gion zwecken auf Uneigennützigkeit, auf Reinigkeit der Sitten, auf Wohlthun, auf Bescheidenheit ab: Alle durch Besitzungen Grosse, sind darin verflucht; sie verbietet, irgend iemand seinen Herrn zu nennen, weil alle gleiche Söhne eines Gottes sind: sie befiehlt sein Brod, seine Kleider, ohn' Ansehn der Person, der Nation, der Religion und der Gesinnungen mit seinen Brüdern zu thei- len. ...
Und gleichwohl bekennen sie nicht alle Völker Europens?
-- Um Verzeihung, erlauchter Sohn des weisesten Alten.
-- Aber wer sind denn dieienigen, deren Thaten wir in den Geschichtsbüchern, die ihr mir in verkehrter Sprache gegeben habt, lesen?
-- Es sind die nämlichen Völker.
-- Nun, erlauchte Christinier, so spottet ihr entweder meiner; oder diese Völker spotten über ihren Gesetzgeber und über den grossen Gott, den sie, eurer Sage nach, anbeten!
-- Sie spotten deren nicht, weiser Teugnil: aber hingerissen von ihren Leidenschaften befolgen sie fast in keinem Stücke ihre Religion. Sogar manche von denen, die vermöge ihres Standes auf die Beobachtung derselben sehn solten, sind nicht strenger darin, sind die ersten, welche die Haupt- gründe derselben untergraben, ob sie gleich die
grö-
gion zwecken auf Uneigennuͤtzigkeit, auf Reinigkeit der Sitten, auf Wohlthun, auf Beſcheidenheit ab: Alle durch Beſitzungen Groſſe, ſind darin verflucht; ſie verbietet, irgend iemand ſeinen Herrn zu nennen, weil alle gleiche Soͤhne eines Gottes ſind: ſie befiehlt ſein Brod, ſeine Kleider, ohn’ Anſehn der Perſon, der Nation, der Religion und der Geſinnungen mit ſeinen Bruͤdern zu thei- len. …
Und gleichwohl bekennen ſie nicht alle Voͤlker Europens?
— Um Verzeihung, erlauchter Sohn des weiſeſten Alten.
— Aber wer ſind denn dieienigen, deren Thaten wir in den Geſchichtsbuͤchern, die ihr mir in verkehrter Sprache gegeben habt, leſen?
— Es ſind die naͤmlichen Voͤlker.
— Nun, erlauchte Chriſtinier, ſo ſpottet ihr entweder meiner; oder dieſe Voͤlker ſpotten uͤber ihren Geſetzgeber und uͤber den groſſen Gott, den ſie, eurer Sage nach, anbeten!
— Sie ſpotten deren nicht, weiſer Teugnil: aber hingeriſſen von ihren Leidenſchaften befolgen ſie faſt in keinem Stuͤcke ihre Religion. Sogar manche von denen, die vermoͤge ihres Standes auf die Beobachtung derſelben ſehn ſolten, ſind nicht ſtrenger darin, ſind die erſten, welche die Haupt- gruͤnde derſelben untergraben, ob ſie gleich die
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gion zwecken auf Uneigennuͤtzigkeit, auf Reinigkeit
der Sitten, auf Wohlthun, auf Beſcheidenheit
ab: Alle durch Beſitzungen Groſſe, ſind darin
verflucht; ſie verbietet, irgend iemand ſeinen Herrn
zu nennen, weil alle gleiche Soͤhne eines Gottes
ſind: ſie befiehlt ſein Brod, ſeine Kleider, ohn’
Anſehn der Perſon, der Nation, der Religion
und der Geſinnungen mit ſeinen Bruͤdern zu thei-
len. …
Und gleichwohl bekennen ſie nicht alle Voͤlker
Europens?
— Um Verzeihung, erlauchter Sohn des
weiſeſten Alten.
— Aber wer ſind denn dieienigen, deren
Thaten wir in den Geſchichtsbuͤchern, die ihr mir
in verkehrter Sprache gegeben habt, leſen?
— Es ſind die naͤmlichen Voͤlker.
— Nun, erlauchte Chriſtinier, ſo ſpottet
ihr entweder meiner; oder dieſe Voͤlker ſpotten
uͤber ihren Geſetzgeber und uͤber den groſſen Gott,
den ſie, eurer Sage nach, anbeten!
— Sie ſpotten deren nicht, weiſer Teugnil:
aber hingeriſſen von ihren Leidenſchaften befolgen
ſie faſt in keinem Stuͤcke ihre Religion. Sogar
manche von denen, die vermoͤge ihres Standes auf
die Beobachtung derſelben ſehn ſolten, ſind nicht
ſtrenger darin, ſind die erſten, welche die Haupt-
gruͤnde derſelben untergraben, ob ſie gleich die
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/356>, abgerufen am 17.02.2025.
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