Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.Als wir kamen, stand ein großer Teil der Gesellschaft im ersten Zimmer um den Tisch versammelt. Ein Maler, der dem Kreis angehört und dort sehr geschätzt wird, hatte Zeichnungen mitgebracht, und man betrachtete, bewunderte und belobte sie. Da war ein Bild des Meisters (über dieses wurde nicht laut gesprochen, man vernahm nur von Zeit zu Zeit ein ehrfürchtiges Murmeln oder gedämpftes: wirklich fabelhaft! -- ungeheuer!) ferner verschiedene frühere Dichter und historische Persönlichkeiten: Schiller, Goethe, Luther und andere. Den Maler halte ich nicht für sehr talentvoll, -- die Blätter hatten alle dasselbe längliche Format, und sämtliche Köpfe waren so groß, daß sie irgendwo beinah oder ganz an den Rahmen anstießen. Zudem kam es mir befremdlich vor, daß er die verschiedenen großen Toten so ganz einfach porträtiert, als ob sie ihm gesessen hätten. Es gibt doch genug authentische Bilder von ihnen, die mehr Wahrscheinlichkeit besitzen. Der Philosoph stand neben mir, sagte manchmal hm -- hm --, und ich wollte ihn gerade um seine Meinung befragen, da ging die Tür auf, und Delius trat herein. Er verneigte sich nach verschiedenen Seiten mit demselben Wechsel zwischen konventionellem Lächeln und plötzlicher Starrheit, den ich damals auf der Straße an ihm beobachtete, dann trat er auf den Tisch zu, warf einen Blick auf die Zeichnungen, betrachtete scharf und flüchtig das Porträt Luthers und wandte sich in Als wir kamen, stand ein großer Teil der Gesellschaft im ersten Zimmer um den Tisch versammelt. Ein Maler, der dem Kreis angehört und dort sehr geschätzt wird, hatte Zeichnungen mitgebracht, und man betrachtete, bewunderte und belobte sie. Da war ein Bild des Meisters (über dieses wurde nicht laut gesprochen, man vernahm nur von Zeit zu Zeit ein ehrfürchtiges Murmeln oder gedämpftes: wirklich fabelhaft! — ungeheuer!) ferner verschiedene frühere Dichter und historische Persönlichkeiten: Schiller, Goethe, Luther und andere. Den Maler halte ich nicht für sehr talentvoll, — die Blätter hatten alle dasselbe längliche Format, und sämtliche Köpfe waren so groß, daß sie irgendwo beinah oder ganz an den Rahmen anstießen. Zudem kam es mir befremdlich vor, daß er die verschiedenen großen Toten so ganz einfach porträtiert, als ob sie ihm gesessen hätten. Es gibt doch genug authentische Bilder von ihnen, die mehr Wahrscheinlichkeit besitzen. Der Philosoph stand neben mir, sagte manchmal hm — hm —, und ich wollte ihn gerade um seine Meinung befragen, da ging die Tür auf, und Delius trat herein. Er verneigte sich nach verschiedenen Seiten mit demselben Wechsel zwischen konventionellem Lächeln und plötzlicher Starrheit, den ich damals auf der Straße an ihm beobachtete, dann trat er auf den Tisch zu, warf einen Blick auf die Zeichnungen, betrachtete scharf und flüchtig das Porträt Luthers und wandte sich in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <pb facs="#f0063" n="59"/> <p>Als wir kamen, stand ein großer Teil der Gesellschaft im ersten Zimmer um den Tisch versammelt. Ein Maler, der dem Kreis angehört und dort sehr geschätzt wird, hatte Zeichnungen mitgebracht, und man betrachtete, bewunderte und belobte sie. Da war ein Bild des Meisters (über dieses wurde nicht laut gesprochen, man vernahm nur von Zeit zu Zeit ein ehrfürchtiges Murmeln oder gedämpftes: wirklich fabelhaft! — ungeheuer!) ferner verschiedene frühere Dichter und historische Persönlichkeiten: Schiller, Goethe, Luther und andere. Den Maler halte ich nicht für sehr talentvoll, — die Blätter hatten alle dasselbe längliche Format, und sämtliche Köpfe waren so groß, daß sie irgendwo beinah oder ganz an den Rahmen anstießen. Zudem kam es mir befremdlich vor, daß er die verschiedenen großen Toten so ganz einfach porträtiert, als ob sie ihm gesessen hätten. Es gibt doch genug authentische Bilder von ihnen, die mehr Wahrscheinlichkeit besitzen.</p> <p>Der Philosoph stand neben mir, sagte manchmal hm — hm —, und ich wollte ihn gerade um seine Meinung befragen, da ging die Tür auf, und Delius trat herein. Er verneigte sich nach verschiedenen Seiten mit demselben Wechsel zwischen konventionellem Lächeln und plötzlicher Starrheit, den ich damals auf der Straße an ihm beobachtete, dann trat er auf den Tisch zu, warf einen Blick auf die Zeichnungen, betrachtete scharf und flüchtig das Porträt Luthers und wandte sich in </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59/0063]
Als wir kamen, stand ein großer Teil der Gesellschaft im ersten Zimmer um den Tisch versammelt. Ein Maler, der dem Kreis angehört und dort sehr geschätzt wird, hatte Zeichnungen mitgebracht, und man betrachtete, bewunderte und belobte sie. Da war ein Bild des Meisters (über dieses wurde nicht laut gesprochen, man vernahm nur von Zeit zu Zeit ein ehrfürchtiges Murmeln oder gedämpftes: wirklich fabelhaft! — ungeheuer!) ferner verschiedene frühere Dichter und historische Persönlichkeiten: Schiller, Goethe, Luther und andere. Den Maler halte ich nicht für sehr talentvoll, — die Blätter hatten alle dasselbe längliche Format, und sämtliche Köpfe waren so groß, daß sie irgendwo beinah oder ganz an den Rahmen anstießen. Zudem kam es mir befremdlich vor, daß er die verschiedenen großen Toten so ganz einfach porträtiert, als ob sie ihm gesessen hätten. Es gibt doch genug authentische Bilder von ihnen, die mehr Wahrscheinlichkeit besitzen.
Der Philosoph stand neben mir, sagte manchmal hm — hm —, und ich wollte ihn gerade um seine Meinung befragen, da ging die Tür auf, und Delius trat herein. Er verneigte sich nach verschiedenen Seiten mit demselben Wechsel zwischen konventionellem Lächeln und plötzlicher Starrheit, den ich damals auf der Straße an ihm beobachtete, dann trat er auf den Tisch zu, warf einen Blick auf die Zeichnungen, betrachtete scharf und flüchtig das Porträt Luthers und wandte sich in
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