Bouquet-Binderei und -Malerei kennt der Japaner nicht. Die Trennung der Blüthen von ihren Trägern und ihre dichte, sym- metrische Vereinigung zu Sträussen ist nicht nach seinem Geschmack. Er bewundert mehr die individuelle Schönheit und erfreut sich der natürlichen Verbindung: schöner Blüthen (Hana) und Blätter (Ha) am Reiss (Ko-yeda) oder am schlanken Zweig, der Iris und Lotusblume an möglichst langem Stiel (Kuki). Man sollte kaum glauben, dass unter solchen Umständen noch von "einer Kunst, Blumen zu stecken", die Rede sein könnte. Dennoch besitzt die japanische Literatur unter diesem oder einem ähnlichen Titel eine Anzahl Werke mit zahlreichen Abbildungen, wobei freilich die verschiedenen Formen der Hana-ike oder Blumenvasen eine Hauptrolle spielen und der gemeine Mann, welcher sich mit einer Cylindervase aus Bambusrohr oder einem irde- nen Geschirr begnügen muss, für seine Zwecke nicht viel lernen kann.
Die Freude an dem Anblick schöner Blumen ist aber Gemeingut des japanischen Volkes: auch der bescheidene Arbeiter gehört zu den Kunden des Handelsgärtners. Theilweise mit Rücksicht hierauf wer- den im Sommer von Zeit zu Zeit Hana-ichi oder Blumenmärkte bei einbrechender Nacht abgehalten, beleuchtet durch Pechfackeln und bunte Laternen. Sie ziehen gerade die ärmeren Leute besonders an und erlauben auch ihnen den Erwerb eines blühenden Zweigs von der Lieblingspflanze, die zur Zeit gerade blüht.
Die Freude aller Stände an der Natur und insbesondere an dem Anblick schöner Blumen findet sich in dem Maasse bei keiner andern Nation wieder. Sie zeigt sich ganz besonders zur Zeit, wenn dieser oder jener Liebling im Freien seinen Blüthenschmuck entfaltet. Wie im Weichbild unserer Städte einzelne Wirthschaften an Sonn- und Festtagen die Volksmenge anziehen, so, doch in viel höherem Grade, sehen wir bei japanischen Grossstädten von Zeit zu Zeit die Wege bald nach diesem, bald nach jenem Ort voll fröhlicher, festlich gekleideter Menschen jedes Alters und Standes dahinziehen, um hier die blühen- den Kirschbäume am Hügel, dort die Schwertlilien im offenen Felde, an einem dritten Ort die Chrysanthemumarten einer Gärtnerei, an einem vierten das prächtige Herbstkleid der Ahorne und verschiedener andern Pflanzen zu bewundern.
Beachten wir ferner, dass diese Blumenfreude des japanischen Volkes keineswegs neueren Datums ist, sondern schon zu einer Zeit bestand, als unsere ganze Cultur noch in den Windeln lag, so können wir leicht ermessen, welchen gewaltigen Einfluss ihr Urheber durch sie geübt haben muss. Schon vor 1000 Jahren schrieb derselbe Dichter Mitsune, von dem auch der Vers über den Blüthenduft der Mume (pg. 320)
I. Land- und Forstwirthschaft.
Bouquet-Binderei und -Malerei kennt der Japaner nicht. Die Trennung der Blüthen von ihren Trägern und ihre dichte, sym- metrische Vereinigung zu Sträussen ist nicht nach seinem Geschmack. Er bewundert mehr die individuelle Schönheit und erfreut sich der natürlichen Verbindung: schöner Blüthen (Hana) und Blätter (Ha) am Reiss (Ko-yeda) oder am schlanken Zweig, der Iris und Lotusblume an möglichst langem Stiel (Kuki). Man sollte kaum glauben, dass unter solchen Umständen noch von »einer Kunst, Blumen zu stecken«, die Rede sein könnte. Dennoch besitzt die japanische Literatur unter diesem oder einem ähnlichen Titel eine Anzahl Werke mit zahlreichen Abbildungen, wobei freilich die verschiedenen Formen der Hana-ike oder Blumenvasen eine Hauptrolle spielen und der gemeine Mann, welcher sich mit einer Cylindervase aus Bambusrohr oder einem irde- nen Geschirr begnügen muss, für seine Zwecke nicht viel lernen kann.
Die Freude an dem Anblick schöner Blumen ist aber Gemeingut des japanischen Volkes: auch der bescheidene Arbeiter gehört zu den Kunden des Handelsgärtners. Theilweise mit Rücksicht hierauf wer- den im Sommer von Zeit zu Zeit Hana-ichi oder Blumenmärkte bei einbrechender Nacht abgehalten, beleuchtet durch Pechfackeln und bunte Laternen. Sie ziehen gerade die ärmeren Leute besonders an und erlauben auch ihnen den Erwerb eines blühenden Zweigs von der Lieblingspflanze, die zur Zeit gerade blüht.
Die Freude aller Stände an der Natur und insbesondere an dem Anblick schöner Blumen findet sich in dem Maasse bei keiner andern Nation wieder. Sie zeigt sich ganz besonders zur Zeit, wenn dieser oder jener Liebling im Freien seinen Blüthenschmuck entfaltet. Wie im Weichbild unserer Städte einzelne Wirthschaften an Sonn- und Festtagen die Volksmenge anziehen, so, doch in viel höherem Grade, sehen wir bei japanischen Grossstädten von Zeit zu Zeit die Wege bald nach diesem, bald nach jenem Ort voll fröhlicher, festlich gekleideter Menschen jedes Alters und Standes dahinziehen, um hier die blühen- den Kirschbäume am Hügel, dort die Schwertlilien im offenen Felde, an einem dritten Ort die Chrysanthemumarten einer Gärtnerei, an einem vierten das prächtige Herbstkleid der Ahorne und verschiedener andern Pflanzen zu bewundern.
Beachten wir ferner, dass diese Blumenfreude des japanischen Volkes keineswegs neueren Datums ist, sondern schon zu einer Zeit bestand, als unsere ganze Cultur noch in den Windeln lag, so können wir leicht ermessen, welchen gewaltigen Einfluss ihr Urheber durch sie geübt haben muss. Schon vor 1000 Jahren schrieb derselbe Dichter Mitsune, von dem auch der Vers über den Blüthenduft der Mume (pg. 320)
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0342"n="318"/><fwplace="top"type="header">I. Land- und Forstwirthschaft.</fw><lb/><p><hirendition="#g">Bouquet-Binderei</hi> und <hirendition="#g">-Malerei</hi> kennt der Japaner nicht.<lb/>
Die Trennung der Blüthen von ihren Trägern und ihre dichte, sym-<lb/>
metrische Vereinigung zu Sträussen ist nicht nach seinem Geschmack.<lb/>
Er bewundert mehr die individuelle Schönheit und erfreut sich der<lb/>
natürlichen Verbindung: schöner Blüthen (Hana) und Blätter (Ha) am<lb/>
Reiss (Ko-yeda) oder am schlanken Zweig, der Iris und Lotusblume an<lb/>
möglichst langem Stiel (Kuki). Man sollte kaum glauben, dass unter<lb/>
solchen Umständen noch von »einer Kunst, Blumen zu stecken«, die<lb/>
Rede sein könnte. Dennoch besitzt die japanische Literatur unter<lb/>
diesem oder einem ähnlichen Titel eine Anzahl Werke mit zahlreichen<lb/>
Abbildungen, wobei freilich die verschiedenen Formen der Hana-ike<lb/>
oder Blumenvasen eine Hauptrolle spielen und der gemeine Mann,<lb/>
welcher sich mit einer Cylindervase aus Bambusrohr oder einem irde-<lb/>
nen Geschirr begnügen muss, für seine Zwecke nicht viel lernen kann.</p><lb/><p>Die Freude an dem Anblick schöner Blumen ist aber Gemeingut<lb/>
des japanischen Volkes: auch der bescheidene Arbeiter gehört zu den<lb/>
Kunden des Handelsgärtners. Theilweise mit Rücksicht hierauf wer-<lb/>
den im Sommer von Zeit zu Zeit <hirendition="#g">Hana-ichi</hi> oder Blumenmärkte bei<lb/>
einbrechender Nacht abgehalten, beleuchtet durch Pechfackeln und<lb/>
bunte Laternen. Sie ziehen gerade die ärmeren Leute besonders an<lb/>
und erlauben auch ihnen den Erwerb eines blühenden Zweigs von der<lb/>
Lieblingspflanze, die zur Zeit gerade blüht.</p><lb/><p>Die Freude aller Stände an der Natur und insbesondere an dem<lb/>
Anblick schöner Blumen findet sich in dem Maasse bei keiner andern<lb/>
Nation wieder. Sie zeigt sich ganz besonders zur Zeit, wenn dieser<lb/>
oder jener Liebling im Freien seinen Blüthenschmuck entfaltet. Wie<lb/>
im Weichbild unserer Städte einzelne Wirthschaften an Sonn- und<lb/>
Festtagen die Volksmenge anziehen, so, doch in viel höherem Grade,<lb/>
sehen wir bei japanischen Grossstädten von Zeit zu Zeit die Wege bald<lb/>
nach diesem, bald nach jenem Ort voll fröhlicher, festlich gekleideter<lb/>
Menschen jedes Alters und Standes dahinziehen, um hier die blühen-<lb/>
den Kirschbäume am Hügel, dort die Schwertlilien im offenen Felde,<lb/>
an einem dritten Ort die Chrysanthemumarten einer Gärtnerei, an einem<lb/>
vierten das prächtige Herbstkleid der Ahorne und verschiedener andern<lb/>
Pflanzen zu bewundern.</p><lb/><p>Beachten wir ferner, dass diese Blumenfreude des japanischen<lb/>
Volkes keineswegs neueren Datums ist, sondern schon zu einer Zeit<lb/>
bestand, als unsere ganze Cultur noch in den Windeln lag, so können<lb/>
wir leicht ermessen, welchen gewaltigen Einfluss ihr Urheber durch<lb/>
sie geübt haben muss. Schon vor 1000 Jahren schrieb derselbe Dichter<lb/>
Mitsune, von dem auch der Vers über den Blüthenduft der Mume (pg. 320)<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[318/0342]
I. Land- und Forstwirthschaft.
Bouquet-Binderei und -Malerei kennt der Japaner nicht.
Die Trennung der Blüthen von ihren Trägern und ihre dichte, sym-
metrische Vereinigung zu Sträussen ist nicht nach seinem Geschmack.
Er bewundert mehr die individuelle Schönheit und erfreut sich der
natürlichen Verbindung: schöner Blüthen (Hana) und Blätter (Ha) am
Reiss (Ko-yeda) oder am schlanken Zweig, der Iris und Lotusblume an
möglichst langem Stiel (Kuki). Man sollte kaum glauben, dass unter
solchen Umständen noch von »einer Kunst, Blumen zu stecken«, die
Rede sein könnte. Dennoch besitzt die japanische Literatur unter
diesem oder einem ähnlichen Titel eine Anzahl Werke mit zahlreichen
Abbildungen, wobei freilich die verschiedenen Formen der Hana-ike
oder Blumenvasen eine Hauptrolle spielen und der gemeine Mann,
welcher sich mit einer Cylindervase aus Bambusrohr oder einem irde-
nen Geschirr begnügen muss, für seine Zwecke nicht viel lernen kann.
Die Freude an dem Anblick schöner Blumen ist aber Gemeingut
des japanischen Volkes: auch der bescheidene Arbeiter gehört zu den
Kunden des Handelsgärtners. Theilweise mit Rücksicht hierauf wer-
den im Sommer von Zeit zu Zeit Hana-ichi oder Blumenmärkte bei
einbrechender Nacht abgehalten, beleuchtet durch Pechfackeln und
bunte Laternen. Sie ziehen gerade die ärmeren Leute besonders an
und erlauben auch ihnen den Erwerb eines blühenden Zweigs von der
Lieblingspflanze, die zur Zeit gerade blüht.
Die Freude aller Stände an der Natur und insbesondere an dem
Anblick schöner Blumen findet sich in dem Maasse bei keiner andern
Nation wieder. Sie zeigt sich ganz besonders zur Zeit, wenn dieser
oder jener Liebling im Freien seinen Blüthenschmuck entfaltet. Wie
im Weichbild unserer Städte einzelne Wirthschaften an Sonn- und
Festtagen die Volksmenge anziehen, so, doch in viel höherem Grade,
sehen wir bei japanischen Grossstädten von Zeit zu Zeit die Wege bald
nach diesem, bald nach jenem Ort voll fröhlicher, festlich gekleideter
Menschen jedes Alters und Standes dahinziehen, um hier die blühen-
den Kirschbäume am Hügel, dort die Schwertlilien im offenen Felde,
an einem dritten Ort die Chrysanthemumarten einer Gärtnerei, an einem
vierten das prächtige Herbstkleid der Ahorne und verschiedener andern
Pflanzen zu bewundern.
Beachten wir ferner, dass diese Blumenfreude des japanischen
Volkes keineswegs neueren Datums ist, sondern schon zu einer Zeit
bestand, als unsere ganze Cultur noch in den Windeln lag, so können
wir leicht ermessen, welchen gewaltigen Einfluss ihr Urheber durch
sie geübt haben muss. Schon vor 1000 Jahren schrieb derselbe Dichter
Mitsune, von dem auch der Vers über den Blüthenduft der Mume (pg. 320)
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/342>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.