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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen.
Nachfrage nach letzteren wuchs, und es entstand damit ein neuer Sti-
mulus für den japanischen Gewerbetreibenden, grösser und einfluss-
reicher, als die früheren es je sein konnten. Dieser Wendepunkt ist
nicht zum geringsten Theil dem Einfluss der grossen Industrie-Aus-
stellungen auf alle interessierten Japaner: Regierung, wie Gewerbe-
treibende, zuzuschreiben. Der von Vielen gefürchtete Rückgang und
Verfall des japanischen Kunsthandwerks ist nicht eingetreten, vielmehr
in verschiedenen Bereichen -- ich nenne nur die Email- und Bronze-
Industrie -- seit 15 Jahren ein erfreulicher Fortschritt bemerkbar.

Man hat die Ueberzeugung gewonnen, dass die Zukunft des ja-
panischen Kunstgewerbes in der Erhaltung seiner Eigenart liegt. Nur
wenn das japanische Volk sich seine kindliche Freude an der schönen
Natur seines Landes bewahrt, wenn es sich seine Lieblinge in Wald
und Feld, in Tempelhain und Hausgärtchen und ihre treue Pflege auch
ferner erhält, wenn es fortfährt, aus dieser lebendigen frischen Quelle
seine Motive und künstlerische Begeisterung zu schöpfen, und nebenbei
die Grundbedingung seines Glückes und seiner billigen Arbeitskraft,
die Genügsamkeit nicht verliert, nur dann wird es auch auf der Höhe
seiner eigenartigen kunstgewerblichen Leistungen bleiben; nur dann
darf es hoffen, die gewonnenen Absatzgebiete sich zu erhalten und
ihnen neue hinzuzufügen.

In der japanischen Feudalzeit dienten, wie dies bereits hervor-
gehoben wurde, die hervorragendsten Producte des Kunstgewerbes
zur Zierde der Tempel und der Wohnungen des Adels. Sie wurden
meist auf Bestellung gemacht und es wetteiferten viele der Landes-
fürsten mit einander, hervorragende Talente heranzuziehen und zu
unterstützen. Das gab dem Künstler sorgenfreie Musse und Freudigkeit
zum Schaffen. Wenn aber in neuerer Zeit behauptet worden ist, dass
viele Personen aus den höheren Ständen in Japan nicht blos Interesse
am Kunstgewerbe zeigten, sondern selbst darin thätig gewesen seien,
dass selbst Fürsten und Minister modellierten und in Lack malten, so
beruht dies auf grosser Unkenntniss der bestehenden Verhältnisse.
Dilettanten der Art sind dort eine noch viel seltenere Ausnahme als
bei uns. Versemachen gehörte immer zum guten Ton, auch der höch-
sten Kreise in Japan, und daneben wohl auch die Beschäftigung in
der Malerei, aber in die Entwickelung des Kunsthandwerks hat die
von hohen Kreisen geübte Kunst nicht in dem Maasse eingewirkt, wie
man es zuweilen angibt. Die Kunst und Kunstindustrie wohnt in Ja-
pan nicht in Palästen, sondern in bescheidenen Bretterhäuschen meist
armer, aber genügsamer, glücklicher Menschen, deren Bedürfnisse gering
und leicht zu befriedigen sind.

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1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen.
Nachfrage nach letzteren wuchs, und es entstand damit ein neuer Sti-
mulus für den japanischen Gewerbetreibenden, grösser und einfluss-
reicher, als die früheren es je sein konnten. Dieser Wendepunkt ist
nicht zum geringsten Theil dem Einfluss der grossen Industrie-Aus-
stellungen auf alle interessierten Japaner: Regierung, wie Gewerbe-
treibende, zuzuschreiben. Der von Vielen gefürchtete Rückgang und
Verfall des japanischen Kunsthandwerks ist nicht eingetreten, vielmehr
in verschiedenen Bereichen — ich nenne nur die Email- und Bronze-
Industrie — seit 15 Jahren ein erfreulicher Fortschritt bemerkbar.

Man hat die Ueberzeugung gewonnen, dass die Zukunft des ja-
panischen Kunstgewerbes in der Erhaltung seiner Eigenart liegt. Nur
wenn das japanische Volk sich seine kindliche Freude an der schönen
Natur seines Landes bewahrt, wenn es sich seine Lieblinge in Wald
und Feld, in Tempelhain und Hausgärtchen und ihre treue Pflege auch
ferner erhält, wenn es fortfährt, aus dieser lebendigen frischen Quelle
seine Motive und künstlerische Begeisterung zu schöpfen, und nebenbei
die Grundbedingung seines Glückes und seiner billigen Arbeitskraft,
die Genügsamkeit nicht verliert, nur dann wird es auch auf der Höhe
seiner eigenartigen kunstgewerblichen Leistungen bleiben; nur dann
darf es hoffen, die gewonnenen Absatzgebiete sich zu erhalten und
ihnen neue hinzuzufügen.

In der japanischen Feudalzeit dienten, wie dies bereits hervor-
gehoben wurde, die hervorragendsten Producte des Kunstgewerbes
zur Zierde der Tempel und der Wohnungen des Adels. Sie wurden
meist auf Bestellung gemacht und es wetteiferten viele der Landes-
fürsten mit einander, hervorragende Talente heranzuziehen und zu
unterstützen. Das gab dem Künstler sorgenfreie Musse und Freudigkeit
zum Schaffen. Wenn aber in neuerer Zeit behauptet worden ist, dass
viele Personen aus den höheren Ständen in Japan nicht blos Interesse
am Kunstgewerbe zeigten, sondern selbst darin thätig gewesen seien,
dass selbst Fürsten und Minister modellierten und in Lack malten, so
beruht dies auf grosser Unkenntniss der bestehenden Verhältnisse.
Dilettanten der Art sind dort eine noch viel seltenere Ausnahme als
bei uns. Versemachen gehörte immer zum guten Ton, auch der höch-
sten Kreise in Japan, und daneben wohl auch die Beschäftigung in
der Malerei, aber in die Entwickelung des Kunsthandwerks hat die
von hohen Kreisen geübte Kunst nicht in dem Maasse eingewirkt, wie
man es zuweilen angibt. Die Kunst und Kunstindustrie wohnt in Ja-
pan nicht in Palästen, sondern in bescheidenen Bretterhäuschen meist
armer, aber genügsamer, glücklicher Menschen, deren Bedürfnisse gering
und leicht zu befriedigen sind.

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[387/0411] 1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen. Nachfrage nach letzteren wuchs, und es entstand damit ein neuer Sti- mulus für den japanischen Gewerbetreibenden, grösser und einfluss- reicher, als die früheren es je sein konnten. Dieser Wendepunkt ist nicht zum geringsten Theil dem Einfluss der grossen Industrie-Aus- stellungen auf alle interessierten Japaner: Regierung, wie Gewerbe- treibende, zuzuschreiben. Der von Vielen gefürchtete Rückgang und Verfall des japanischen Kunsthandwerks ist nicht eingetreten, vielmehr in verschiedenen Bereichen — ich nenne nur die Email- und Bronze- Industrie — seit 15 Jahren ein erfreulicher Fortschritt bemerkbar. Man hat die Ueberzeugung gewonnen, dass die Zukunft des ja- panischen Kunstgewerbes in der Erhaltung seiner Eigenart liegt. Nur wenn das japanische Volk sich seine kindliche Freude an der schönen Natur seines Landes bewahrt, wenn es sich seine Lieblinge in Wald und Feld, in Tempelhain und Hausgärtchen und ihre treue Pflege auch ferner erhält, wenn es fortfährt, aus dieser lebendigen frischen Quelle seine Motive und künstlerische Begeisterung zu schöpfen, und nebenbei die Grundbedingung seines Glückes und seiner billigen Arbeitskraft, die Genügsamkeit nicht verliert, nur dann wird es auch auf der Höhe seiner eigenartigen kunstgewerblichen Leistungen bleiben; nur dann darf es hoffen, die gewonnenen Absatzgebiete sich zu erhalten und ihnen neue hinzuzufügen. In der japanischen Feudalzeit dienten, wie dies bereits hervor- gehoben wurde, die hervorragendsten Producte des Kunstgewerbes zur Zierde der Tempel und der Wohnungen des Adels. Sie wurden meist auf Bestellung gemacht und es wetteiferten viele der Landes- fürsten mit einander, hervorragende Talente heranzuziehen und zu unterstützen. Das gab dem Künstler sorgenfreie Musse und Freudigkeit zum Schaffen. Wenn aber in neuerer Zeit behauptet worden ist, dass viele Personen aus den höheren Ständen in Japan nicht blos Interesse am Kunstgewerbe zeigten, sondern selbst darin thätig gewesen seien, dass selbst Fürsten und Minister modellierten und in Lack malten, so beruht dies auf grosser Unkenntniss der bestehenden Verhältnisse. Dilettanten der Art sind dort eine noch viel seltenere Ausnahme als bei uns. Versemachen gehörte immer zum guten Ton, auch der höch- sten Kreise in Japan, und daneben wohl auch die Beschäftigung in der Malerei, aber in die Entwickelung des Kunsthandwerks hat die von hohen Kreisen geübte Kunst nicht in dem Maasse eingewirkt, wie man es zuweilen angibt. Die Kunst und Kunstindustrie wohnt in Ja- pan nicht in Palästen, sondern in bescheidenen Bretterhäuschen meist armer, aber genügsamer, glücklicher Menschen, deren Bedürfnisse gering und leicht zu befriedigen sind. 25*

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/411>, abgerufen am 24.11.2024.