenheit vergißt, daß sie eine Schwester sey. Jch weiß noch einen Umstand, wenn man den und Jhres unbändigen Bruders Absichten und Bewegungs-Gründe zusammen nimmt, so kan einem ihre Hefftigkeit nicht mehr unbegreiflich seyn. Sie selbst haben mir gemel- det, daß die Artigkeit, die Herr Lovelace in sei- ner Bildung und Aufführung besitzt, zu Anfang das Auge Jhrer Schwester sehr gerührt habe, ob sie gleich jetzt vorgiebt, daß sie ihn verachte, und von ihm auf das äusserste verachtet wird. Jch weiß aber, daß die Liebe gegen ihn noch in ihrem Hertzen ist, und daß sie ihm den Vorzug vor allen seines Geschlechts giebt. Arabella hat einen un- erhörten Hochmuth, und sehr viel Niederträchtig- keit bey ihrem Hochmuth. Aus Liebe sind ihre verdrießlichen Tage, ihre schlaflosen Nächte, und ihre Rache gegen ihre liebe Elisabeth Bar- nes entstanden. Sich einem Cammer-Mädchen anzuvertrauen! Jst das nicht Unverstand! Allein wie grosse Seelen ihres gleichen suchen, so pflegen auch kleine Geister ihres gleichen zu suchen und zu finden. Sie hat in grossem Vertrauen ihre Nei- gung gegen Herrn Lovelace dem Cammer-Kätz- gen anvertrauet: das Geheimniß hat die Runde unter dem Frauenzimmer gemacht, wie es Herr Lovelace nennt, wenn er sich bey gleichen
Ge-
Erster Theil. K
der Clariſſa.
denn die Auctoritaͤt und Rechte der Eltern halte ich allerdings fuͤr heilig. Nur ſollten El- tern nichts ohne vernuͤnfftige Urſache befehlen.
Verwundern Sie ſich nicht, daß Jhre Schwe- ſter bey dieſer Gelegenheit vergißt, daß ſie eine Schweſter ſey. Jch weiß noch einen Umſtand, wenn man den und Jhres unbaͤndigen Bruders Abſichten und Bewegungs-Gruͤnde zuſammen nimmt, ſo kan einem ihre Hefftigkeit nicht mehr unbegreiflich ſeyn. Sie ſelbſt haben mir gemel- det, daß die Artigkeit, die Herr Lovelace in ſei- ner Bildung und Auffuͤhrung beſitzt, zu Anfang das Auge Jhrer Schweſter ſehr geruͤhrt habe, ob ſie gleich jetzt vorgiebt, daß ſie ihn verachte, und von ihm auf das aͤuſſerſte verachtet wird. Jch weiß aber, daß die Liebe gegen ihn noch in ihrem Hertzen iſt, und daß ſie ihm den Vorzug vor allen ſeines Geſchlechts giebt. Arabella hat einen un- erhoͤrten Hochmuth, und ſehr viel Niedertraͤchtig- keit bey ihrem Hochmuth. Aus Liebe ſind ihre verdrießlichen Tage, ihre ſchlafloſen Naͤchte, und ihre Rache gegen ihre liebe Eliſabeth Bar- nes entſtanden. Sich einem Cammer-Maͤdchen anzuvertrauen! Jſt das nicht Unverſtand! Allein wie groſſe Seelen ihres gleichen ſuchen, ſo pflegen auch kleine Geiſter ihres gleichen zu ſuchen und zu finden. Sie hat in groſſem Vertrauen ihre Nei- gung gegen Herrn Lovelace dem Cammer-Kaͤtz- gen anvertrauet: das Geheimniß hat die Runde unter dem Frauenzimmer gemacht, wie es Herr Lovelace nennt, wenn er ſich bey gleichen
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Erſter Theil. K
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der Clariſſa.
denn die Auctoritaͤt und Rechte der Eltern
halte ich allerdings fuͤr heilig. Nur ſollten El-
tern nichts ohne vernuͤnfftige Urſache befehlen.
Verwundern Sie ſich nicht, daß Jhre Schwe-
ſter bey dieſer Gelegenheit vergißt, daß ſie eine
Schweſter ſey. Jch weiß noch einen Umſtand,
wenn man den und Jhres unbaͤndigen Bruders
Abſichten und Bewegungs-Gruͤnde zuſammen
nimmt, ſo kan einem ihre Hefftigkeit nicht mehr
unbegreiflich ſeyn. Sie ſelbſt haben mir gemel-
det, daß die Artigkeit, die Herr Lovelace in ſei-
ner Bildung und Auffuͤhrung beſitzt, zu Anfang
das Auge Jhrer Schweſter ſehr geruͤhrt habe, ob
ſie gleich jetzt vorgiebt, daß ſie ihn verachte, und
von ihm auf das aͤuſſerſte verachtet wird. Jch
weiß aber, daß die Liebe gegen ihn noch in ihrem
Hertzen iſt, und daß ſie ihm den Vorzug vor allen
ſeines Geſchlechts giebt. Arabella hat einen un-
erhoͤrten Hochmuth, und ſehr viel Niedertraͤchtig-
keit bey ihrem Hochmuth. Aus Liebe ſind ihre
verdrießlichen Tage, ihre ſchlafloſen Naͤchte,
und ihre Rache gegen ihre liebe Eliſabeth Bar-
nes entſtanden. Sich einem Cammer-Maͤdchen
anzuvertrauen! Jſt das nicht Unverſtand! Allein
wie groſſe Seelen ihres gleichen ſuchen, ſo pflegen
auch kleine Geiſter ihres gleichen zu ſuchen und zu
finden. Sie hat in groſſem Vertrauen ihre Nei-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/165>, abgerufen am 23.11.2024.
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