Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite



ohne sich niederzulassen, aussaugen, und im beständi-
gen Fluge zu seyn scheinen. Er bemühte sich dies
Thierchen lebend zu fangen, und als er es hatte,
sucht' er den Mechanismum seines Fluges zu erfor-
schen, indem er die Bewegungen seiner Flügel unter-
suchte. Lange brachte er damit zu, und als er das
Geheimniß der Natur wegzuhaben glaubte, macht'
er neue Versuche.

Zwey ganzer Jahre Arbeit und Anstrengung, die
Johann Vezinier ohne Zweifel kürzer gefaßt haben
würde, brachten nichts als Dinge hervor, die un-
gestalt und unwirksam, in Rücksicht des Plans wa-
ren, den er ausführen und durch ihn die Natur ver-
vollkommen wollte.

Mittlerweile wuchs Christine an Jahren und
Schönheit. Man sprach von ihrer Vermählung.
Victorin darüber außer sich, verdoppelte seinen Fleiß.
Er untersuchte mit Sorgfalt den Flug jeden Jnsects
sowohl als jeden Vogels. Der Papillon schien ihm
leicht nachzuahmen; aber nur gehörte eine zu starke
Feder und zu große Flügel darzu. Er kam wieder
auf die Rebhühner, die der Flugart seines bunten
Papillons nahe kommen. Auch ihren Bau zer-
gliederte er mit Aufmerksamkeit. Der Flug der
Gänse und der größern Vögel scheint leicht, aber er
ist schwerfällig, und verlangt eine dichtere durch Kälte
mehr zusammengepreßte Luft, wie man sie in der
größten Höhe findet.

Betrachtungen dieser Art macht' er, ob er
gleich ein bloßer Landmann, jung und ohne Anwei-

sung



ohne ſich niederzulaſſen, ausſaugen, und im beſtaͤndi-
gen Fluge zu ſeyn ſcheinen. Er bemuͤhte ſich dies
Thierchen lebend zu fangen, und als er es hatte,
ſucht’ er den Mechanismum ſeines Fluges zu erfor-
ſchen, indem er die Bewegungen ſeiner Fluͤgel unter-
ſuchte. Lange brachte er damit zu, und als er das
Geheimniß der Natur wegzuhaben glaubte, macht’
er neue Verſuche.

Zwey ganzer Jahre Arbeit und Anſtrengung, die
Johann Vezinier ohne Zweifel kuͤrzer gefaßt haben
wuͤrde, brachten nichts als Dinge hervor, die un-
geſtalt und unwirkſam, in Ruͤckſicht des Plans wa-
ren, den er ausfuͤhren und durch ihn die Natur ver-
vollkommen wollte.

Mittlerweile wuchs Chriſtine an Jahren und
Schoͤnheit. Man ſprach von ihrer Vermaͤhlung.
Victorin daruͤber außer ſich, verdoppelte ſeinen Fleiß.
Er unterſuchte mit Sorgfalt den Flug jeden Jnſects
ſowohl als jeden Vogels. Der Papillon ſchien ihm
leicht nachzuahmen; aber nur gehoͤrte eine zu ſtarke
Feder und zu große Fluͤgel darzu. Er kam wieder
auf die Rebhuͤhner, die der Flugart ſeines bunten
Papillons nahe kommen. Auch ihren Bau zer-
gliederte er mit Aufmerkſamkeit. Der Flug der
Gaͤnſe und der groͤßern Voͤgel ſcheint leicht, aber er
iſt ſchwerfaͤllig, und verlangt eine dichtere durch Kaͤlte
mehr zuſammengepreßte Luft, wie man ſie in der
groͤßten Hoͤhe findet.

Betrachtungen dieſer Art macht’ er, ob er
gleich ein bloßer Landmann, jung und ohne Anwei-

ſung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0028" n="20"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ohne &#x017F;ich niederzula&#x017F;&#x017F;en, aus&#x017F;augen, und im be&#x017F;ta&#x0364;ndi-<lb/>
gen Fluge zu &#x017F;eyn &#x017F;cheinen. Er bemu&#x0364;hte &#x017F;ich dies<lb/>
Thierchen lebend zu fangen, und als er es hatte,<lb/>
&#x017F;ucht&#x2019; er den Mechanismum &#x017F;eines Fluges zu erfor-<lb/>
&#x017F;chen, indem er die Bewegungen &#x017F;einer Flu&#x0364;gel unter-<lb/>
&#x017F;uchte. Lange brachte er damit zu, und als er das<lb/>
Geheimniß der Natur wegzuhaben glaubte, macht&#x2019;<lb/>
er neue Ver&#x017F;uche.</p><lb/>
        <p>Zwey ganzer Jahre Arbeit und An&#x017F;trengung, die<lb/>
Johann Vezinier ohne Zweifel ku&#x0364;rzer gefaßt haben<lb/>
wu&#x0364;rde, brachten nichts als Dinge hervor, die un-<lb/>
ge&#x017F;talt und unwirk&#x017F;am, in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht des Plans wa-<lb/>
ren, den er ausfu&#x0364;hren und durch ihn die Natur ver-<lb/>
vollkommen wollte.</p><lb/>
        <p>Mittlerweile wuchs Chri&#x017F;tine an Jahren und<lb/>
Scho&#x0364;nheit. Man &#x017F;prach von ihrer Verma&#x0364;hlung.<lb/>
Victorin daru&#x0364;ber außer &#x017F;ich, verdoppelte &#x017F;einen Fleiß.<lb/>
Er unter&#x017F;uchte mit Sorgfalt den Flug jeden Jn&#x017F;ects<lb/>
&#x017F;owohl als jeden Vogels. Der Papillon &#x017F;chien ihm<lb/>
leicht nachzuahmen; aber nur geho&#x0364;rte eine zu &#x017F;tarke<lb/>
Feder und zu große Flu&#x0364;gel darzu. Er kam wieder<lb/>
auf die Rebhu&#x0364;hner, die der Flugart &#x017F;eines bunten<lb/><hi rendition="#fr">Papillons</hi> nahe kommen. Auch ihren Bau zer-<lb/>
gliederte er mit Aufmerk&#x017F;amkeit. Der Flug der<lb/>
Ga&#x0364;n&#x017F;e und der gro&#x0364;ßern Vo&#x0364;gel &#x017F;cheint leicht, aber er<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;chwerfa&#x0364;llig, und verlangt eine dichtere durch Ka&#x0364;lte<lb/>
mehr zu&#x017F;ammengepreßte Luft, wie man &#x017F;ie in der<lb/>
gro&#x0364;ßten Ho&#x0364;he findet.</p><lb/>
        <p>Betrachtungen die&#x017F;er Art macht&#x2019; er, ob er<lb/>
gleich ein bloßer Landmann, jung und ohne Anwei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ung</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0028] ohne ſich niederzulaſſen, ausſaugen, und im beſtaͤndi- gen Fluge zu ſeyn ſcheinen. Er bemuͤhte ſich dies Thierchen lebend zu fangen, und als er es hatte, ſucht’ er den Mechanismum ſeines Fluges zu erfor- ſchen, indem er die Bewegungen ſeiner Fluͤgel unter- ſuchte. Lange brachte er damit zu, und als er das Geheimniß der Natur wegzuhaben glaubte, macht’ er neue Verſuche. Zwey ganzer Jahre Arbeit und Anſtrengung, die Johann Vezinier ohne Zweifel kuͤrzer gefaßt haben wuͤrde, brachten nichts als Dinge hervor, die un- geſtalt und unwirkſam, in Ruͤckſicht des Plans wa- ren, den er ausfuͤhren und durch ihn die Natur ver- vollkommen wollte. Mittlerweile wuchs Chriſtine an Jahren und Schoͤnheit. Man ſprach von ihrer Vermaͤhlung. Victorin daruͤber außer ſich, verdoppelte ſeinen Fleiß. Er unterſuchte mit Sorgfalt den Flug jeden Jnſects ſowohl als jeden Vogels. Der Papillon ſchien ihm leicht nachzuahmen; aber nur gehoͤrte eine zu ſtarke Feder und zu große Fluͤgel darzu. Er kam wieder auf die Rebhuͤhner, die der Flugart ſeines bunten Papillons nahe kommen. Auch ihren Bau zer- gliederte er mit Aufmerkſamkeit. Der Flug der Gaͤnſe und der groͤßern Voͤgel ſcheint leicht, aber er iſt ſchwerfaͤllig, und verlangt eine dichtere durch Kaͤlte mehr zuſammengepreßte Luft, wie man ſie in der groͤßten Hoͤhe findet. Betrachtungen dieſer Art macht’ er, ob er gleich ein bloßer Landmann, jung und ohne Anwei- ſung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/28
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/28>, abgerufen am 23.11.2024.