Augenblick an, ward die Freundschaft befestigt. Man willigte ihnen zwei iunge Leute beiderlei Ge- schlechts, mit auf die Christininsel zu geben, um so lang' als nöthig, daselbst Unterricht zu erhalten. Dies ward den andern Tag sogleich bewerkstelligt, und die Löwenmenschen riefen, als sie die Flie- genden ihre Zöglinge durch die Luft nach dem Schif- fe tragen sahen, durch ein Freudengebrülle ihnen Glück zu.
Die Löwenmenschen erregten bei der Ankunft auf der Christininsel nicht wenig Erstaunen. Man versäumte nichts in ihrer Unterweisung: Aber man gab ihrer fleischfressenden Neigung wegen, sorgfäl- tig auf sie Achtung.
Nun genossen Hermantin und seine Gefährten, im Schoosse ihrer Familien beinah ein Jahr lang Ruhe, ohn' eine neue Reise zu unternehmen. Vic- torin und Christine waren sehr alt, aber voller Verstand und besonders glücklich. Sie sahen ihre Kolonie mehr durch Tugend als Reichthum, der dort ganz unnütz war, gedeihen. Ein Beweis von der Thorheit der Europäer, die um glücklich zu sein die Tugend verlassen, und den Reichthü- mern nachhängen. Bei den Christiniern im Gegen- theil hatte man den beständigen und nie trügenden Beweis, daß das ganze Geheimnis des öffentlichen und Privatglücks in der Gerechtigkeit gegen alle Wesen, ia sogar gegen die Thiere bestehe. Denn wenn ihr grausam gegen diese minder volkom- nen Brüder seid, so werdet ihr es auch bald
gegen
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Augenblick an, ward die Freundſchaft befeſtigt. Man willigte ihnen zwei iunge Leute beiderlei Ge- ſchlechts, mit auf die Chriſtininſel zu geben, um ſo lang’ als noͤthig, daſelbſt Unterricht zu erhalten. Dies ward den andern Tag ſogleich bewerkſtelligt, und die Loͤwenmenſchen riefen, als ſie die Flie- genden ihre Zoͤglinge durch die Luft nach dem Schif- fe tragen ſahen, durch ein Freudengebruͤlle ihnen Gluͤck zu.
Die Loͤwenmenſchen erregten bei der Ankunft auf der Chriſtininſel nicht wenig Erſtaunen. Man verſaͤumte nichts in ihrer Unterweiſung: Aber man gab ihrer fleiſchfreſſenden Neigung wegen, ſorgfaͤl- tig auf ſie Achtung.
Nun genoſſen Hermantin und ſeine Gefaͤhrten, im Schooſſe ihrer Familien beinah ein Jahr lang Ruhe, ohn’ eine neue Reiſe zu unternehmen. Vic- torin und Chriſtine waren ſehr alt, aber voller Verſtand und beſonders gluͤcklich. Sie ſahen ihre Kolonie mehr durch Tugend als Reichthum, der dort ganz unnuͤtz war, gedeihen. Ein Beweis von der Thorheit der Europaͤer, die um gluͤcklich zu ſein die Tugend verlaſſen, und den Reichthuͤ- mern nachhaͤngen. Bei den Chriſtiniern im Gegen- theil hatte man den beſtaͤndigen und nie truͤgenden Beweis, daß das ganze Geheimnis des oͤffentlichen und Privatgluͤcks in der Gerechtigkeit gegen alle Weſen, ia ſogar gegen die Thiere beſtehe. Denn wenn ihr grauſam gegen dieſe minder volkom- nen Bruͤder ſeid, ſo werdet ihr es auch bald
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Augenblick an, ward die Freundſchaft befeſtigt.
Man willigte ihnen zwei iunge Leute beiderlei Ge-
ſchlechts, mit auf die Chriſtininſel zu geben, um
ſo lang’ als noͤthig, daſelbſt Unterricht zu erhalten.
Dies ward den andern Tag ſogleich bewerkſtelligt,
und die Loͤwenmenſchen riefen, als ſie die Flie-
genden ihre Zoͤglinge durch die Luft nach dem Schif-
fe tragen ſahen, durch ein Freudengebruͤlle ihnen
Gluͤck zu.
Die Loͤwenmenſchen erregten bei der Ankunft
auf der Chriſtininſel nicht wenig Erſtaunen. Man
verſaͤumte nichts in ihrer Unterweiſung: Aber man
gab ihrer fleiſchfreſſenden Neigung wegen, ſorgfaͤl-
tig auf ſie Achtung.
Nun genoſſen Hermantin und ſeine Gefaͤhrten,
im Schooſſe ihrer Familien beinah ein Jahr lang
Ruhe, ohn’ eine neue Reiſe zu unternehmen. Vic-
torin und Chriſtine waren ſehr alt, aber voller
Verſtand und beſonders gluͤcklich. Sie ſahen ihre
Kolonie mehr durch Tugend als Reichthum, der
dort ganz unnuͤtz war, gedeihen. Ein Beweis
von der Thorheit der Europaͤer, die um gluͤcklich
zu ſein die Tugend verlaſſen, und den Reichthuͤ-
mern nachhaͤngen. Bei den Chriſtiniern im Gegen-
theil hatte man den beſtaͤndigen und nie truͤgenden
Beweis, daß das ganze Geheimnis des oͤffentlichen
und Privatgluͤcks in der Gerechtigkeit gegen alle
Weſen, ia ſogar gegen die Thiere beſtehe. Denn
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/273>, abgerufen am 19.07.2024.
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