Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite



Gesetz, das auf keinen Menschen Rücksicht nimt.
Dies Gesetz ist in wenig Worten enthalten:

1. Sei gerecht gegen deinen Bruder; das
heißt: fodre nichts von ihm und thue
ihm nichts, was du selbst nicht geben
oder dir thun lassen woltest.
2. Sei gerecht gegen die Thiere, und betra-
ge dich so gegen sie, wie du wünschest,
daß ein höheres Geschöpf, als der
Mensch, dich behandeln möchte.
3. Unter Gleichen sei alles Gemein.
4. Jedermann arbeite an dem gemeinschaft-
lichen Wohl.
5. Jederman nehme gleichen Antheil
daran.

Jn diesem einzigen Gesetze sind alle Vorschrif-
ten enthalten. Wir glauben nicht, daß es ein
Volk giebt, welches mehrerer bedürfte, es müste
denn ein tirannisches oder sclavisches Volk sein:
dann sehe ich im voraus, ungeachtet ich nie ein
solches Volk gesehn habe, daß es eine Menge Ge-
setze und Bindemittel haben muß, um der Unge-
rechtigkeit, der Ungleichheit und der Tirannei eini-
ger Glieder gegen den ganzen Körper einen Schein
von Rechtmässigkeit zu geben. Diese unglücklichen
Völker glauben dadurch wenigstens das Glück de-
rer unter ihnen zu befördern, welche die Oberhand

behaup-



Geſetz, das auf keinen Menſchen Ruͤckſicht nimt.
Dies Geſetz iſt in wenig Worten enthalten:

1. Sei gerecht gegen deinen Bruder; das
heißt: fodre nichts von ihm und thue
ihm nichts, was du ſelbſt nicht geben
oder dir thun laſſen wolteſt.
2. Sei gerecht gegen die Thiere, und betra-
ge dich ſo gegen ſie, wie du wuͤnſcheſt,
daß ein hoͤheres Geſchoͤpf, als der
Menſch, dich behandeln moͤchte.
3. Unter Gleichen ſei alles Gemein.
4. Jedermann arbeite an dem gemeinſchaft-
lichen Wohl.
5. Jederman nehme gleichen Antheil
daran.

Jn dieſem einzigen Geſetze ſind alle Vorſchrif-
ten enthalten. Wir glauben nicht, daß es ein
Volk giebt, welches mehrerer beduͤrfte, es muͤſte
denn ein tiranniſches oder ſclaviſches Volk ſein:
dann ſehe ich im voraus, ungeachtet ich nie ein
ſolches Volk geſehn habe, daß es eine Menge Ge-
ſetze und Bindemittel haben muß, um der Unge-
rechtigkeit, der Ungleichheit und der Tirannei eini-
ger Glieder gegen den ganzen Koͤrper einen Schein
von Rechtmaͤſſigkeit zu geben. Dieſe ungluͤcklichen
Voͤlker glauben dadurch wenigſtens das Gluͤck de-
rer unter ihnen zu befoͤrdern, welche die Oberhand

behaup-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0326" n="318"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Ge&#x017F;etz, das auf keinen Men&#x017F;chen Ru&#x0364;ck&#x017F;icht nimt.<lb/>
Dies Ge&#x017F;etz i&#x017F;t in wenig Worten enthalten:</p><lb/>
          <list>
            <item> <hi rendition="#fr">1. Sei gerecht gegen deinen Bruder; das<lb/>
heißt: fodre nichts von ihm und thue<lb/>
ihm nichts, was du &#x017F;elb&#x017F;t nicht geben<lb/>
oder dir thun la&#x017F;&#x017F;en wolte&#x017F;t.</hi> </item><lb/>
            <item> <hi rendition="#fr">2. Sei gerecht gegen die Thiere, und betra-<lb/>
ge dich &#x017F;o gegen &#x017F;ie, wie du wu&#x0364;n&#x017F;che&#x017F;t,<lb/>
daß ein ho&#x0364;heres Ge&#x017F;cho&#x0364;pf, als der<lb/>
Men&#x017F;ch, dich behandeln mo&#x0364;chte.</hi> </item><lb/>
            <item> <hi rendition="#fr">3. Unter Gleichen &#x017F;ei alles Gemein.</hi> </item><lb/>
            <item> <hi rendition="#fr">4. Jedermann arbeite an dem gemein&#x017F;chaft-<lb/>
lichen Wohl.</hi> </item><lb/>
            <item> <hi rendition="#fr">5. Jederman nehme gleichen Antheil<lb/>
daran.</hi> </item>
          </list><lb/>
          <p>Jn die&#x017F;em einzigen Ge&#x017F;etze &#x017F;ind alle Vor&#x017F;chrif-<lb/>
ten enthalten. Wir glauben nicht, daß es ein<lb/>
Volk giebt, welches mehrerer bedu&#x0364;rfte, es mu&#x0364;&#x017F;te<lb/>
denn ein tiranni&#x017F;ches oder &#x017F;clavi&#x017F;ches Volk &#x017F;ein:<lb/>
dann &#x017F;ehe ich im voraus, ungeachtet ich nie ein<lb/>
&#x017F;olches Volk ge&#x017F;ehn habe, daß es eine Menge Ge-<lb/>
&#x017F;etze und Bindemittel haben muß, um der Unge-<lb/>
rechtigkeit, der Ungleichheit und der Tirannei eini-<lb/>
ger Glieder gegen den ganzen Ko&#x0364;rper einen Schein<lb/>
von Rechtma&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit zu geben. Die&#x017F;e unglu&#x0364;cklichen<lb/>
Vo&#x0364;lker glauben dadurch wenig&#x017F;tens das Glu&#x0364;ck de-<lb/>
rer unter ihnen zu befo&#x0364;rdern, welche die Oberhand<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">behaup-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0326] Geſetz, das auf keinen Menſchen Ruͤckſicht nimt. Dies Geſetz iſt in wenig Worten enthalten: 1. Sei gerecht gegen deinen Bruder; das heißt: fodre nichts von ihm und thue ihm nichts, was du ſelbſt nicht geben oder dir thun laſſen wolteſt. 2. Sei gerecht gegen die Thiere, und betra- ge dich ſo gegen ſie, wie du wuͤnſcheſt, daß ein hoͤheres Geſchoͤpf, als der Menſch, dich behandeln moͤchte. 3. Unter Gleichen ſei alles Gemein. 4. Jedermann arbeite an dem gemeinſchaft- lichen Wohl. 5. Jederman nehme gleichen Antheil daran. Jn dieſem einzigen Geſetze ſind alle Vorſchrif- ten enthalten. Wir glauben nicht, daß es ein Volk giebt, welches mehrerer beduͤrfte, es muͤſte denn ein tiranniſches oder ſclaviſches Volk ſein: dann ſehe ich im voraus, ungeachtet ich nie ein ſolches Volk geſehn habe, daß es eine Menge Ge- ſetze und Bindemittel haben muß, um der Unge- rechtigkeit, der Ungleichheit und der Tirannei eini- ger Glieder gegen den ganzen Koͤrper einen Schein von Rechtmaͤſſigkeit zu geben. Dieſe ungluͤcklichen Voͤlker glauben dadurch wenigſtens das Gluͤck de- rer unter ihnen zu befoͤrdern, welche die Oberhand behaup-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/326
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/326>, abgerufen am 23.11.2024.