Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


Nach allen diesen Vorkehrungen, besudelt' er sich
mit dem Blute von wilden Tauben, die er zu einem
artigen Mittagsmahl erlegt hatte, und kehrte ganz
erschrocken zu Christinen zurück, versichert' ihr, daß
er den Großvogel verwundet und fortgejagt habe;
doch steh' er nicht dafür, daß er nicht wieder komme,
weil er nicht wüßte, ob seine Wunden tödtlich oder
nicht gewesen wären. Christine, die wieder ein we-
nig Muth gefaßt hatte, bezeigte Victorin ihre Er-
kenntlichkeit, und ließ sich von ihm bereden, eini-
ge Erfrischungen vor dem Mittagsmahl zu sich zu
nehmen.

Drauf erschien die Kammerfrau und die Kö-
chinn, und boten Christinen ihre Dienste an, weil
sie von niedrigem Stande und ohne Zweifel von dem
Großvogel, der sie wohlbedächtig zuerst hieher ge-
schafft, zu ihrer Bedienung bestimmt wären. Kä-
the und Vezinier mit ihrer Tochter erschienen eben-
falls, und wurden alle drey gar bald von Christinen
erkannt, die sich von jeder die kleinsten Umstände ih-
rer Entführung erzählen ließ: bey allen waren sie
die nämlichen.

Victorin behorchte heimlich alles, was geredet
ward, um sich bey der geringsten Unbehutsamkeit so-
gleich zu zeigen. Aber er hatte Ursache mit ihnen
zufrieden zu seyn, und gab es auch nachher den drey
Frauenzimmern, als er sie wieder sah, zu erkennen.

Als Christine nunmehr das Frühstück eingenom-
men, bat sie Victorin, mit ihm auf seinem neuen
Gute ein wenig herum zu gehn und Besitz davon zu

nehmen,


Nach allen dieſen Vorkehrungen, beſudelt’ er ſich
mit dem Blute von wilden Tauben, die er zu einem
artigen Mittagsmahl erlegt hatte, und kehrte ganz
erſchrocken zu Chriſtinen zuruͤck, verſichert’ ihr, daß
er den Großvogel verwundet und fortgejagt habe;
doch ſteh’ er nicht dafuͤr, daß er nicht wieder komme,
weil er nicht wuͤßte, ob ſeine Wunden toͤdtlich oder
nicht geweſen waͤren. Chriſtine, die wieder ein we-
nig Muth gefaßt hatte, bezeigte Victorin ihre Er-
kenntlichkeit, und ließ ſich von ihm bereden, eini-
ge Erfriſchungen vor dem Mittagsmahl zu ſich zu
nehmen.

Drauf erſchien die Kammerfrau und die Koͤ-
chinn, und boten Chriſtinen ihre Dienſte an, weil
ſie von niedrigem Stande und ohne Zweifel von dem
Großvogel, der ſie wohlbedaͤchtig zuerſt hieher ge-
ſchafft, zu ihrer Bedienung beſtimmt waͤren. Kaͤ-
the und Vezinier mit ihrer Tochter erſchienen eben-
falls, und wurden alle drey gar bald von Chriſtinen
erkannt, die ſich von jeder die kleinſten Umſtaͤnde ih-
rer Entfuͤhrung erzaͤhlen ließ: bey allen waren ſie
die naͤmlichen.

Victorin behorchte heimlich alles, was geredet
ward, um ſich bey der geringſten Unbehutſamkeit ſo-
gleich zu zeigen. Aber er hatte Urſache mit ihnen
zufrieden zu ſeyn, und gab es auch nachher den drey
Frauenzimmern, als er ſie wieder ſah, zu erkennen.

Als Chriſtine nunmehr das Fruͤhſtuͤck eingenom-
men, bat ſie Victorin, mit ihm auf ſeinem neuen
Gute ein wenig herum zu gehn und Beſitz davon zu

nehmen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0069" n="61"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Nach allen die&#x017F;en Vorkehrungen, be&#x017F;udelt&#x2019; er &#x017F;ich<lb/>
mit dem Blute von wilden Tauben, die er zu einem<lb/>
artigen Mittagsmahl erlegt hatte, und kehrte ganz<lb/>
er&#x017F;chrocken zu Chri&#x017F;tinen zuru&#x0364;ck, ver&#x017F;ichert&#x2019; ihr, daß<lb/>
er den Großvogel verwundet und fortgejagt habe;<lb/>
doch &#x017F;teh&#x2019; er nicht dafu&#x0364;r, daß er nicht wieder komme,<lb/>
weil er nicht wu&#x0364;ßte, ob &#x017F;eine Wunden to&#x0364;dtlich oder<lb/>
nicht gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren. Chri&#x017F;tine, die wieder ein we-<lb/>
nig Muth gefaßt hatte, bezeigte Victorin ihre Er-<lb/>
kenntlichkeit, und ließ &#x017F;ich von ihm bereden, eini-<lb/>
ge Erfri&#x017F;chungen vor dem Mittagsmahl zu &#x017F;ich zu<lb/>
nehmen.</p><lb/>
        <p>Drauf er&#x017F;chien die Kammerfrau und die Ko&#x0364;-<lb/>
chinn, und boten Chri&#x017F;tinen ihre Dien&#x017F;te an, weil<lb/>
&#x017F;ie von niedrigem Stande und ohne Zweifel von dem<lb/>
Großvogel, der &#x017F;ie wohlbeda&#x0364;chtig zuer&#x017F;t hieher ge-<lb/>
&#x017F;chafft, zu ihrer Bedienung be&#x017F;timmt wa&#x0364;ren. Ka&#x0364;-<lb/>
the und Vezinier mit ihrer Tochter er&#x017F;chienen eben-<lb/>
falls, und wurden alle drey gar bald von Chri&#x017F;tinen<lb/>
erkannt, die &#x017F;ich von jeder die klein&#x017F;ten Um&#x017F;ta&#x0364;nde ih-<lb/>
rer Entfu&#x0364;hrung erza&#x0364;hlen ließ: bey allen waren &#x017F;ie<lb/>
die na&#x0364;mlichen.</p><lb/>
        <p>Victorin behorchte heimlich alles, was geredet<lb/>
ward, um &#x017F;ich bey der gering&#x017F;ten Unbehut&#x017F;amkeit &#x017F;o-<lb/>
gleich zu zeigen. Aber er hatte Ur&#x017F;ache mit ihnen<lb/>
zufrieden zu &#x017F;eyn, und gab es auch nachher den drey<lb/>
Frauenzimmern, als er &#x017F;ie wieder &#x017F;ah, zu erkennen.</p><lb/>
        <p>Als Chri&#x017F;tine nunmehr das Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;ck eingenom-<lb/>
men, bat &#x017F;ie Victorin, mit ihm auf &#x017F;einem neuen<lb/>
Gute ein wenig herum zu gehn und Be&#x017F;itz davon zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nehmen,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0069] Nach allen dieſen Vorkehrungen, beſudelt’ er ſich mit dem Blute von wilden Tauben, die er zu einem artigen Mittagsmahl erlegt hatte, und kehrte ganz erſchrocken zu Chriſtinen zuruͤck, verſichert’ ihr, daß er den Großvogel verwundet und fortgejagt habe; doch ſteh’ er nicht dafuͤr, daß er nicht wieder komme, weil er nicht wuͤßte, ob ſeine Wunden toͤdtlich oder nicht geweſen waͤren. Chriſtine, die wieder ein we- nig Muth gefaßt hatte, bezeigte Victorin ihre Er- kenntlichkeit, und ließ ſich von ihm bereden, eini- ge Erfriſchungen vor dem Mittagsmahl zu ſich zu nehmen. Drauf erſchien die Kammerfrau und die Koͤ- chinn, und boten Chriſtinen ihre Dienſte an, weil ſie von niedrigem Stande und ohne Zweifel von dem Großvogel, der ſie wohlbedaͤchtig zuerſt hieher ge- ſchafft, zu ihrer Bedienung beſtimmt waͤren. Kaͤ- the und Vezinier mit ihrer Tochter erſchienen eben- falls, und wurden alle drey gar bald von Chriſtinen erkannt, die ſich von jeder die kleinſten Umſtaͤnde ih- rer Entfuͤhrung erzaͤhlen ließ: bey allen waren ſie die naͤmlichen. Victorin behorchte heimlich alles, was geredet ward, um ſich bey der geringſten Unbehutſamkeit ſo- gleich zu zeigen. Aber er hatte Urſache mit ihnen zufrieden zu ſeyn, und gab es auch nachher den drey Frauenzimmern, als er ſie wieder ſah, zu erkennen. Als Chriſtine nunmehr das Fruͤhſtuͤck eingenom- men, bat ſie Victorin, mit ihm auf ſeinem neuen Gute ein wenig herum zu gehn und Beſitz davon zu nehmen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/69
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/69>, abgerufen am 23.11.2024.