Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.Gesicht strahlte vor Freude. Aber nun kam Delius aus dem Nebenzimmer, er hatte dort schweigend gesessen und in einem Buch geblättert, -- wir wußten gar nicht, daß er da war. "Gewiß," sagte er, "gewiß, Herr Professor, aber es kommt vor allem darauf an, wer sie erlebt." Gleich darauf verabschiedete er sich, warf noch einen kalten Blick auf den Rabbi und ging. Es war keine Szene, nicht einmal ein Wortwechsel; es war gar nichts, und doch hatte man das Gefühl, es sei etwas vorgefallen, und gab sich alle Mühe, das peinliche Gefühl wieder zu verwischen. "Ach Barmherzigkeit," sagte Willy, als wir ihm davon erzählten, "ist der Rabbi immer noch da? Bei mir ist er auch schon einmal gewesen, um mich für Zion zu gewinnen, aber es lockt mich nicht, -- das Eckhaus ist viel sympathischer. Und die Jadwiga ist mir ein Schrecken, -- sie sieht zum Beispiel immer einen schwarzen Hund, wenn jemand irgendwie abtrünnig wird, -- solche Leute sind ungemütlich." 16. März Ein aufregendes Ereignis -- -- Ich sitze mit Susanna allein in der Küche, vor uns eine Flasche Cherry Brandy, den sie besonders liebt. Es ist sehr spät, die andern schlafen schon. Gesicht strahlte vor Freude. Aber nun kam Delius aus dem Nebenzimmer, er hatte dort schweigend gesessen und in einem Buch geblättert, — wir wußten gar nicht, daß er da war. „Gewiß,“ sagte er, „gewiß, Herr Professor, aber es kommt vor allem darauf an, wer sie erlebt.“ Gleich darauf verabschiedete er sich, warf noch einen kalten Blick auf den Rabbi und ging. Es war keine Szene, nicht einmal ein Wortwechsel; es war gar nichts, und doch hatte man das Gefühl, es sei etwas vorgefallen, und gab sich alle Mühe, das peinliche Gefühl wieder zu verwischen. „Ach Barmherzigkeit,“ sagte Willy, als wir ihm davon erzählten, „ist der Rabbi immer noch da? Bei mir ist er auch schon einmal gewesen, um mich für Zion zu gewinnen, aber es lockt mich nicht, — das Eckhaus ist viel sympathischer. Und die Jadwiga ist mir ein Schrecken, — sie sieht zum Beispiel immer einen schwarzen Hund, wenn jemand irgendwie abtrünnig wird, — solche Leute sind ungemütlich.“ 16. März Ein aufregendes Ereignis — — Ich sitze mit Susanna allein in der Küche, vor uns eine Flasche Cherry Brandy, den sie besonders liebt. Es ist sehr spät, die andern schlafen schon. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0165" n="161"/> Gesicht strahlte vor Freude. Aber nun kam Delius aus dem Nebenzimmer, er hatte dort schweigend gesessen und in einem Buch geblättert, — wir wußten gar nicht, daß er da war.</p> <p>„Gewiß,“ sagte er, „gewiß, Herr Professor, aber es kommt vor allem darauf an, wer sie erlebt.“ Gleich darauf verabschiedete er sich, warf noch einen kalten Blick auf den Rabbi und ging.</p> <p>Es war keine Szene, nicht einmal ein Wortwechsel; es war gar nichts, und doch hatte man das Gefühl, es sei etwas vorgefallen, und gab sich alle Mühe, das peinliche Gefühl wieder zu verwischen.</p> <p>„Ach Barmherzigkeit,“ sagte Willy, als wir ihm davon erzählten, „ist der Rabbi immer noch da? Bei mir ist er auch schon einmal gewesen, um mich für Zion zu gewinnen, aber es lockt mich nicht, — das Eckhaus ist viel sympathischer. Und die Jadwiga ist mir ein Schrecken, — sie sieht zum Beispiel immer einen schwarzen Hund, wenn jemand irgendwie abtrünnig wird, — solche Leute sind ungemütlich.“</p> </div> <div type="letter" n="2"> <opener> <dateline> <hi rendition="#right">16. März</hi> </dateline> </opener> <p>Ein aufregendes Ereignis — —</p> <p>Ich sitze mit Susanna allein in der Küche, vor uns eine Flasche Cherry Brandy, den sie besonders liebt. Es ist sehr spät, die andern schlafen schon. </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [161/0165]
Gesicht strahlte vor Freude. Aber nun kam Delius aus dem Nebenzimmer, er hatte dort schweigend gesessen und in einem Buch geblättert, — wir wußten gar nicht, daß er da war.
„Gewiß,“ sagte er, „gewiß, Herr Professor, aber es kommt vor allem darauf an, wer sie erlebt.“ Gleich darauf verabschiedete er sich, warf noch einen kalten Blick auf den Rabbi und ging.
Es war keine Szene, nicht einmal ein Wortwechsel; es war gar nichts, und doch hatte man das Gefühl, es sei etwas vorgefallen, und gab sich alle Mühe, das peinliche Gefühl wieder zu verwischen.
„Ach Barmherzigkeit,“ sagte Willy, als wir ihm davon erzählten, „ist der Rabbi immer noch da? Bei mir ist er auch schon einmal gewesen, um mich für Zion zu gewinnen, aber es lockt mich nicht, — das Eckhaus ist viel sympathischer. Und die Jadwiga ist mir ein Schrecken, — sie sieht zum Beispiel immer einen schwarzen Hund, wenn jemand irgendwie abtrünnig wird, — solche Leute sind ungemütlich.“
16. März Ein aufregendes Ereignis — —
Ich sitze mit Susanna allein in der Küche, vor uns eine Flasche Cherry Brandy, den sie besonders liebt. Es ist sehr spät, die andern schlafen schon.
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Zitationshilfe: | Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reventlow_dames_1913/165>, abgerufen am 03.03.2025. |