erziehen, den guten Geschmack bilden. Darum passt selbst die Venus von Medici, die in einem Museum ganz an ihrem Platze ist, sicherlich nicht für eine Unterrichtsanstalt.
Bei den vielen Decorationsmotiven, welche der japanischen Ge- schichte, vornehmlich aber dem grossen buddhistischen Götter- und Sagenkreis entlehnt sind, erscheinen die alten Krieger meist in schwer- fälliger Rüstung, welche die freie Bewegung hemmt, und die Hofleute in steifer, ceremonieller Tracht, doch häufig in überaus ausdrucksvoller Stellung. Da bis zur Zeit des Shogun Yoritomo in Kamakura (1185 bis 1199 n. Chr.) das Bärtetragen in Japan allgemein Sitte war, sehen wir bei Motiven aus der älteren Zeit die Männer immer mit Vollbärten. Eine grosse Kunstfertigkeit zeigt die Darstellung Buddhas, als milde, glückerfüllte, weiblich aussehende Gottheit in ihren verschiedenen sonstigen Attributen des Segnens, Lehrens, Nachdenkens etc., wie sie durch die Haltung der Hände und Finger zum Ausdruck kommen.
Der mächtigste Stimulant und Träger der Kunst und des Kunst- gewerbes war zu allen Zeiten und bei allen Völkern der Cultus. Die Gottheiten zu veranschaulichen, ihren Dienst und die demselben ge- weihten Tempel zu verschönern, bearbeitete man kunstvoll nicht blos Holz, Stein und Erz, sondern machte auch in der Textilindustrie höchst beachtenswerthe Fortschritte. Man kann im Allgemeinen behaupten, dass, je höher die Menschen in ihrem Gottesbegriff gestiegen sind, desto kunst- und geistvoller sich auch die verkörperte Darstellung des Anbetungswürdigen gestaltete. Doch ist zwischen den rohen Ge- bilden der Naturvölker aus Holz und Thon und den vollendet schönen der griechischen und christlichen Kunst kein genereller, sondern nur ein gradueller Unterschied. Mehr als durch seine Gesetze und Ge- schichte, erkennt man eines Volkes Ideale und Culturstufe aus den Gebilden seiner Kunst und Industrie.
Wie bereits angedeutet wurde, verbreitete sich mit dem Buddhis- mus und der Sprache und Literatur Chinas auch das Kunstgewerbe dieses Landes über Japan. Was letzteres vor dieser Zeit leistete, stand auf keiner höheren Stufe und war in Formen und Verzierungen nicht unähnlich den Producten unserer eigenen heidnischen Vorfahren. Der Buddhismus war bis in die Mitte dieses Jahrhunderts der Haupt- träger und Förderer des japanischen Kunstgewerbes.*) In seinen Tempeln und Klöstern fanden die hervorragendsten Erzeugnisse des- selben Aufbewahrung und Verwendung, so dass die Inschrift: "Quam
*) Siebold nennt die buddhistische Religion: "conductrice des sciences et des arts" in "Sur l'etat de l'horticulture au Japon. Leide 1863."
III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
erziehen, den guten Geschmack bilden. Darum passt selbst die Venus von Medici, die in einem Museum ganz an ihrem Platze ist, sicherlich nicht für eine Unterrichtsanstalt.
Bei den vielen Decorationsmotiven, welche der japanischen Ge- schichte, vornehmlich aber dem grossen buddhistischen Götter- und Sagenkreis entlehnt sind, erscheinen die alten Krieger meist in schwer- fälliger Rüstung, welche die freie Bewegung hemmt, und die Hofleute in steifer, ceremonieller Tracht, doch häufig in überaus ausdrucksvoller Stellung. Da bis zur Zeit des Shôgun Yoritomo in Kamakura (1185 bis 1199 n. Chr.) das Bärtetragen in Japan allgemein Sitte war, sehen wir bei Motiven aus der älteren Zeit die Männer immer mit Vollbärten. Eine grosse Kunstfertigkeit zeigt die Darstellung Buddhas, als milde, glückerfüllte, weiblich aussehende Gottheit in ihren verschiedenen sonstigen Attributen des Segnens, Lehrens, Nachdenkens etc., wie sie durch die Haltung der Hände und Finger zum Ausdruck kommen.
Der mächtigste Stimulant und Träger der Kunst und des Kunst- gewerbes war zu allen Zeiten und bei allen Völkern der Cultus. Die Gottheiten zu veranschaulichen, ihren Dienst und die demselben ge- weihten Tempel zu verschönern, bearbeitete man kunstvoll nicht blos Holz, Stein und Erz, sondern machte auch in der Textilindustrie höchst beachtenswerthe Fortschritte. Man kann im Allgemeinen behaupten, dass, je höher die Menschen in ihrem Gottesbegriff gestiegen sind, desto kunst- und geistvoller sich auch die verkörperte Darstellung des Anbetungswürdigen gestaltete. Doch ist zwischen den rohen Ge- bilden der Naturvölker aus Holz und Thon und den vollendet schönen der griechischen und christlichen Kunst kein genereller, sondern nur ein gradueller Unterschied. Mehr als durch seine Gesetze und Ge- schichte, erkennt man eines Volkes Ideale und Culturstufe aus den Gebilden seiner Kunst und Industrie.
Wie bereits angedeutet wurde, verbreitete sich mit dem Buddhis- mus und der Sprache und Literatur Chinas auch das Kunstgewerbe dieses Landes über Japan. Was letzteres vor dieser Zeit leistete, stand auf keiner höheren Stufe und war in Formen und Verzierungen nicht unähnlich den Producten unserer eigenen heidnischen Vorfahren. Der Buddhismus war bis in die Mitte dieses Jahrhunderts der Haupt- träger und Förderer des japanischen Kunstgewerbes.*) In seinen Tempeln und Klöstern fanden die hervorragendsten Erzeugnisse des- selben Aufbewahrung und Verwendung, so dass die Inschrift: »Quam
*) Siebold nennt die buddhistische Religion: »conductrice des sciences et des arts« in »Sur l’état de l’horticulture au Japon. Leide 1863.«
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III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
erziehen, den guten Geschmack bilden. Darum passt selbst die Venus
von Medici, die in einem Museum ganz an ihrem Platze ist, sicherlich
nicht für eine Unterrichtsanstalt.
Bei den vielen Decorationsmotiven, welche der japanischen Ge-
schichte, vornehmlich aber dem grossen buddhistischen Götter- und
Sagenkreis entlehnt sind, erscheinen die alten Krieger meist in schwer-
fälliger Rüstung, welche die freie Bewegung hemmt, und die Hofleute
in steifer, ceremonieller Tracht, doch häufig in überaus ausdrucksvoller
Stellung. Da bis zur Zeit des Shôgun Yoritomo in Kamakura (1185
bis 1199 n. Chr.) das Bärtetragen in Japan allgemein Sitte war, sehen
wir bei Motiven aus der älteren Zeit die Männer immer mit Vollbärten.
Eine grosse Kunstfertigkeit zeigt die Darstellung Buddhas, als milde,
glückerfüllte, weiblich aussehende Gottheit in ihren verschiedenen
sonstigen Attributen des Segnens, Lehrens, Nachdenkens etc., wie sie
durch die Haltung der Hände und Finger zum Ausdruck kommen.
Der mächtigste Stimulant und Träger der Kunst und des Kunst-
gewerbes war zu allen Zeiten und bei allen Völkern der Cultus. Die
Gottheiten zu veranschaulichen, ihren Dienst und die demselben ge-
weihten Tempel zu verschönern, bearbeitete man kunstvoll nicht blos
Holz, Stein und Erz, sondern machte auch in der Textilindustrie höchst
beachtenswerthe Fortschritte. Man kann im Allgemeinen behaupten,
dass, je höher die Menschen in ihrem Gottesbegriff gestiegen sind,
desto kunst- und geistvoller sich auch die verkörperte Darstellung
des Anbetungswürdigen gestaltete. Doch ist zwischen den rohen Ge-
bilden der Naturvölker aus Holz und Thon und den vollendet schönen
der griechischen und christlichen Kunst kein genereller, sondern nur
ein gradueller Unterschied. Mehr als durch seine Gesetze und Ge-
schichte, erkennt man eines Volkes Ideale und Culturstufe aus den
Gebilden seiner Kunst und Industrie.
Wie bereits angedeutet wurde, verbreitete sich mit dem Buddhis-
mus und der Sprache und Literatur Chinas auch das Kunstgewerbe
dieses Landes über Japan. Was letzteres vor dieser Zeit leistete,
stand auf keiner höheren Stufe und war in Formen und Verzierungen
nicht unähnlich den Producten unserer eigenen heidnischen Vorfahren.
Der Buddhismus war bis in die Mitte dieses Jahrhunderts der Haupt-
träger und Förderer des japanischen Kunstgewerbes. *) In seinen
Tempeln und Klöstern fanden die hervorragendsten Erzeugnisse des-
selben Aufbewahrung und Verwendung, so dass die Inschrift: »Quam
*) Siebold nennt die buddhistische Religion: »conductrice des sciences et des
arts« in »Sur l’état de l’horticulture au Japon. Leide 1863.«
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/408>, abgerufen am 23.11.2024.
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