Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
lasset haben, ich möchte vielleicht eine Unvorsich-
tigkeit begangen haben: und ich entschloß mich,
eine genaue Prüfung meiner selbst anzustellen.
Jch habe aber nichts von dem Schlagen des Her-
tzens bey mir finden können, dessen Sie Erwäh-
nung thun. Sie können mir dis auf mein
Wort
glauben. Jch muß bekennen, daß die
Stellen meines vorigen Briefes, bey denen Jhr
Tadel entweder so lustig oder so ernstlich und stren-
ge ist, Jhnen eine recht bequeme Gelegenheit gege-
ben haben, auf eine angenehme und artige Weise
auf mich zu sticheln. Es ist wahr, sie geben Gele-
genheit dazu: und ich kan nicht begreiffen, wie mir
eben der Kopf muß gestanden haben, als meine
Feder so wunderlich geschrieben hat.

Allein ich bitte Sie, hat der Ausdruck viel zu
bedeuten, wenn man gegen keinen eine besonde-
re Neigung hat, und man sagt, man gebe eini-
gen
einen Vorzug vor andern? Jst es unrecht,
wenn man schreibt, man gebe denen den Vorzug,
denen unsre Anverwandten Grobheiten erzeiget
haben, und die um unsertwillen diese Grobheiten
verschmertzt haben, die sie sonst rächen würden?
Jch kan ja ohne Sünde sagen: Herr Lovelace
verdient den Vorzug vor Herrn Solmes, und ich
ziehe ihn auch wircklich Hernn Solmes vor. Al-
lein hieraus folget noch keinesweges, daß ich in
ihn verliebt seyn müsse.

Jch möchte in der That nicht gern in ihm ver-
liebt sein: ich wolte die Welt nicht dafür neh-
men! Denn erstlich habe ich eine sehr schlechte

Mie-

Die Geſchichte
laſſet haben, ich moͤchte vielleicht eine Unvorſich-
tigkeit begangen haben: und ich entſchloß mich,
eine genaue Pruͤfung meiner ſelbſt anzuſtellen.
Jch habe aber nichts von dem Schlagen des Her-
tzens bey mir finden koͤnnen, deſſen Sie Erwaͤh-
nung thun. Sie koͤnnen mir dis auf mein
Wort
glauben. Jch muß bekennen, daß die
Stellen meines vorigen Briefes, bey denen Jhr
Tadel entweder ſo luſtig oder ſo ernſtlich und ſtren-
ge iſt, Jhnen eine recht bequeme Gelegenheit gege-
ben haben, auf eine angenehme und artige Weiſe
auf mich zu ſticheln. Es iſt wahr, ſie geben Gele-
genheit dazu: und ich kan nicht begreiffen, wie mir
eben der Kopf muß geſtanden haben, als meine
Feder ſo wunderlich geſchrieben hat.

Allein ich bitte Sie, hat der Ausdruck viel zu
bedeuten, wenn man gegen keinen eine beſonde-
re Neigung hat, und man ſagt, man gebe eini-
gen
einen Vorzug vor andern? Jſt es unrecht,
wenn man ſchreibt, man gebe denen den Vorzug,
denen unſre Anverwandten Grobheiten erzeiget
haben, und die um unſertwillen dieſe Grobheiten
verſchmertzt haben, die ſie ſonſt raͤchen wuͤrden?
Jch kan ja ohne Suͤnde ſagen: Herr Lovelace
verdient den Vorzug vor Herrn Solmes, und ich
ziehe ihn auch wircklich Hernn Solmes vor. Al-
lein hieraus folget noch keinesweges, daß ich in
ihn verliebt ſeyn muͤſſe.

Jch moͤchte in der That nicht gern in ihm ver-
liebt ſein: ich wolte die Welt nicht dafuͤr neh-
men! Denn erſtlich habe ich eine ſehr ſchlechte

Mie-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0124" n="104"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
la&#x017F;&#x017F;et haben, ich mo&#x0364;chte vielleicht eine Unvor&#x017F;ich-<lb/>
tigkeit begangen haben: und ich ent&#x017F;chloß mich,<lb/>
eine genaue Pru&#x0364;fung meiner &#x017F;elb&#x017F;t anzu&#x017F;tellen.<lb/>
Jch habe aber nichts von dem Schlagen des Her-<lb/>
tzens bey mir finden ko&#x0364;nnen, de&#x017F;&#x017F;en Sie Erwa&#x0364;h-<lb/>
nung thun. Sie ko&#x0364;nnen mir dis <hi rendition="#fr">auf</hi> m<hi rendition="#fr">ein<lb/>
Wort</hi> glauben. Jch muß bekennen, daß die<lb/>
Stellen meines vorigen Briefes, bey denen Jhr<lb/>
Tadel entweder &#x017F;o lu&#x017F;tig oder &#x017F;o ern&#x017F;tlich und &#x017F;tren-<lb/>
ge i&#x017F;t, Jhnen eine recht bequeme Gelegenheit gege-<lb/>
ben haben, auf eine angenehme und artige Wei&#x017F;e<lb/>
auf mich zu &#x017F;ticheln. Es i&#x017F;t wahr, &#x017F;ie geben Gele-<lb/>
genheit dazu: und ich kan nicht begreiffen, wie mir<lb/>
eben der Kopf muß ge&#x017F;tanden haben, als meine<lb/>
Feder &#x017F;o wunderlich ge&#x017F;chrieben hat.</p><lb/>
        <p>Allein ich bitte Sie, hat der Ausdruck viel zu<lb/>
bedeuten, wenn man gegen <hi rendition="#fr">keinen</hi> eine be&#x017F;onde-<lb/>
re Neigung hat, und man &#x017F;agt, man gebe <hi rendition="#fr">eini-<lb/>
gen</hi> einen Vorzug vor <hi rendition="#fr">andern?</hi> J&#x017F;t es unrecht,<lb/>
wenn man &#x017F;chreibt, man gebe denen den Vorzug,<lb/>
denen un&#x017F;re Anverwandten Grobheiten erzeiget<lb/>
haben, und die um un&#x017F;ertwillen die&#x017F;e Grobheiten<lb/>
ver&#x017F;chmertzt haben, die &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t ra&#x0364;chen wu&#x0364;rden?<lb/>
Jch kan ja ohne Su&#x0364;nde &#x017F;agen: Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi><lb/>
verdient den Vorzug vor Herrn <hi rendition="#fr">Solmes,</hi> und ich<lb/>
ziehe ihn auch wircklich Hernn <hi rendition="#fr">Solmes</hi> vor. Al-<lb/>
lein hieraus folget noch keinesweges, daß ich in<lb/>
ihn verliebt &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>Jch mo&#x0364;chte in der That nicht gern in ihm ver-<lb/>
liebt &#x017F;ein: ich wolte die Welt nicht dafu&#x0364;r neh-<lb/>
men! Denn er&#x017F;tlich habe ich eine &#x017F;ehr &#x017F;chlechte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Mie-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0124] Die Geſchichte laſſet haben, ich moͤchte vielleicht eine Unvorſich- tigkeit begangen haben: und ich entſchloß mich, eine genaue Pruͤfung meiner ſelbſt anzuſtellen. Jch habe aber nichts von dem Schlagen des Her- tzens bey mir finden koͤnnen, deſſen Sie Erwaͤh- nung thun. Sie koͤnnen mir dis auf mein Wort glauben. Jch muß bekennen, daß die Stellen meines vorigen Briefes, bey denen Jhr Tadel entweder ſo luſtig oder ſo ernſtlich und ſtren- ge iſt, Jhnen eine recht bequeme Gelegenheit gege- ben haben, auf eine angenehme und artige Weiſe auf mich zu ſticheln. Es iſt wahr, ſie geben Gele- genheit dazu: und ich kan nicht begreiffen, wie mir eben der Kopf muß geſtanden haben, als meine Feder ſo wunderlich geſchrieben hat. Allein ich bitte Sie, hat der Ausdruck viel zu bedeuten, wenn man gegen keinen eine beſonde- re Neigung hat, und man ſagt, man gebe eini- gen einen Vorzug vor andern? Jſt es unrecht, wenn man ſchreibt, man gebe denen den Vorzug, denen unſre Anverwandten Grobheiten erzeiget haben, und die um unſertwillen dieſe Grobheiten verſchmertzt haben, die ſie ſonſt raͤchen wuͤrden? Jch kan ja ohne Suͤnde ſagen: Herr Lovelace verdient den Vorzug vor Herrn Solmes, und ich ziehe ihn auch wircklich Hernn Solmes vor. Al- lein hieraus folget noch keinesweges, daß ich in ihn verliebt ſeyn muͤſſe. Jch moͤchte in der That nicht gern in ihm ver- liebt ſein: ich wolte die Welt nicht dafuͤr neh- men! Denn erſtlich habe ich eine ſehr ſchlechte Mie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/124
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/124>, abgerufen am 23.11.2024.