Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.gethan, als die schönste davon den Stiel verlohr und abfiel. Victorin bückte sich um sie aufzuheben: da er sie aber ihr nicht zurück geben konnte, drückt' er sie zweymal mit Wärme an seine Lippe und eilte eine andre zu brechen. Christine ward dies gewahr, und erröthete; Die reizendsten Hirngespinste beschäftigten ihn Um es mit leichterer Mühe thun zu können, bat der,
gethan, als die ſchoͤnſte davon den Stiel verlohr und abfiel. Victorin buͤckte ſich um ſie aufzuheben: da er ſie aber ihr nicht zuruͤck geben konnte, druͤckt’ er ſie zweymal mit Waͤrme an ſeine Lippe und eilte eine andre zu brechen. Chriſtine ward dies gewahr, und erroͤthete; Die reizendſten Hirngeſpinſte beſchaͤftigten ihn Um es mit leichterer Muͤhe thun zu koͤnnen, bat der,
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gethan, als die ſchoͤnſte davon den Stiel verlohr und
abfiel. Victorin buͤckte ſich um ſie aufzuheben: da
er ſie aber ihr nicht zuruͤck geben konnte, druͤckt’ er
ſie zweymal mit Waͤrme an ſeine Lippe und eilte eine
andre zu brechen.
Chriſtine ward dies gewahr, und erroͤthete;
aber Victorin war ein zu ſchoͤner Juͤngling, als
daß ſie daruͤber haͤtte zuͤrnen koͤnnen. Er brachte
ihr eine andre ſchoͤne Roſe, die ſie mit Verwirrung
annahm. Sie ſetzte ihren Spaziergang fort, und
ließ ſich von Victorin die laͤndlichen Namen der ver-
ſchiedenen Pflanzen, welche den Garten zierten, ſa-
gen — Welche gluͤckliche Augenblicke! Victorin
glaubte im Himmel zu ſeyn. Endlich kehrte Chri-
ſtine zuruͤck, und der verliebte Juͤngling mußte wie-
der zum Fiſcalprocurator, ſeinem Vater.
Die reizendſten Hirngeſpinſte beſchaͤftigten ihn
unterwegens; Schon traͤumt ihn, Chriſtinen ent-
fuͤhrt zu haben, ſich ſie in eine reizende unerſteig-
liche Gegend verſetzt, ſich ſelbſt von ihr geliebt und
ein gluͤckliches Leben in einer uneingeſchraͤnkten Frey-
heit. Er huͤpfte fuͤr Freuden uͤber dieſe Vorſtellun-
gen und faßte den Entſchluß, ſie zur Wirklichkeit zu
bringen.
Um es mit leichterer Muͤhe thun zu koͤnnen, bat
er ſeinen Vater, der Vermoͤgen hatte, ihn in der
Stadt bey einem Sachwalter anzubringen, um ein
wenig den Gerichtsbrauch zu lernen — eine unent-
behrliche Kenntniß fuͤr jeden auf dem Lande, der ſich
nicht vor der Niedern Gerichtsbarkeit weit druͤcken-
der,
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