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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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3. Lackindustrie.
ments, um hineingefallene Rindenstückchen zu beseitigen, und macht
dann eine Spanne (15--20 cm) höher auf entgegengesetzter Seite einen
zweiten, einen dritten um wiederum soviel höher und auf einer andern
Seite u. s. f., so weit er reichen kann, an 6--10 Stellen rasch hinter
einander. Ich habe zugesehen, dass ein geübter Urushi-shokunin in
jeder Sekunde eine Furche zog. Hierauf wendet er sich zu einem
zweiten Baume und verfährt ebenso. Hat er auf diese Weise 10 bis
15 Bäume geritzt, so kehrt er zum ersten zurück und sammelt nun in
derselben Ordnung den Rohlack oder Ki-urushi ein. Es ist eine
grauweisse, dickflüssige Emulsion, die sich an der Luft rasch gelb-
braun und später bald schwarz färbt. Dieselbe füllt die Gürtelfurchen
und fliesst nur ausnahmsweise etwas über. Mit der Spitze des Natsu-
bera wird sie ausgekratzt und dann über den Rand des kleinen Eimers
(go), den der Arbeiter dabei in der linken Hand hält, in denselben
abgestrichen.

Hat der Lackzapfer diese Arbeit beendet, so begibt er sich zu
einer andern Baumgruppe und verfährt hier ebenso und so fort. Erst
nach 4 Tagen pflegt er zu seiner ersten Abteilung Bäume zurück zu
kehren und macht nun etwa 2 mm tiefer und parallel zu den ersten
Ritzen neue, so auch bei den andern Baumgruppen, die er in Behand-
lung hat, indem er nach jeder neuen Serie von Ritzen in der betref-
fenden Gruppe den Lack auskratzt. Da nun diese Operation in den-
selben Intervallen in der Regel 15--20 mal wiederholt wird, so ergibt
sich, dass der Lackzapfer einen Zeitraum von mindestens 60 bis
80 Tagen, oft aber gegen 100 Tage braucht, bevor er die Arbeit
beendet hat. Dann bringt er auch den noch nicht geritzten Stellen
Gürtelschnitte bei, sowie den Aesten, jedoch in grösserer Entfernung
und nur, wenn die Bäume der Lackgewinnung ganz geopfert werden
sollen. Will man dieselben aber für eine weitere Lack- und insbe-
sondere auch für die Wachsgewinnung erhalten, so ist eine sorgfältigere
Behandlung und spärlicheres Ritzen selbstverständlich. Im ersteren
Falle, wo also die Bäume bis zur Erschöpfung behandelt werden, pflegt
man endlich nach dem Laubfall die Aeste abzuhauen, die dickeren
Stücke in Wellen von etwa 1 m Länge zu binden und diese dann mit
dem Kopfende in warmes Wasser zu stellen. Man ritzt die aus dem
letzteren hervorragenden Theile der Aststücke an, gewinnt auch hier-
bei noch Lack, dreht später die Wellen um und wiederholt das Ver-
fahren auch auf der andern Seite. Statt durch Wasser, kann man
den Saft auch durch die Wärme eines Feuers nochmals in Circulation
setzen. Der so gewonnene Astlack, Seshime oder Shime-urushi,
gilt jedoch für die schlechteste Sorte und wird fast nur für Grundie-

3. Lackindustrie.
ments, um hineingefallene Rindenstückchen zu beseitigen, und macht
dann eine Spanne (15—20 cm) höher auf entgegengesetzter Seite einen
zweiten, einen dritten um wiederum soviel höher und auf einer andern
Seite u. s. f., so weit er reichen kann, an 6—10 Stellen rasch hinter
einander. Ich habe zugesehen, dass ein geübter Urushi-shôkunin in
jeder Sekunde eine Furche zog. Hierauf wendet er sich zu einem
zweiten Baume und verfährt ebenso. Hat er auf diese Weise 10 bis
15 Bäume geritzt, so kehrt er zum ersten zurück und sammelt nun in
derselben Ordnung den Rohlack oder Ki-urushi ein. Es ist eine
grauweisse, dickflüssige Emulsion, die sich an der Luft rasch gelb-
braun und später bald schwarz färbt. Dieselbe füllt die Gürtelfurchen
und fliesst nur ausnahmsweise etwas über. Mit der Spitze des Natsu-
bera wird sie ausgekratzt und dann über den Rand des kleinen Eimers
(gô), den der Arbeiter dabei in der linken Hand hält, in denselben
abgestrichen.

Hat der Lackzapfer diese Arbeit beendet, so begibt er sich zu
einer andern Baumgruppe und verfährt hier ebenso und so fort. Erst
nach 4 Tagen pflegt er zu seiner ersten Abteilung Bäume zurück zu
kehren und macht nun etwa 2 mm tiefer und parallel zu den ersten
Ritzen neue, so auch bei den andern Baumgruppen, die er in Behand-
lung hat, indem er nach jeder neuen Serie von Ritzen in der betref-
fenden Gruppe den Lack auskratzt. Da nun diese Operation in den-
selben Intervallen in der Regel 15—20 mal wiederholt wird, so ergibt
sich, dass der Lackzapfer einen Zeitraum von mindestens 60 bis
80 Tagen, oft aber gegen 100 Tage braucht, bevor er die Arbeit
beendet hat. Dann bringt er auch den noch nicht geritzten Stellen
Gürtelschnitte bei, sowie den Aesten, jedoch in grösserer Entfernung
und nur, wenn die Bäume der Lackgewinnung ganz geopfert werden
sollen. Will man dieselben aber für eine weitere Lack- und insbe-
sondere auch für die Wachsgewinnung erhalten, so ist eine sorgfältigere
Behandlung und spärlicheres Ritzen selbstverständlich. Im ersteren
Falle, wo also die Bäume bis zur Erschöpfung behandelt werden, pflegt
man endlich nach dem Laubfall die Aeste abzuhauen, die dickeren
Stücke in Wellen von etwa 1 m Länge zu binden und diese dann mit
dem Kopfende in warmes Wasser zu stellen. Man ritzt die aus dem
letzteren hervorragenden Theile der Aststücke an, gewinnt auch hier-
bei noch Lack, dreht später die Wellen um und wiederholt das Ver-
fahren auch auf der andern Seite. Statt durch Wasser, kann man
den Saft auch durch die Wärme eines Feuers nochmals in Circulation
setzen. Der so gewonnene Astlack, Seshime oder Shime-urushi,
gilt jedoch für die schlechteste Sorte und wird fast nur für Grundie-

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[407/0431] 3. Lackindustrie. ments, um hineingefallene Rindenstückchen zu beseitigen, und macht dann eine Spanne (15—20 cm) höher auf entgegengesetzter Seite einen zweiten, einen dritten um wiederum soviel höher und auf einer andern Seite u. s. f., so weit er reichen kann, an 6—10 Stellen rasch hinter einander. Ich habe zugesehen, dass ein geübter Urushi-shôkunin in jeder Sekunde eine Furche zog. Hierauf wendet er sich zu einem zweiten Baume und verfährt ebenso. Hat er auf diese Weise 10 bis 15 Bäume geritzt, so kehrt er zum ersten zurück und sammelt nun in derselben Ordnung den Rohlack oder Ki-urushi ein. Es ist eine grauweisse, dickflüssige Emulsion, die sich an der Luft rasch gelb- braun und später bald schwarz färbt. Dieselbe füllt die Gürtelfurchen und fliesst nur ausnahmsweise etwas über. Mit der Spitze des Natsu- bera wird sie ausgekratzt und dann über den Rand des kleinen Eimers (gô), den der Arbeiter dabei in der linken Hand hält, in denselben abgestrichen. Hat der Lackzapfer diese Arbeit beendet, so begibt er sich zu einer andern Baumgruppe und verfährt hier ebenso und so fort. Erst nach 4 Tagen pflegt er zu seiner ersten Abteilung Bäume zurück zu kehren und macht nun etwa 2 mm tiefer und parallel zu den ersten Ritzen neue, so auch bei den andern Baumgruppen, die er in Behand- lung hat, indem er nach jeder neuen Serie von Ritzen in der betref- fenden Gruppe den Lack auskratzt. Da nun diese Operation in den- selben Intervallen in der Regel 15—20 mal wiederholt wird, so ergibt sich, dass der Lackzapfer einen Zeitraum von mindestens 60 bis 80 Tagen, oft aber gegen 100 Tage braucht, bevor er die Arbeit beendet hat. Dann bringt er auch den noch nicht geritzten Stellen Gürtelschnitte bei, sowie den Aesten, jedoch in grösserer Entfernung und nur, wenn die Bäume der Lackgewinnung ganz geopfert werden sollen. Will man dieselben aber für eine weitere Lack- und insbe- sondere auch für die Wachsgewinnung erhalten, so ist eine sorgfältigere Behandlung und spärlicheres Ritzen selbstverständlich. Im ersteren Falle, wo also die Bäume bis zur Erschöpfung behandelt werden, pflegt man endlich nach dem Laubfall die Aeste abzuhauen, die dickeren Stücke in Wellen von etwa 1 m Länge zu binden und diese dann mit dem Kopfende in warmes Wasser zu stellen. Man ritzt die aus dem letzteren hervorragenden Theile der Aststücke an, gewinnt auch hier- bei noch Lack, dreht später die Wellen um und wiederholt das Ver- fahren auch auf der andern Seite. Statt durch Wasser, kann man den Saft auch durch die Wärme eines Feuers nochmals in Circulation setzen. Der so gewonnene Astlack, Seshime oder Shime-urushi, gilt jedoch für die schlechteste Sorte und wird fast nur für Grundie-

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/431>, abgerufen am 24.11.2024.