unbeschreiblich grosser Vögel gab. Sie giengen gerade nach Süden, und nahmen ihre Richtung nach dem Mittagspunct, der durch die Sterne im Schwanze des Steinbocks sich auszeichnet. Jn acht Nächten erreichten sie die Mittagslinie, und da sie sich nach Maasse der Hitze immer höher schwangen, fiel ihnen diese nicht beschwerlich. Jm Gegentheil hatten sie in der Nacht oft Mühe sich vor der Kühle zu schützen; denn am Tage ruhten sie auf steilen Fel- sen aus, und schliefen mit dem Kopf auf ihren Korb gelegt.
Wenig Personen konnten sie auf dieser Reise be- merken: Dunkelheit bey ihrer Abreise und die grosse Höhe, in welcher sie sich alsdann hielten, führte sie den Augen der Landleute wie eine kleine Wolke vor- bey. Die Stadtlente sahen davon gar nichts, ausge- nommen zu Cairo in Aegypten, wo die fliegenden Männer sich niedersenkten, um ein grosses Krokodil, das auf dem Nil schlief, zu betrachten. Jhre Er- scheinung setzte die ganze Stadt, Muselmänner, Copten und Juden in ein allgemeines Schrecken. Die ersten glaubten, daß Mahomet selbst käme, um sie wegen ihres öftern Aufruhrs zu bestrafen; die zweyten dachten das Ende der Welt sey vorhanden; die Juden aber öfneten alle Fenster und fingen an zu schreyen, Messias! Messias! Adanai! doch die einen sowohl als die andern stauneten sehr, als sie die beyden fliegenden Männer ohne Aufenthalt vor- beyziehn, und auf die höchste Pyramide sich nie- dersetzen sahen.
Vic-
H 2
unbeſchreiblich groſſer Voͤgel gab. Sie giengen gerade nach Suͤden, und nahmen ihre Richtung nach dem Mittagspunct, der durch die Sterne im Schwanze des Steinbocks ſich auszeichnet. Jn acht Naͤchten erreichten ſie die Mittagslinie, und da ſie ſich nach Maaſſe der Hitze immer hoͤher ſchwangen, fiel ihnen dieſe nicht beſchwerlich. Jm Gegentheil hatten ſie in der Nacht oft Muͤhe ſich vor der Kuͤhle zu ſchuͤtzen; denn am Tage ruhten ſie auf ſteilen Fel- ſen aus, und ſchliefen mit dem Kopf auf ihren Korb gelegt.
Wenig Perſonen konnten ſie auf dieſer Reiſe be- merken: Dunkelheit bey ihrer Abreiſe und die groſſe Hoͤhe, in welcher ſie ſich alsdann hielten, fuͤhrte ſie den Augen der Landleute wie eine kleine Wolke vor- bey. Die Stadtlente ſahen davon gar nichts, ausge- nommen zu Cairo in Aegypten, wo die fliegenden Maͤnner ſich niederſenkten, um ein groſſes Krokodil, das auf dem Nil ſchlief, zu betrachten. Jhre Er- ſcheinung ſetzte die ganze Stadt, Muſelmaͤnner, Copten und Juden in ein allgemeines Schrecken. Die erſten glaubten, daß Mahomet ſelbſt kaͤme, um ſie wegen ihres oͤftern Aufruhrs zu beſtrafen; die zweyten dachten das Ende der Welt ſey vorhanden; die Juden aber oͤfneten alle Fenſter und fingen an zu ſchreyen, Meſſias! Meſſias! Adanai! doch die einen ſowohl als die andern ſtauneten ſehr, als ſie die beyden fliegenden Maͤnner ohne Aufenthalt vor- beyziehn, und auf die hoͤchſte Pyramide ſich nie- derſetzen ſahen.
Vic-
H 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0123"n="115"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
unbeſchreiblich groſſer Voͤgel gab. Sie giengen<lb/>
gerade nach Suͤden, und nahmen ihre Richtung<lb/>
nach dem Mittagspunct, der durch die Sterne im<lb/>
Schwanze des Steinbocks ſich auszeichnet. Jn acht<lb/>
Naͤchten erreichten ſie die Mittagslinie, und da ſie<lb/>ſich nach Maaſſe der Hitze immer hoͤher ſchwangen,<lb/>
fiel ihnen dieſe nicht beſchwerlich. Jm Gegentheil<lb/>
hatten ſie in der Nacht oft Muͤhe ſich vor der Kuͤhle<lb/>
zu ſchuͤtzen; denn am Tage ruhten ſie auf ſteilen Fel-<lb/>ſen aus, und ſchliefen mit dem Kopf auf ihren Korb<lb/>
gelegt.</p><lb/><p>Wenig Perſonen konnten ſie auf dieſer Reiſe be-<lb/>
merken: Dunkelheit bey ihrer Abreiſe und die groſſe<lb/>
Hoͤhe, in welcher ſie ſich alsdann hielten, fuͤhrte ſie<lb/>
den Augen der Landleute wie eine kleine Wolke vor-<lb/>
bey. Die Stadtlente ſahen davon gar nichts, ausge-<lb/>
nommen zu Cairo in Aegypten, wo die fliegenden<lb/>
Maͤnner ſich niederſenkten, um ein groſſes Krokodil,<lb/>
das auf dem Nil ſchlief, zu betrachten. Jhre Er-<lb/>ſcheinung ſetzte die ganze Stadt, Muſelmaͤnner,<lb/>
Copten und Juden in ein allgemeines Schrecken.<lb/>
Die erſten glaubten, daß Mahomet ſelbſt kaͤme, um<lb/>ſie wegen ihres oͤftern Aufruhrs zu beſtrafen; die<lb/>
zweyten dachten das Ende der Welt ſey vorhanden;<lb/>
die Juden aber oͤfneten alle Fenſter und fingen an<lb/>
zu ſchreyen, Meſſias! Meſſias! Adanai! doch die<lb/>
einen ſowohl als die andern ſtauneten ſehr, als ſie<lb/>
die beyden fliegenden Maͤnner ohne Aufenthalt vor-<lb/>
beyziehn, und auf die hoͤchſte Pyramide ſich nie-<lb/>
derſetzen ſahen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">H 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Vic-</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[115/0123]
unbeſchreiblich groſſer Voͤgel gab. Sie giengen
gerade nach Suͤden, und nahmen ihre Richtung
nach dem Mittagspunct, der durch die Sterne im
Schwanze des Steinbocks ſich auszeichnet. Jn acht
Naͤchten erreichten ſie die Mittagslinie, und da ſie
ſich nach Maaſſe der Hitze immer hoͤher ſchwangen,
fiel ihnen dieſe nicht beſchwerlich. Jm Gegentheil
hatten ſie in der Nacht oft Muͤhe ſich vor der Kuͤhle
zu ſchuͤtzen; denn am Tage ruhten ſie auf ſteilen Fel-
ſen aus, und ſchliefen mit dem Kopf auf ihren Korb
gelegt.
Wenig Perſonen konnten ſie auf dieſer Reiſe be-
merken: Dunkelheit bey ihrer Abreiſe und die groſſe
Hoͤhe, in welcher ſie ſich alsdann hielten, fuͤhrte ſie
den Augen der Landleute wie eine kleine Wolke vor-
bey. Die Stadtlente ſahen davon gar nichts, ausge-
nommen zu Cairo in Aegypten, wo die fliegenden
Maͤnner ſich niederſenkten, um ein groſſes Krokodil,
das auf dem Nil ſchlief, zu betrachten. Jhre Er-
ſcheinung ſetzte die ganze Stadt, Muſelmaͤnner,
Copten und Juden in ein allgemeines Schrecken.
Die erſten glaubten, daß Mahomet ſelbſt kaͤme, um
ſie wegen ihres oͤftern Aufruhrs zu beſtrafen; die
zweyten dachten das Ende der Welt ſey vorhanden;
die Juden aber oͤfneten alle Fenſter und fingen an
zu ſchreyen, Meſſias! Meſſias! Adanai! doch die
einen ſowohl als die andern ſtauneten ſehr, als ſie
die beyden fliegenden Maͤnner ohne Aufenthalt vor-
beyziehn, und auf die hoͤchſte Pyramide ſich nie-
derſetzen ſahen.
Vic-
H 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/123>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.