heit der Menschen einzuathmen: denn nichts auf der Welt versetzt den Menschen stärker in seinen natürli- chen Zustand, als ein freyes angebautes Feld, das von Wald oder wüsten Aeckern umgeben ist; steigt man zumal einen Hügel hinan; o dann bemächtigt' sich unser eine sanfte Empfindung unbekannt in be- wohnten Gegenden, und zumal hier, wo man nur künstliche Wälder sieht, und wo alles das Gepräge der Vertheidigung und der Einschränkung trägt.
Es befand sich in dem Hause des Fiscalprocura- tors ein Bedienter, der ein ziemlicher Taugenichts, aber dabey ein großer Leser war, Johann Vezinier mit Namen. Dieser Bursche hatte die schönen und wah- ren Begebenheiten des Fortunatus gelesen, der durch Hülfe seines Wünschhütleins sich nebst seiner Schönen, wohin er wollte, begab, den Michel Morin die Ehe des Todes mit dem Todten- gräber; das Büchlein von der Geburt der kleinen Morats und ihrer Kinder, die Erde anstatt des Brods aßen etc. diesem Burschen, dessen Verstand mit so viel schönen Kenntnissen ausgeziert war, ent- deckte Victorin sein ganzes Verlangen Flügel zu ha- ben, um zu fliegen.
Johann Vezinier hört ihn mit ernster Mine an, und nachdem er länger als drey Viertel Stunden nachgedacht hatte, antwortet er: das ist nicht unmöglich.
Victorin ganz außer sich, hüpfte für Freuden, und bat den Vezinier, der viel Anlage zu solchen klei- nen Erfindungen hatte, Hand ans Werk zu legen, und
mit
heit der Menſchen einzuathmen: denn nichts auf der Welt verſetzt den Menſchen ſtaͤrker in ſeinen natuͤrli- chen Zuſtand, als ein freyes angebautes Feld, das von Wald oder wuͤſten Aeckern umgeben iſt; ſteigt man zumal einen Huͤgel hinan; o dann bemaͤchtigt’ ſich unſer eine ſanfte Empfindung unbekannt in be- wohnten Gegenden, und zumal hier, wo man nur kuͤnſtliche Waͤlder ſieht, und wo alles das Gepraͤge der Vertheidigung und der Einſchraͤnkung traͤgt.
Es befand ſich in dem Hauſe des Fiſcalprocura- tors ein Bedienter, der ein ziemlicher Taugenichts, aber dabey ein großer Leſer war, Johann Vezinier mit Namen. Dieſer Burſche hatte die ſchoͤnen und wah- ren Begebenheiten des Fortunatus geleſen, der durch Huͤlfe ſeines Wuͤnſchhuͤtleins ſich nebſt ſeiner Schoͤnen, wohin er wollte, begab, den Michel Morin die Ehe des Todes mit dem Todten- graͤber; das Buͤchlein von der Geburt der kleinen Morats und ihrer Kinder, die Erde anſtatt des Brods aßen ꝛc. dieſem Burſchen, deſſen Verſtand mit ſo viel ſchoͤnen Kenntniſſen ausgeziert war, ent- deckte Victorin ſein ganzes Verlangen Fluͤgel zu ha- ben, um zu fliegen.
Johann Vezinier hoͤrt ihn mit ernſter Mine an, und nachdem er laͤnger als drey Viertel Stunden nachgedacht hatte, antwortet er: das iſt nicht unmoͤglich.
Victorin ganz außer ſich, huͤpfte fuͤr Freuden, und bat den Vezinier, der viel Anlage zu ſolchen klei- nen Erfindungen hatte, Hand ans Werk zu legen, und
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[12/0020]
heit der Menſchen einzuathmen: denn nichts auf der
Welt verſetzt den Menſchen ſtaͤrker in ſeinen natuͤrli-
chen Zuſtand, als ein freyes angebautes Feld, das
von Wald oder wuͤſten Aeckern umgeben iſt; ſteigt
man zumal einen Huͤgel hinan; o dann bemaͤchtigt’
ſich unſer eine ſanfte Empfindung unbekannt in be-
wohnten Gegenden, und zumal hier, wo man nur
kuͤnſtliche Waͤlder ſieht, und wo alles das Gepraͤge
der Vertheidigung und der Einſchraͤnkung traͤgt.
Es befand ſich in dem Hauſe des Fiſcalprocura-
tors ein Bedienter, der ein ziemlicher Taugenichts,
aber dabey ein großer Leſer war, Johann Vezinier mit
Namen. Dieſer Burſche hatte die ſchoͤnen und wah-
ren Begebenheiten des Fortunatus geleſen, der
durch Huͤlfe ſeines Wuͤnſchhuͤtleins ſich nebſt ſeiner
Schoͤnen, wohin er wollte, begab, den Michel
Morin die Ehe des Todes mit dem Todten-
graͤber; das Buͤchlein von der Geburt der kleinen
Morats und ihrer Kinder, die Erde anſtatt des
Brods aßen ꝛc. dieſem Burſchen, deſſen Verſtand
mit ſo viel ſchoͤnen Kenntniſſen ausgeziert war, ent-
deckte Victorin ſein ganzes Verlangen Fluͤgel zu ha-
ben, um zu fliegen.
Johann Vezinier hoͤrt ihn mit ernſter Mine an,
und nachdem er laͤnger als drey Viertel Stunden
nachgedacht hatte, antwortet er: das iſt nicht
unmoͤglich.
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/20>, abgerufen am 16.07.2024.
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