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Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.

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mit Zärtlichkeit. Man sah sie nachher beständig zusammen. Am Hofmannschen Tisch wurde noch viel über diese Szene gesprochen. Es lag sicher wieder eine mysteriöse Bedeutung darin, die ich nicht durchschauen konnte. Adrian wollte den Henker zu seiner Orgie einladen, und die kappadozische Dame fragte:

"Haben Sie gesehen, wie seltsam er sich benahm," -- sie meinte den Indianer.

"Nein -- wieso?"

"Er sagte kein Wort, aber er erbleichte, als er Blut fließen sah -- Sie wissen doch, Blut --"

Nun wurde es mir zuviel, ich stand auf und irrte verlassen durch die festliche Menge. Wie eine unaussprechliche Erleichterung empfand ich es, als der Philosoph neben mir auftauchte.

"Wie geht es Ihnen, Herr Dame? Wozu hat man Sie heute verurteilt?"

"Ich fürchte zum Wahnsinn -- cher philosophe -- ich weiß nicht, was in diesem rätselhaften Stadtteil aus mir werden soll, und doch läßt es mir keine Ruhe, dahinter zu kommen."

"Mirobuk!" sagte er gütig, "kommen Sie doch morgen nachmittag etwas zu mir."

Ja, ich frage ganz im Ernst, ob es nicht ein bedenkliches Symptom für meinen inneren Zustand ist, daß das bloße Wort -- Mirobuk -- so beruhigend auf

mit Zärtlichkeit. Man sah sie nachher beständig zusammen. Am Hofmannschen Tisch wurde noch viel über diese Szene gesprochen. Es lag sicher wieder eine mysteriöse Bedeutung darin, die ich nicht durchschauen konnte. Adrian wollte den Henker zu seiner Orgie einladen, und die kappadozische Dame fragte:

„Haben Sie gesehen, wie seltsam er sich benahm,“ — sie meinte den Indianer.

„Nein — wieso?“

„Er sagte kein Wort, aber er erbleichte, als er Blut fließen sah — Sie wissen doch, Blut —“

Nun wurde es mir zuviel, ich stand auf und irrte verlassen durch die festliche Menge. Wie eine unaussprechliche Erleichterung empfand ich es, als der Philosoph neben mir auftauchte.

„Wie geht es Ihnen, Herr Dame? Wozu hat man Sie heute verurteilt?“

„Ich fürchte zum Wahnsinn — cher philosophe — ich weiß nicht, was in diesem rätselhaften Stadtteil aus mir werden soll, und doch läßt es mir keine Ruhe, dahinter zu kommen.“

„Mirobuk!“ sagte er gütig, „kommen Sie doch morgen nachmittag etwas zu mir.“

Ja, ich frage ganz im Ernst, ob es nicht ein bedenkliches Symptom für meinen inneren Zustand ist, daß das bloße Wort — Mirobuk — so beruhigend auf

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[56/0060] mit Zärtlichkeit. Man sah sie nachher beständig zusammen. Am Hofmannschen Tisch wurde noch viel über diese Szene gesprochen. Es lag sicher wieder eine mysteriöse Bedeutung darin, die ich nicht durchschauen konnte. Adrian wollte den Henker zu seiner Orgie einladen, und die kappadozische Dame fragte: „Haben Sie gesehen, wie seltsam er sich benahm,“ — sie meinte den Indianer. „Nein — wieso?“ „Er sagte kein Wort, aber er erbleichte, als er Blut fließen sah — Sie wissen doch, Blut —“ Nun wurde es mir zuviel, ich stand auf und irrte verlassen durch die festliche Menge. Wie eine unaussprechliche Erleichterung empfand ich es, als der Philosoph neben mir auftauchte. „Wie geht es Ihnen, Herr Dame? Wozu hat man Sie heute verurteilt?“ „Ich fürchte zum Wahnsinn — cher philosophe — ich weiß nicht, was in diesem rätselhaften Stadtteil aus mir werden soll, und doch läßt es mir keine Ruhe, dahinter zu kommen.“ „Mirobuk!“ sagte er gütig, „kommen Sie doch morgen nachmittag etwas zu mir.“ Ja, ich frage ganz im Ernst, ob es nicht ein bedenkliches Symptom für meinen inneren Zustand ist, daß das bloße Wort — Mirobuk — so beruhigend auf

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Zitationshilfe: Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reventlow_dames_1913/60>, abgerufen am 28.11.2024.