Die Lackgewinnung beginnt in der Regel erst, wenn die Bäume ein Alter von 9--10 Jahren erreicht haben, und nur ausnahmsweise schon 4--5 Jahre früher, wie in dem Distrikte Yoshino der Provinz Yamato. Die beiden wichtigsten Werkzeuge, deren sich der Urushi- shokunin (Lackzapfer) dabei bedient, sind die Kaki-gama oder Ritzsichel (Tafel III. 10), eine fischhakenähnlich gebogene, dünne Eisen- platte, welche am U-förmigen Ende gestählt und auf der concaven Seite desselben messerscharf ist, dem Ritzmesser unserer Forstleute entsprechend, und der Natsu-bera oder Sommerspatel (Tafel III. 11), ein flacher, eiserner Löffel mit kurzer umgebogener Spitze. Erstere dient zum Ritzen der Bäume, die Natsu-bera aber zum Auskratzen des die Rinne füllenden Rohlacks und Uebertragen desselben in das Go oder kleine Eimerchen aus Holz oder einem Stück Bambusrohr. Bei älteren Bäumen mit dicker, rissiger Rinde muss diese erst be- seitigt und der Stamm geglättet werden, bevor man die Kaki-gama anwenden kann. Es geschieht dies mittelst des Kawa-muki oder Rindenschälers, einer langen, etwas sichelförmig gekrümmten Messer- platte. Auch das gerade Messer oder Hocho (Tafel III. 1) und der Ye-guri, Stech- oder Hohlmeissel (Tafel III. 2), werden vom Lack- zapfer gelegentlich benutzt. Ist er noch empfindlich gegen die giftigen Dünste des Lackes, so schützt er seine Hände durch Te-bukuro oder Fausthandschuhe.
Fast alle mit der Lackgewinnung beschäftigten Arbeiter kommen aus der Gegend von Fukui in der Provinz Echizen. Ihre Zahl wird zu 15--1600 angegeben. Im Frühjahr wandern sie in die verschie- denen Lackdistrikte, zumeist also nordwärts, wo sie von den Lack- händlern beschäftigt werden. Diese kaufen die Bäume den Bauern ab und überweisen sie ihren Arbeitern, und zwar in der Regel je einem derselben 1000 jüngere Bäume oder eine geringere Zahl, etwa 800--600 älterer, womit der Shokunin den ganzen Sommer über be- schäftigt ist. Vor 10 Jahren kosteten je 100 Bäume im Durchschnitt 30--36 yen; doch hat sich seitdem der Preis etwa verdoppelt, ent- sprechend der grösseren Nachfrage nach Rohlack und dessen Ver- theuerung.
Wenn der Lackzapfer für seine Arbeiten alle Vorbereitungen ge- troffen und die ihm zur Verfügung gestellten Bäume gereinigt hat, beginnt er damit, dass er mit der Kaki-gama am unteren Ende eines Stammes in raschem Zuge und horizontaler Richtung einen etwa 2 mm breiten, bogenförmigen Ritz durch Rinde und Bast macht, und zwar mit der U-förmig gebogenen Schneide, die er also fest aufdrückt. Hierauf durchfährt er diesen Gürtelschnitt mit dem Haken des Instru-
III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
Die Lackgewinnung beginnt in der Regel erst, wenn die Bäume ein Alter von 9—10 Jahren erreicht haben, und nur ausnahmsweise schon 4—5 Jahre früher, wie in dem Distrikte Yoshino der Provinz Yamato. Die beiden wichtigsten Werkzeuge, deren sich der Urushi- shôkunin (Lackzapfer) dabei bedient, sind die Kaki-gama oder Ritzsichel (Tafel III. 10), eine fischhakenähnlich gebogene, dünne Eisen- platte, welche am U-förmigen Ende gestählt und auf der concaven Seite desselben messerscharf ist, dem Ritzmesser unserer Forstleute entsprechend, und der Natsu-bera oder Sommerspatel (Tafel III. 11), ein flacher, eiserner Löffel mit kurzer umgebogener Spitze. Erstere dient zum Ritzen der Bäume, die Natsu-bera aber zum Auskratzen des die Rinne füllenden Rohlacks und Uebertragen desselben in das Gô oder kleine Eimerchen aus Holz oder einem Stück Bambusrohr. Bei älteren Bäumen mit dicker, rissiger Rinde muss diese erst be- seitigt und der Stamm geglättet werden, bevor man die Kaki-gama anwenden kann. Es geschieht dies mittelst des Kawa-muki oder Rindenschälers, einer langen, etwas sichelförmig gekrümmten Messer- platte. Auch das gerade Messer oder Hôchô (Tafel III. 1) und der Ye-guri, Stech- oder Hohlmeissel (Tafel III. 2), werden vom Lack- zapfer gelegentlich benutzt. Ist er noch empfindlich gegen die giftigen Dünste des Lackes, so schützt er seine Hände durch Te-bukuro oder Fausthandschuhe.
Fast alle mit der Lackgewinnung beschäftigten Arbeiter kommen aus der Gegend von Fukui in der Provinz Echizen. Ihre Zahl wird zu 15—1600 angegeben. Im Frühjahr wandern sie in die verschie- denen Lackdistrikte, zumeist also nordwärts, wo sie von den Lack- händlern beschäftigt werden. Diese kaufen die Bäume den Bauern ab und überweisen sie ihren Arbeitern, und zwar in der Regel je einem derselben 1000 jüngere Bäume oder eine geringere Zahl, etwa 800—600 älterer, womit der Shôkunin den ganzen Sommer über be- schäftigt ist. Vor 10 Jahren kosteten je 100 Bäume im Durchschnitt 30—36 yen; doch hat sich seitdem der Preis etwa verdoppelt, ent- sprechend der grösseren Nachfrage nach Rohlack und dessen Ver- theuerung.
Wenn der Lackzapfer für seine Arbeiten alle Vorbereitungen ge- troffen und die ihm zur Verfügung gestellten Bäume gereinigt hat, beginnt er damit, dass er mit der Kaki-gama am unteren Ende eines Stammes in raschem Zuge und horizontaler Richtung einen etwa 2 mm breiten, bogenförmigen Ritz durch Rinde und Bast macht, und zwar mit der U-förmig gebogenen Schneide, die er also fest aufdrückt. Hierauf durchfährt er diesen Gürtelschnitt mit dem Haken des Instru-
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III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
Die Lackgewinnung beginnt in der Regel erst, wenn die Bäume
ein Alter von 9—10 Jahren erreicht haben, und nur ausnahmsweise
schon 4—5 Jahre früher, wie in dem Distrikte Yoshino der Provinz
Yamato. Die beiden wichtigsten Werkzeuge, deren sich der Urushi-
shôkunin (Lackzapfer) dabei bedient, sind die Kaki-gama oder
Ritzsichel (Tafel III. 10), eine fischhakenähnlich gebogene, dünne Eisen-
platte, welche am U-förmigen Ende gestählt und auf der concaven
Seite desselben messerscharf ist, dem Ritzmesser unserer Forstleute
entsprechend, und der Natsu-bera oder Sommerspatel (Tafel III. 11),
ein flacher, eiserner Löffel mit kurzer umgebogener Spitze. Erstere
dient zum Ritzen der Bäume, die Natsu-bera aber zum Auskratzen
des die Rinne füllenden Rohlacks und Uebertragen desselben in das
Gô oder kleine Eimerchen aus Holz oder einem Stück Bambusrohr.
Bei älteren Bäumen mit dicker, rissiger Rinde muss diese erst be-
seitigt und der Stamm geglättet werden, bevor man die Kaki-gama
anwenden kann. Es geschieht dies mittelst des Kawa-muki oder
Rindenschälers, einer langen, etwas sichelförmig gekrümmten Messer-
platte. Auch das gerade Messer oder Hôchô (Tafel III. 1) und der
Ye-guri, Stech- oder Hohlmeissel (Tafel III. 2), werden vom Lack-
zapfer gelegentlich benutzt. Ist er noch empfindlich gegen die giftigen
Dünste des Lackes, so schützt er seine Hände durch Te-bukuro oder
Fausthandschuhe.
Fast alle mit der Lackgewinnung beschäftigten Arbeiter kommen
aus der Gegend von Fukui in der Provinz Echizen. Ihre Zahl wird
zu 15—1600 angegeben. Im Frühjahr wandern sie in die verschie-
denen Lackdistrikte, zumeist also nordwärts, wo sie von den Lack-
händlern beschäftigt werden. Diese kaufen die Bäume den Bauern
ab und überweisen sie ihren Arbeitern, und zwar in der Regel je
einem derselben 1000 jüngere Bäume oder eine geringere Zahl, etwa
800—600 älterer, womit der Shôkunin den ganzen Sommer über be-
schäftigt ist. Vor 10 Jahren kosteten je 100 Bäume im Durchschnitt
30—36 yen; doch hat sich seitdem der Preis etwa verdoppelt, ent-
sprechend der grösseren Nachfrage nach Rohlack und dessen Ver-
theuerung.
Wenn der Lackzapfer für seine Arbeiten alle Vorbereitungen ge-
troffen und die ihm zur Verfügung gestellten Bäume gereinigt hat,
beginnt er damit, dass er mit der Kaki-gama am unteren Ende eines
Stammes in raschem Zuge und horizontaler Richtung einen etwa
2 mm breiten, bogenförmigen Ritz durch Rinde und Bast macht, und
zwar mit der U-förmig gebogenen Schneide, die er also fest aufdrückt.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/430>, abgerufen am 24.11.2024.
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