Den andern Morgen am Tage der Wahl, stel- te sich die ganze Nation zierlich geputzt in verschiedene Reihen, nah an den Schranken: die erste Reihe bestand aus Alten, vor welchen alle Frauenzim- mer vorüber gingen. Sie wählten ihre Gattinnen zuerst: aber es war eine nützliche Einschränkung dabei, daß nämlich eine iunge Frau nicht zwei Jahr hinter einander von einem Alten gewählt werden konte: sie ging das folgende Jahr blos bei den iungen Mannspersonen vorüber, und alle diese von Alten getrente machten die letzte Reihe aus, die so lange unbeweglich blieb, bis die be- iahrten Leute ihre Wahl vollendet hatten. Jhr werdet euch erinnern, daß man erst mit 150 Jah- ren zu den Alten gehört. Nach den Alten kamen die Männer reifen Alters von hundert bis hundert neun und vierzig Jahren; dann die Männer in ih- ren besten Jahren von funfzig bis zu neun und neun- zig; endlich die noch unverheiratheten Jünglinge, welche das erstemal wählten, und die schönsten manbaren Mädchen erhielten. Die minder schö- nen wurden unter die bereits verheiratheten Wei- ber gestelt, und konten von Männern von 50 bis 99 Jahren gewählt werden.
Sobald die Wahl geendigt war und die Gat- ten, welche einander behielten, sich wieder verei- nigt hatten, hörte man eine herrliche Musik, von Jnstrumenten und silbernen Stimmen. Diese ward von Jünglingen und iungen Mädchen aufgeführt, welche die beiden folgenden Jahre verheirathet wer-
den
d. fl. Mensch. Z
Den andern Morgen am Tage der Wahl, ſtel- te ſich die ganze Nation zierlich geputzt in verſchiedene Reihen, nah an den Schranken: die erſte Reihe beſtand aus Alten, vor welchen alle Frauenzim- mer voruͤber gingen. Sie waͤhlten ihre Gattinnen zuerſt: aber es war eine nuͤtzliche Einſchraͤnkung dabei, daß naͤmlich eine iunge Frau nicht zwei Jahr hinter einander von einem Alten gewaͤhlt werden konte: ſie ging das folgende Jahr blos bei den iungen Mannsperſonen voruͤber, und alle dieſe von Alten getrente machten die letzte Reihe aus, die ſo lange unbeweglich blieb, bis die be- iahrten Leute ihre Wahl vollendet hatten. Jhr werdet euch erinnern, daß man erſt mit 150 Jah- ren zu den Alten gehoͤrt. Nach den Alten kamen die Maͤnner reifen Alters von hundert bis hundert neun und vierzig Jahren; dann die Maͤnner in ih- ren beſten Jahren von funfzig bis zu neun und neun- zig; endlich die noch unverheiratheten Juͤnglinge, welche das erſtemal waͤhlten, und die ſchoͤnſten manbaren Maͤdchen erhielten. Die minder ſchoͤ- nen wurden unter die bereits verheiratheten Wei- ber geſtelt, und konten von Maͤnnern von 50 bis 99 Jahren gewaͤhlt werden.
Sobald die Wahl geendigt war und die Gat- ten, welche einander behielten, ſich wieder verei- nigt hatten, hoͤrte man eine herrliche Muſik, von Jnſtrumenten und ſilbernen Stimmen. Dieſe ward von Juͤnglingen und iungen Maͤdchen aufgefuͤhrt, welche die beiden folgenden Jahre verheirathet wer-
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d. fl. Menſch. Z
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Den andern Morgen am Tage der Wahl, ſtel-
te ſich die ganze Nation zierlich geputzt in verſchiedene
Reihen, nah an den Schranken: die erſte Reihe
beſtand aus Alten, vor welchen alle Frauenzim-
mer voruͤber gingen. Sie waͤhlten ihre Gattinnen
zuerſt: aber es war eine nuͤtzliche Einſchraͤnkung
dabei, daß naͤmlich eine iunge Frau nicht zwei
Jahr hinter einander von einem Alten gewaͤhlt
werden konte: ſie ging das folgende Jahr blos
bei den iungen Mannsperſonen voruͤber, und alle
dieſe von Alten getrente machten die letzte Reihe
aus, die ſo lange unbeweglich blieb, bis die be-
iahrten Leute ihre Wahl vollendet hatten. Jhr
werdet euch erinnern, daß man erſt mit 150 Jah-
ren zu den Alten gehoͤrt. Nach den Alten kamen
die Maͤnner reifen Alters von hundert bis hundert
neun und vierzig Jahren; dann die Maͤnner in ih-
ren beſten Jahren von funfzig bis zu neun und neun-
zig; endlich die noch unverheiratheten Juͤnglinge,
welche das erſtemal waͤhlten, und die ſchoͤnſten
manbaren Maͤdchen erhielten. Die minder ſchoͤ-
nen wurden unter die bereits verheiratheten Wei-
ber geſtelt, und konten von Maͤnnern von 50 bis
99 Jahren gewaͤhlt werden.
Sobald die Wahl geendigt war und die Gat-
ten, welche einander behielten, ſich wieder verei-
nigt hatten, hoͤrte man eine herrliche Muſik, von
Jnſtrumenten und ſilbernen Stimmen. Dieſe ward
von Juͤnglingen und iungen Maͤdchen aufgefuͤhrt,
welche die beiden folgenden Jahre verheirathet wer-
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/361>, abgerufen am 23.11.2024.
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