hinter einander her sind, und allerhand Cabalen machen, nachdem unsre kleine Familie nicht ein- mal von diesem Uebel frey ist, da doch nur drey unter uns mit einander streitende Absichten ha- ben können, und die eine unter diesen dreyen über niederträchtige und eigennützige Absichten hinweg zu seyn hoffet.
Mich kränckt nichts so sehr, als daß meiner Mutter Gemüth bey diesen Umständen ungemein viel wird leiden müssen. Wie kan doch ein Mann, und noch dazu ein Mann von gutem Ge- müth (aber ach der Name eines Mannes schließt allzuviel Rechte und Vorzüge in sich ein!) wie kan er sage ich so eigensinnig und bey allen Vor- stellungen so unüberwindlich gegen eine Person seyn, durch welche doch so viel Mittel an unser Haus gekommen sind, deren Werth die meinigen so hoch schätzen, und eben deshalb schuldig wä- ren, meine Mutter desto höher zu schätzen?
Jch kan nicht schlechterdings leugnen, daß die meinigen meine Mutter hochschätzen: allein sie hat diese Hochachtung blos durch Nachgeben erkaufen müssen, da sie doch so viel eigene Vorzüge besitzt, die von selbst Hochachtung verdienen, und so viel Verstand und Klugheit hat, daß man billig ihren Einsichten folgen, und andre ihr, nicht aber sie andern nachgeben sollte.
Aber wie schweift meine Feder aus? Soll ich verkehrtes Mädchen mich unterstehen, von meinen Anverwandten, denen ich Ehrfurcht schuldig bin, und gegen die ich Ehrfurcht habe, so frey zu schrei-
ben?
J 5
der Clariſſa.
hinter einander her ſind, und allerhand Cabalen machen, nachdem unſre kleine Familie nicht ein- mal von dieſem Uebel frey iſt, da doch nur drey unter uns mit einander ſtreitende Abſichten ha- ben koͤnnen, und die eine unter dieſen dreyen uͤber niedertraͤchtige und eigennuͤtzige Abſichten hinweg zu ſeyn hoffet.
Mich kraͤnckt nichts ſo ſehr, als daß meiner Mutter Gemuͤth bey dieſen Umſtaͤnden ungemein viel wird leiden muͤſſen. Wie kan doch ein Mann, und noch dazu ein Mann von gutem Ge- muͤth (aber ach der Name eines Mannes ſchließt allzuviel Rechte und Vorzuͤge in ſich ein!) wie kan er ſage ich ſo eigenſinnig und bey allen Vor- ſtellungen ſo unuͤberwindlich gegen eine Perſon ſeyn, durch welche doch ſo viel Mittel an unſer Haus gekommen ſind, deren Werth die meinigen ſo hoch ſchaͤtzen, und eben deshalb ſchuldig waͤ- ren, meine Mutter deſto hoͤher zu ſchaͤtzen?
Jch kan nicht ſchlechterdings leugnen, daß die meinigen meine Mutter hochſchaͤtzen: allein ſie hat dieſe Hochachtung blos durch Nachgeben erkaufen muͤſſen, da ſie doch ſo viel eigene Vorzuͤge beſitzt, die von ſelbſt Hochachtung verdienen, und ſo viel Verſtand und Klugheit hat, daß man billig ihren Einſichten folgen, und andre ihr, nicht aber ſie andern nachgeben ſollte.
Aber wie ſchweift meine Feder aus? Soll ich verkehrtes Maͤdchen mich unterſtehen, von meinen Anverwandten, denen ich Ehrfurcht ſchuldig bin, und gegen die ich Ehrfurcht habe, ſo frey zu ſchrei-
ben?
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der Clariſſa.
hinter einander her ſind, und allerhand Cabalen
machen, nachdem unſre kleine Familie nicht ein-
mal von dieſem Uebel frey iſt, da doch nur drey
unter uns mit einander ſtreitende Abſichten ha-
ben koͤnnen, und die eine unter dieſen dreyen
uͤber niedertraͤchtige und eigennuͤtzige Abſichten
hinweg zu ſeyn hoffet.
Mich kraͤnckt nichts ſo ſehr, als daß meiner
Mutter Gemuͤth bey dieſen Umſtaͤnden ungemein
viel wird leiden muͤſſen. Wie kan doch ein
Mann, und noch dazu ein Mann von gutem Ge-
muͤth (aber ach der Name eines Mannes ſchließt
allzuviel Rechte und Vorzuͤge in ſich ein!) wie
kan er ſage ich ſo eigenſinnig und bey allen Vor-
ſtellungen ſo unuͤberwindlich gegen eine Perſon
ſeyn, durch welche doch ſo viel Mittel an unſer
Haus gekommen ſind, deren Werth die meinigen
ſo hoch ſchaͤtzen, und eben deshalb ſchuldig waͤ-
ren, meine Mutter deſto hoͤher zu ſchaͤtzen?
Jch kan nicht ſchlechterdings leugnen, daß die
meinigen meine Mutter hochſchaͤtzen: allein ſie hat
dieſe Hochachtung blos durch Nachgeben erkaufen
muͤſſen, da ſie doch ſo viel eigene Vorzuͤge beſitzt,
die von ſelbſt Hochachtung verdienen, und ſo viel
Verſtand und Klugheit hat, daß man billig ihren
Einſichten folgen, und andre ihr, nicht aber ſie
andern nachgeben ſollte.
Aber wie ſchweift meine Feder aus? Soll ich
verkehrtes Maͤdchen mich unterſtehen, von meinen
Anverwandten, denen ich Ehrfurcht ſchuldig bin,
und gegen die ich Ehrfurcht habe, ſo frey zu ſchrei-
ben?
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/157>, abgerufen am 23.11.2024.
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