Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
so vieler Hefftigkeit durchzutreiben, auf mein
künfftiges Schreiben. Seyn sie indes versichert,
daß ich Jhren Brief nicht übel aufnehme: ich
dancke Jhnen vielmehr von Hertzen für Jhre treuen
und freundschaftlichen Erinnerungen und War-
nungen, ja ich bitte Sie, wie ich Sie schon oft ge-
beten habe, mir es deutlich zu sagen, wenn Sie
einen Fehler an mir gewahr werden, den Jhre par-
theyische Liebe und Zuneigung zu mir gegen an-
dere
entschuldigen und bemänteln würde. Denn
ich wollte auch dem Feinde nicht gern Gelegen-
heit geben, übel von mir zu urtheilen. Wie soll
ich mich aber behutsam genug aufführen, wenn
meine beste Freundin mir nicht bisweilen einen
Spiegel vorhalten, und mir meine Mängel
entdecken will?

Fällen Sie nun ein so unpartheyisches Urtheil
über mich, als ein Fremder fällen würde, der eben
die Umstände wüßte, die Jhnen bekant sind. Viel-
leicht wird mir ihr Urtheil zu Anfang weh thun:
vielleicht werde ich erröthen, daß ich Jhrer
Freundschaft unwürdiger bin, als ich zu seyn ge-
wünscht und gehofft habe: allein Jhre gütigen
Erinnerungen werden mich doch gewiß zum Nach-
dencken bringen, und ich werde mich bessern. Thue
ich dieses nicht, so sollen Sie mich wegen eines so
grossen Vergehens schelten, und ich werde keine
Entschuldigung haben. Wenn Sie mich dieses
Vergehens schuldig befinden und Sie schelten mich
nicht, so sind Sie nicht eine so aufrichtige Freun-
din von mir, als ich von Jhnen gewesen bin:

denn

der Clariſſa.
ſo vieler Hefftigkeit durchzutreiben, auf mein
kuͤnfftiges Schreiben. Seyn ſie indes verſichert,
daß ich Jhren Brief nicht uͤbel aufnehme: ich
dancke Jhnen vielmehr von Hertzen fuͤr Jhre treuen
und freundſchaftlichen Erinnerungen und War-
nungen, ja ich bitte Sie, wie ich Sie ſchon oft ge-
beten habe, mir es deutlich zu ſagen, wenn Sie
einen Fehler an mir gewahr werden, den Jhre par-
theyiſche Liebe und Zuneigung zu mir gegen an-
dere
entſchuldigen und bemaͤnteln wuͤrde. Denn
ich wollte auch dem Feinde nicht gern Gelegen-
heit geben, uͤbel von mir zu urtheilen. Wie ſoll
ich mich aber behutſam genug auffuͤhren, wenn
meine beſte Freundin mir nicht bisweilen einen
Spiegel vorhalten, und mir meine Maͤngel
entdecken will?

Faͤllen Sie nun ein ſo unpartheyiſches Urtheil
uͤber mich, als ein Fremder faͤllen wuͤrde, der eben
die Umſtaͤnde wuͤßte, die Jhnen bekant ſind. Viel-
leicht wird mir ihr Urtheil zu Anfang weh thun:
vielleicht werde ich erroͤthen, daß ich Jhrer
Freundſchaft unwuͤrdiger bin, als ich zu ſeyn ge-
wuͤnſcht und gehofft habe: allein Jhre guͤtigen
Erinnerungen werden mich doch gewiß zum Nach-
dencken bringen, und ich werde mich beſſern. Thue
ich dieſes nicht, ſo ſollen Sie mich wegen eines ſo
groſſen Vergehens ſchelten, und ich werde keine
Entſchuldigung haben. Wenn Sie mich dieſes
Vergehens ſchuldig befinden und Sie ſcheltẽ mich
nicht, ſo ſind Sie nicht eine ſo aufrichtige Freun-
din von mir, als ich von Jhnen geweſen bin:

denn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0127" n="107"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
&#x017F;o vieler Hefftigkeit durchzutreiben, auf mein<lb/>
ku&#x0364;nfftiges Schreiben. Seyn &#x017F;ie indes ver&#x017F;ichert,<lb/>
daß ich Jhren Brief nicht u&#x0364;bel aufnehme: ich<lb/>
dancke Jhnen vielmehr von Hertzen fu&#x0364;r Jhre treuen<lb/>
und freund&#x017F;chaftlichen Erinnerungen und War-<lb/>
nungen, ja ich bitte Sie, wie ich Sie &#x017F;chon oft ge-<lb/>
beten habe, mir es deutlich zu &#x017F;agen, wenn Sie<lb/>
einen Fehler an mir gewahr werden, den Jhre par-<lb/>
theyi&#x017F;che Liebe und Zuneigung zu mir gegen <hi rendition="#fr">an-<lb/>
dere</hi> ent&#x017F;chuldigen und bema&#x0364;nteln wu&#x0364;rde. Denn<lb/>
ich wollte auch dem <hi rendition="#fr">Feinde</hi> nicht gern Gelegen-<lb/>
heit geben, u&#x0364;bel von mir zu urtheilen. Wie &#x017F;oll<lb/>
ich mich aber behut&#x017F;am genug auffu&#x0364;hren, wenn<lb/>
meine be&#x017F;te Freundin mir nicht <choice><sic>bisweileu</sic><corr>bisweilen</corr></choice> einen<lb/>
Spiegel vorhalten, und mir meine Ma&#x0364;ngel<lb/>
entdecken will?</p><lb/>
        <p>Fa&#x0364;llen Sie nun ein &#x017F;o unpartheyi&#x017F;ches Urtheil<lb/>
u&#x0364;ber mich, als ein Fremder fa&#x0364;llen wu&#x0364;rde, der eben<lb/>
die Um&#x017F;ta&#x0364;nde wu&#x0364;ßte, die Jhnen bekant &#x017F;ind. Viel-<lb/>
leicht wird mir ihr Urtheil zu Anfang weh thun:<lb/>
vielleicht werde ich <hi rendition="#fr">erro&#x0364;then,</hi> daß ich Jhrer<lb/>
Freund&#x017F;chaft unwu&#x0364;rdiger bin, als ich zu &#x017F;eyn ge-<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;cht und gehofft habe: allein Jhre gu&#x0364;tigen<lb/>
Erinnerungen werden mich doch gewiß zum Nach-<lb/>
dencken bringen, und ich werde mich be&#x017F;&#x017F;ern. Thue<lb/>
ich die&#x017F;es nicht, &#x017F;o &#x017F;ollen Sie mich wegen eines &#x017F;o<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;en Vergehens &#x017F;chelten, und ich werde keine<lb/>
Ent&#x017F;chuldigung haben. Wenn Sie mich die&#x017F;es<lb/>
Vergehens &#x017F;chuldig befinden und Sie &#x017F;chelte&#x0303; mich<lb/>
nicht, &#x017F;o &#x017F;ind Sie nicht eine &#x017F;o aufrichtige Freun-<lb/>
din von mir, als ich von Jhnen gewe&#x017F;en bin:<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">denn</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0127] der Clariſſa. ſo vieler Hefftigkeit durchzutreiben, auf mein kuͤnfftiges Schreiben. Seyn ſie indes verſichert, daß ich Jhren Brief nicht uͤbel aufnehme: ich dancke Jhnen vielmehr von Hertzen fuͤr Jhre treuen und freundſchaftlichen Erinnerungen und War- nungen, ja ich bitte Sie, wie ich Sie ſchon oft ge- beten habe, mir es deutlich zu ſagen, wenn Sie einen Fehler an mir gewahr werden, den Jhre par- theyiſche Liebe und Zuneigung zu mir gegen an- dere entſchuldigen und bemaͤnteln wuͤrde. Denn ich wollte auch dem Feinde nicht gern Gelegen- heit geben, uͤbel von mir zu urtheilen. Wie ſoll ich mich aber behutſam genug auffuͤhren, wenn meine beſte Freundin mir nicht bisweilen einen Spiegel vorhalten, und mir meine Maͤngel entdecken will? Faͤllen Sie nun ein ſo unpartheyiſches Urtheil uͤber mich, als ein Fremder faͤllen wuͤrde, der eben die Umſtaͤnde wuͤßte, die Jhnen bekant ſind. Viel- leicht wird mir ihr Urtheil zu Anfang weh thun: vielleicht werde ich erroͤthen, daß ich Jhrer Freundſchaft unwuͤrdiger bin, als ich zu ſeyn ge- wuͤnſcht und gehofft habe: allein Jhre guͤtigen Erinnerungen werden mich doch gewiß zum Nach- dencken bringen, und ich werde mich beſſern. Thue ich dieſes nicht, ſo ſollen Sie mich wegen eines ſo groſſen Vergehens ſchelten, und ich werde keine Entſchuldigung haben. Wenn Sie mich dieſes Vergehens ſchuldig befinden und Sie ſcheltẽ mich nicht, ſo ſind Sie nicht eine ſo aufrichtige Freun- din von mir, als ich von Jhnen geweſen bin: denn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/127
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/127>, abgerufen am 23.11.2024.