Schonung hoffen und ihrer Menge wegen, nicht auf Verschwiegenheit rechnen konte, legte sich auf die Seeräuberei; welches ich durch den kleinen Schifferknaben erfuhr, den sie, unzufrieden mit ihm, vorigen Sommer auf diese Jnsel aussetzten, weil sie uns für ausgemacht todt hielten. Da ich aber glücklicherweise ein Fernglas bei mir hatte, ward ich sie gewahr, und versteckte mich, um sie zu beobachten. Wär' ich dem Knaben nicht so- gleich zu Hülfe geeilt, so würden die Meerwiesel, sobald iene Unmenschen abgesegelt gewesen waren, ihn gewis verzehrt haben. Welchen Trost er in mir fand, könt ihr euch leicht vorstellen.
Nun muß ich euch noch die Art, wie ich mich mit meiner Familie zwanzig Jahr hindurch, seit meiner Verlassung bis ietzt, erhalten habe, er- zählen. Aber dies soll in meiner Grotte mit meh- rerer Bequemlichkeit als hier geschehn.
Die drei fliegenden Menschen folgten ihrem Wirthe. Auf ein gegebenes Zeichen erschien so- gleich seine Gattin, die noch einige Ueberbleibsel europäischer Kleidungsstücke an sich hatte; eine iunge schwangere Frau; ein ander Frauenzimmer von einer unbekanten Gattung, denn sie hatte ei- nen Schweif, Ziegenhörner und lange Haare, da- bei iedoch viel Sanftmuth und eine ganz artige Bildung; zwei iunge Männer mit Fellen beklei- det, deren Anblick einige Wildheit verrieth, der eine mit einem Degen, der andre mit einer Hacke
bewaf-
Schonung hoffen und ihrer Menge wegen, nicht auf Verſchwiegenheit rechnen konte, legte ſich auf die Seeraͤuberei; welches ich durch den kleinen Schifferknaben erfuhr, den ſie, unzufrieden mit ihm, vorigen Sommer auf dieſe Jnſel ausſetzten, weil ſie uns fuͤr ausgemacht todt hielten. Da ich aber gluͤcklicherweiſe ein Fernglas bei mir hatte, ward ich ſie gewahr, und verſteckte mich, um ſie zu beobachten. Waͤr’ ich dem Knaben nicht ſo- gleich zu Huͤlfe geeilt, ſo wuͤrden die Meerwieſel, ſobald iene Unmenſchen abgeſegelt geweſen waren, ihn gewis verzehrt haben. Welchen Troſt er in mir fand, koͤnt ihr euch leicht vorſtellen.
Nun muß ich euch noch die Art, wie ich mich mit meiner Familie zwanzig Jahr hindurch, ſeit meiner Verlaſſung bis ietzt, erhalten habe, er- zaͤhlen. Aber dies ſoll in meiner Grotte mit meh- rerer Bequemlichkeit als hier geſchehn.
Die drei fliegenden Menſchen folgten ihrem Wirthe. Auf ein gegebenes Zeichen erſchien ſo- gleich ſeine Gattin, die noch einige Ueberbleibſel europaͤiſcher Kleidungsſtuͤcke an ſich hatte; eine iunge ſchwangere Frau; ein ander Frauenzimmer von einer unbekanten Gattung, denn ſie hatte ei- nen Schweif, Ziegenhoͤrner und lange Haare, da- bei iedoch viel Sanftmuth und eine ganz artige Bildung; zwei iunge Maͤnner mit Fellen beklei- det, deren Anblick einige Wildheit verrieth, der eine mit einem Degen, der andre mit einer Hacke
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[212/0220]
Schonung hoffen und ihrer Menge wegen, nicht
auf Verſchwiegenheit rechnen konte, legte ſich auf
die Seeraͤuberei; welches ich durch den kleinen
Schifferknaben erfuhr, den ſie, unzufrieden mit
ihm, vorigen Sommer auf dieſe Jnſel ausſetzten,
weil ſie uns fuͤr ausgemacht todt hielten. Da ich
aber gluͤcklicherweiſe ein Fernglas bei mir hatte,
ward ich ſie gewahr, und verſteckte mich, um
ſie zu beobachten. Waͤr’ ich dem Knaben nicht ſo-
gleich zu Huͤlfe geeilt, ſo wuͤrden die Meerwieſel,
ſobald iene Unmenſchen abgeſegelt geweſen waren,
ihn gewis verzehrt haben. Welchen Troſt er in
mir fand, koͤnt ihr euch leicht vorſtellen.
Nun muß ich euch noch die Art, wie ich
mich mit meiner Familie zwanzig Jahr hindurch,
ſeit meiner Verlaſſung bis ietzt, erhalten habe, er-
zaͤhlen. Aber dies ſoll in meiner Grotte mit meh-
rerer Bequemlichkeit als hier geſchehn.
Die drei fliegenden Menſchen folgten ihrem
Wirthe. Auf ein gegebenes Zeichen erſchien ſo-
gleich ſeine Gattin, die noch einige Ueberbleibſel
europaͤiſcher Kleidungsſtuͤcke an ſich hatte; eine
iunge ſchwangere Frau; ein ander Frauenzimmer
von einer unbekanten Gattung, denn ſie hatte ei-
nen Schweif, Ziegenhoͤrner und lange Haare, da-
bei iedoch viel Sanftmuth und eine ganz artige
Bildung; zwei iunge Maͤnner mit Fellen beklei-
det, deren Anblick einige Wildheit verrieth, der
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/220>, abgerufen am 16.02.2025.
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