Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.der Vergleichung, ein sichtbar lebendes Geschöpf über das andre, solte uns andere beinah unsichtbare, dem Thiere das sie nährt unbemerkbare Wesen vor Augen gelegt haben, sie solte uns auf diesem We- ge hingesetzt, die Vernunft dieses Ziel der Natur eingesehn haben; und wir wolten daraus nicht fol- gern, daß wir, lebende Geschöpfe gleichsam die Hautwürmer desienigen beseelten Wesens sind, das uns trägt und für sich selbst bestand, eh es un- sertwegen da war? ia auf dem wir nichts, als lästige Thierchen sein können, von denen es von Zeit zu Zeit sich gänzlich reinigt, ohne den Keim ganz zu vernichten, weil es ihn in sich hat, und wir würklich ein Stück von seinem Dasein ausma- chen. Zu welcher schrecklichen Wüste macht euer Weltweiser das Weltall, und wie klein wird in euern Augen das Wesen aller Wesen, der höchste Urheber von allen! Glaubt mir, Freunde, alles in der Natur ist lebend. Das höchste Wesen hat keine andern Diener als solche, die der unendli- chen Volkommenheit sich nähern. Die Erde lebt *); sie ist organisirt, hat ihr eigenes inneres Feuer, das *) Die nördlichen Menschen haben selbst die Bele-
bung der Erde geglaubt. Ovid läßt den Pytha- goras also reden: Nam sive est animal tellus, et vivit habetquo Spiramenta locis flammam exhalantia multis; Spirandi mutare vias quotiesque movetur. Has finire potest, illas aperire cavernas: Sive leves, etc. Met. l. 15. f. 8. der Vergleichung, ein ſichtbar lebendes Geſchoͤpf uͤber das andre, ſolte uns andere beinah unſichtbare, dem Thiere das ſie naͤhrt unbemerkbare Weſen vor Augen gelegt haben, ſie ſolte uns auf dieſem We- ge hingeſetzt, die Vernunft dieſes Ziel der Natur eingeſehn haben; und wir wolten daraus nicht fol- gern, daß wir, lebende Geſchoͤpfe gleichſam die Hautwuͤrmer desienigen beſeelten Weſens ſind, das uns traͤgt und fuͤr ſich ſelbſt beſtand, eh es un- ſertwegen da war? ia auf dem wir nichts, als laͤſtige Thierchen ſein koͤnnen, von denen es von Zeit zu Zeit ſich gaͤnzlich reinigt, ohne den Keim ganz zu vernichten, weil es ihn in ſich hat, und wir wuͤrklich ein Stuͤck von ſeinem Daſein ausma- chen. Zu welcher ſchrecklichen Wuͤſte macht euer Weltweiſer das Weltall, und wie klein wird in euern Augen das Weſen aller Weſen, der hoͤchſte Urheber von allen! Glaubt mir, Freunde, alles in der Natur iſt lebend. Das hoͤchſte Weſen hat keine andern Diener als ſolche, die der unendli- chen Volkommenheit ſich naͤhern. Die Erde lebt *); ſie iſt organiſirt, hat ihr eigenes inneres Feuer, das *) Die noͤrdlichen Menſchen haben ſelbſt die Bele-
bung der Erde geglaubt. Ovid laͤßt den Pytha- goras alſo reden: Nam ſive eſt animal tellus, et vivit habetquo Spiramenta locis flammam exhalantia multis; Spirandi mutare vias quotiesque movetur. Has finire poteſt, illas aperire cavernas: Sive leves, etc. Met. l. 15. f. 8. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0306" n="298"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> der Vergleichung, ein ſichtbar lebendes Geſchoͤpf<lb/> uͤber das andre, ſolte uns andere beinah unſichtbare,<lb/> dem Thiere das ſie naͤhrt unbemerkbare Weſen vor<lb/> Augen gelegt haben, ſie ſolte uns auf dieſem We-<lb/> ge hingeſetzt, die Vernunft dieſes Ziel der Natur<lb/> eingeſehn haben; und wir wolten daraus nicht fol-<lb/> gern, daß wir, lebende Geſchoͤpfe gleichſam die<lb/> Hautwuͤrmer desienigen beſeelten Weſens ſind, das<lb/> uns traͤgt und fuͤr ſich ſelbſt beſtand, eh es un-<lb/> ſertwegen da war? ia auf dem wir nichts, als<lb/> laͤſtige Thierchen ſein koͤnnen, von denen es von<lb/> Zeit zu Zeit ſich gaͤnzlich reinigt, ohne den Keim<lb/> ganz zu vernichten, weil es ihn in ſich hat, und<lb/> wir wuͤrklich ein Stuͤck von ſeinem Daſein ausma-<lb/> chen. Zu welcher ſchrecklichen Wuͤſte macht euer<lb/> Weltweiſer das Weltall, und wie klein wird in<lb/> euern Augen das Weſen aller Weſen, der hoͤchſte<lb/> Urheber von allen! Glaubt mir, Freunde, alles<lb/> in der Natur iſt lebend. Das hoͤchſte Weſen hat<lb/> keine andern Diener als ſolche, die der unendli-<lb/> chen Volkommenheit ſich naͤhern. Die Erde lebt <note place="foot" n="*)">Die noͤrdlichen Menſchen haben ſelbſt die Bele-<lb/> bung der Erde geglaubt. Ovid laͤßt den Pytha-<lb/> goras alſo reden:<lb/><hi rendition="#aq">Nam ſive eſt animal tellus, et vivit habetquo<lb/> Spiramenta locis flammam exhalantia multis;<lb/> Spirandi mutare vias quotiesque movetur.<lb/> Has finire poteſt, illas aperire cavernas:<lb/> Sive leves, etc.<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#i">Met. l. 15. f. 8.</hi></hi></hi></note>;<lb/> ſie iſt organiſirt, hat ihr eigenes inneres Feuer,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">das</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [298/0306]
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dem Thiere das ſie naͤhrt unbemerkbare Weſen vor
Augen gelegt haben, ſie ſolte uns auf dieſem We-
ge hingeſetzt, die Vernunft dieſes Ziel der Natur
eingeſehn haben; und wir wolten daraus nicht fol-
gern, daß wir, lebende Geſchoͤpfe gleichſam die
Hautwuͤrmer desienigen beſeelten Weſens ſind, das
uns traͤgt und fuͤr ſich ſelbſt beſtand, eh es un-
ſertwegen da war? ia auf dem wir nichts, als
laͤſtige Thierchen ſein koͤnnen, von denen es von
Zeit zu Zeit ſich gaͤnzlich reinigt, ohne den Keim
ganz zu vernichten, weil es ihn in ſich hat, und
wir wuͤrklich ein Stuͤck von ſeinem Daſein ausma-
chen. Zu welcher ſchrecklichen Wuͤſte macht euer
Weltweiſer das Weltall, und wie klein wird in
euern Augen das Weſen aller Weſen, der hoͤchſte
Urheber von allen! Glaubt mir, Freunde, alles
in der Natur iſt lebend. Das hoͤchſte Weſen hat
keine andern Diener als ſolche, die der unendli-
chen Volkommenheit ſich naͤhern. Die Erde lebt *);
ſie iſt organiſirt, hat ihr eigenes inneres Feuer,
das
*) Die noͤrdlichen Menſchen haben ſelbſt die Bele-
bung der Erde geglaubt. Ovid laͤßt den Pytha-
goras alſo reden:
Nam ſive eſt animal tellus, et vivit habetquo
Spiramenta locis flammam exhalantia multis;
Spirandi mutare vias quotiesque movetur.
Has finire poteſt, illas aperire cavernas:
Sive leves, etc.
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