ihre Knospen aus schlammigem Boden über das Wasser erheben und in verschiedener Höhe zu reizenden Blättern und Blüthen entfalten, an deren lieblichen, reinen Farben keine Spur von dem Schmutze wahrzunehmen ist, dem sie entstiegen, so werden nach buddhistischer Ansicht die Seelen der Menschen durch eignes Vermögen und Thun über den Schlamm der Sünde zu verschiedener Höhe erhoben und nach Nirwana zur wahren Glückseligkeit geführt. Sitzend auf einer geöff- neten Lotusblume, dem Symbol der Reinheit, stellt man Buddha dar und schmückt mit Vasen und Nachbildungen blühender Lotuspflanzen in Bronze, Holz oder Thon seine Tempel und Altäre. Man wird unter solchen Umständen annehmen dürfen, dass auch im chinesischen Cul- turgebiete Ostasiens die Verbreitung dieser edlen Pflanze derjenigen des Buddhismus auf dem Fusse folgte.
Ob der ägyptische Lotus, dessen verschiedene Klassiker des Alter- thums gedenken, mit unserer Pflanze identisch war oder nur eine nahe verwandte Art, ist meines Wissens mit Sicherheit noch nicht erwiesen. Seine Samen, die Pythagoras- oder ägyptischen Bohnen (Fabae aegytiacae Plin.), wurden, gleich denen des indischen Lotus in den Mon- sunländern, gegessen. Theophrast vergleicht seine Frucht (Torus) sehr zutreffend mit einem runden Wespennest und Herodot mit gros- sen Mohnköpfen; dagegen passt die Beschreibung, welche letzterer von den Wurzeln gibt, in keiner Weise auf die Rhizome der heiligen Lo- tuspflanze Asiens.
Im Jahre 1787 brachte Sir Joseph Banks die ersten Samen der letzteren aus Indien nach England und zwar unter dem Namen: "Sa- cred Indian Bean". Seitdem cultiviert man diese Pflanze in Warm- wasseraquarien der meisten europäischen Länder, zumal ihrer botani- schen Gärten, seltener in offenen Weihern der Mittelmeerregion, und bringt sie im Hochsommer oft zur schönsten Entwickelung. Es ist stets die auch in Ostasien verherrschende, verbreitetste Varietät mit rosafarbigen Blüthen. Daneben hat man aber in Japan und China auch eine andere, deren Blüthen im reinsten Weiss mindestens gleich schön sind. *)
Nach Fortune wachsen an den Ufern des Flusses sowohl ober- halb als unterhalb Kanton eine Menge dieser Wasserlilien, welche gleich den Reisfeldern durch Dämme eingeschlossen werden. "Diese Pflanze", sagt Fortune, "wird theils zum Schmuck, theils ihrer Wurzeln
*)Haku-ren, "weisse Lotusblume", wird übrigens, wie oben bemerkt wurde, auch die Blüthe der Magnolia Yulan Desf. genannt, und in der That ist die Aehn- lichkeit gross.
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7. Gartenbau.
ihre Knospen aus schlammigem Boden über das Wasser erheben und in verschiedener Höhe zu reizenden Blättern und Blüthen entfalten, an deren lieblichen, reinen Farben keine Spur von dem Schmutze wahrzunehmen ist, dem sie entstiegen, so werden nach buddhistischer Ansicht die Seelen der Menschen durch eignes Vermögen und Thun über den Schlamm der Sünde zu verschiedener Höhe erhoben und nach Nirwana zur wahren Glückseligkeit geführt. Sitzend auf einer geöff- neten Lotusblume, dem Symbol der Reinheit, stellt man Buddha dar und schmückt mit Vasen und Nachbildungen blühender Lotuspflanzen in Bronze, Holz oder Thon seine Tempel und Altäre. Man wird unter solchen Umständen annehmen dürfen, dass auch im chinesischen Cul- turgebiete Ostasiens die Verbreitung dieser edlen Pflanze derjenigen des Buddhismus auf dem Fusse folgte.
Ob der ägyptische Lotus, dessen verschiedene Klassiker des Alter- thums gedenken, mit unserer Pflanze identisch war oder nur eine nahe verwandte Art, ist meines Wissens mit Sicherheit noch nicht erwiesen. Seine Samen, die Pythagoras- oder ägyptischen Bohnen (Fabae aegytiacae Plin.), wurden, gleich denen des indischen Lotus in den Mon- sunländern, gegessen. Theophrast vergleicht seine Frucht (Torus) sehr zutreffend mit einem runden Wespennest und Herodot mit gros- sen Mohnköpfen; dagegen passt die Beschreibung, welche letzterer von den Wurzeln gibt, in keiner Weise auf die Rhizome der heiligen Lo- tuspflanze Asiens.
Im Jahre 1787 brachte Sir Joseph Banks die ersten Samen der letzteren aus Indien nach England und zwar unter dem Namen: »Sa- cred Indian Bean«. Seitdem cultiviert man diese Pflanze in Warm- wasseraquarien der meisten europäischen Länder, zumal ihrer botani- schen Gärten, seltener in offenen Weihern der Mittelmeerregion, und bringt sie im Hochsommer oft zur schönsten Entwickelung. Es ist stets die auch in Ostasien verherrschende, verbreitetste Varietät mit rosafarbigen Blüthen. Daneben hat man aber in Japan und China auch eine andere, deren Blüthen im reinsten Weiss mindestens gleich schön sind. *)
Nach Fortune wachsen an den Ufern des Flusses sowohl ober- halb als unterhalb Kanton eine Menge dieser Wasserlilien, welche gleich den Reisfeldern durch Dämme eingeschlossen werden. »Diese Pflanze«, sagt Fortune, »wird theils zum Schmuck, theils ihrer Wurzeln
*)Haku-ren, »weisse Lotusblume«, wird übrigens, wie oben bemerkt wurde, auch die Blüthe der Magnolia Yulan Desf. genannt, und in der That ist die Aehn- lichkeit gross.
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7. Gartenbau.
ihre Knospen aus schlammigem Boden über das Wasser erheben und
in verschiedener Höhe zu reizenden Blättern und Blüthen entfalten,
an deren lieblichen, reinen Farben keine Spur von dem Schmutze
wahrzunehmen ist, dem sie entstiegen, so werden nach buddhistischer
Ansicht die Seelen der Menschen durch eignes Vermögen und Thun
über den Schlamm der Sünde zu verschiedener Höhe erhoben und nach
Nirwana zur wahren Glückseligkeit geführt. Sitzend auf einer geöff-
neten Lotusblume, dem Symbol der Reinheit, stellt man Buddha dar
und schmückt mit Vasen und Nachbildungen blühender Lotuspflanzen
in Bronze, Holz oder Thon seine Tempel und Altäre. Man wird unter
solchen Umständen annehmen dürfen, dass auch im chinesischen Cul-
turgebiete Ostasiens die Verbreitung dieser edlen Pflanze derjenigen
des Buddhismus auf dem Fusse folgte.
Ob der ägyptische Lotus, dessen verschiedene Klassiker des Alter-
thums gedenken, mit unserer Pflanze identisch war oder nur eine nahe
verwandte Art, ist meines Wissens mit Sicherheit noch nicht erwiesen.
Seine Samen, die Pythagoras- oder ägyptischen Bohnen (Fabae
aegytiacae Plin.), wurden, gleich denen des indischen Lotus in den Mon-
sunländern, gegessen. Theophrast vergleicht seine Frucht (Torus)
sehr zutreffend mit einem runden Wespennest und Herodot mit gros-
sen Mohnköpfen; dagegen passt die Beschreibung, welche letzterer von
den Wurzeln gibt, in keiner Weise auf die Rhizome der heiligen Lo-
tuspflanze Asiens.
Im Jahre 1787 brachte Sir Joseph Banks die ersten Samen der
letzteren aus Indien nach England und zwar unter dem Namen: »Sa-
cred Indian Bean«. Seitdem cultiviert man diese Pflanze in Warm-
wasseraquarien der meisten europäischen Länder, zumal ihrer botani-
schen Gärten, seltener in offenen Weihern der Mittelmeerregion, und
bringt sie im Hochsommer oft zur schönsten Entwickelung. Es ist
stets die auch in Ostasien verherrschende, verbreitetste Varietät mit
rosafarbigen Blüthen. Daneben hat man aber in Japan und China
auch eine andere, deren Blüthen im reinsten Weiss mindestens gleich
schön sind. *)
Nach Fortune wachsen an den Ufern des Flusses sowohl ober-
halb als unterhalb Kanton eine Menge dieser Wasserlilien, welche
gleich den Reisfeldern durch Dämme eingeschlossen werden. »Diese
Pflanze«, sagt Fortune, »wird theils zum Schmuck, theils ihrer Wurzeln
*) Haku-ren, »weisse Lotusblume«, wird übrigens, wie oben bemerkt wurde,
auch die Blüthe der Magnolia Yulan Desf. genannt, und in der That ist die Aehn-
lichkeit gross.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/347>, abgerufen am 22.11.2024.
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