Die Einführung der Seidenzucht in Japan wird in die zweite Hälfte (289) des dritten Jahrhunderts verlegt und koreanischen, sowie chinesischen Einwanderern zugeschrieben; ihre Befestigung und Aus- breitung fand gleichzeitig mit der des Buddhismus statt. Verschie- dene Sagen weisen ihr freilich einen ganz anderen und zum Theil viel älteren Ursprung zu. Die bekannteste derselben berichtet, dass eine indische Königstochter von ihrer grausamen Stiefmutter, nach- dem diese schon verschiedene Versuche gemacht hatte, sich ihrer zu entledigen, in einem ausgehöhlten Maulbeerstamm den Wellen des Oceans übergeben und von diesen nach Toyoura an der Küste von Hitachi verschlagen worden sei. Hier habe sie freundliche Aufnahme unter den Bewohnern gefunden und sei zum Danke dafür nach ihrem Tode in eine Seidenraupe verwandelt worden.
Um die Anpflanzung des Maulbeerbaums und die Seidenzucht er- warb sich besonders der 21. Mikado, Yuriaku Tenno (457--479 n. Chr.) grosse Verdienste, desgleichen die Kaiserin, welche darin dem Hofe und Volke ein gutes Beispiel gab. Auch mussten von da ab die fremden Einwanderer ihre Abgaben in Seide entrichten. Doch erst von der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts ab erschien die Seiden- zucht als nationaler Industriezweig genügend befestigt und verbreitet.
Die Aufmerksamkeit und das Interesse der Herrscher Japans ist ihr auch unter den ganz veränderten Verhältnissen der Neuzeit ge- blieben. Der regierende Mikado hat bei mehr als einem Anlass seine Vorliebe für die Seidenzucht und die Produkte der Seidenweberei be- zeugt, und auch der Umstand, dass der japanische Hof für Geschenke vorzugsweise im Lande verfertigte Seidenstoffe wählt, kann füglich so gedeutet werden.
Wie der Theebau, so hat auch die Seidenzucht in Japan während der letzten 30 Jahre einen neuen Aufschwung genommen. Der Haupt- antrieb dazu waren die hohen Preise, welche in Folge der in Europa herrschenden Seidenraupenkrankheit für Rohseide und Seidenraupen- eier bezahlt wurden. Sind dieselben auch wieder gesunken, so dauert die gesteigerte Ausfuhr an ersterer doch fort. Seide wird auch wahrscheinlich in Zukunft der hervorragendste Handelsartikel Japans bleiben und mehr als jeder andere manchem armen Gebirgsthale Nah- rung und Verdienst zuführen.
China und Japan gegenüber spielen die übrigen asiatischen Seiden- lieferanten keine grosse Rolle. In Indien ist die Seidenproduktion, wenn nicht zurückgegangen, so doch stationär geblieben. Dagegen hat in den persischen und türkischen Ländern der allgemeine Verfall vielfach auch schon den wichtigsten Erwerbszweig mancher Distrikte,
I. Land- und Forstwirthschaft.
Die Einführung der Seidenzucht in Japan wird in die zweite Hälfte (289) des dritten Jahrhunderts verlegt und koreanischen, sowie chinesischen Einwanderern zugeschrieben; ihre Befestigung und Aus- breitung fand gleichzeitig mit der des Buddhismus statt. Verschie- dene Sagen weisen ihr freilich einen ganz anderen und zum Theil viel älteren Ursprung zu. Die bekannteste derselben berichtet, dass eine indische Königstochter von ihrer grausamen Stiefmutter, nach- dem diese schon verschiedene Versuche gemacht hatte, sich ihrer zu entledigen, in einem ausgehöhlten Maulbeerstamm den Wellen des Oceans übergeben und von diesen nach Toyoura an der Küste von Hitachi verschlagen worden sei. Hier habe sie freundliche Aufnahme unter den Bewohnern gefunden und sei zum Danke dafür nach ihrem Tode in eine Seidenraupe verwandelt worden.
Um die Anpflanzung des Maulbeerbaums und die Seidenzucht er- warb sich besonders der 21. Mikado, Yuriaku Tennô (457—479 n. Chr.) grosse Verdienste, desgleichen die Kaiserin, welche darin dem Hofe und Volke ein gutes Beispiel gab. Auch mussten von da ab die fremden Einwanderer ihre Abgaben in Seide entrichten. Doch erst von der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts ab erschien die Seiden- zucht als nationaler Industriezweig genügend befestigt und verbreitet.
Die Aufmerksamkeit und das Interesse der Herrscher Japans ist ihr auch unter den ganz veränderten Verhältnissen der Neuzeit ge- blieben. Der regierende Mikado hat bei mehr als einem Anlass seine Vorliebe für die Seidenzucht und die Produkte der Seidenweberei be- zeugt, und auch der Umstand, dass der japanische Hof für Geschenke vorzugsweise im Lande verfertigte Seidenstoffe wählt, kann füglich so gedeutet werden.
Wie der Theebau, so hat auch die Seidenzucht in Japan während der letzten 30 Jahre einen neuen Aufschwung genommen. Der Haupt- antrieb dazu waren die hohen Preise, welche in Folge der in Europa herrschenden Seidenraupenkrankheit für Rohseide und Seidenraupen- eier bezahlt wurden. Sind dieselben auch wieder gesunken, so dauert die gesteigerte Ausfuhr an ersterer doch fort. Seide wird auch wahrscheinlich in Zukunft der hervorragendste Handelsartikel Japans bleiben und mehr als jeder andere manchem armen Gebirgsthale Nah- rung und Verdienst zuführen.
China und Japan gegenüber spielen die übrigen asiatischen Seiden- lieferanten keine grosse Rolle. In Indien ist die Seidenproduktion, wenn nicht zurückgegangen, so doch stationär geblieben. Dagegen hat in den persischen und türkischen Ländern der allgemeine Verfall vielfach auch schon den wichtigsten Erwerbszweig mancher Distrikte,
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I. Land- und Forstwirthschaft.
Die Einführung der Seidenzucht in Japan wird in die zweite
Hälfte (289) des dritten Jahrhunderts verlegt und koreanischen, sowie
chinesischen Einwanderern zugeschrieben; ihre Befestigung und Aus-
breitung fand gleichzeitig mit der des Buddhismus statt. Verschie-
dene Sagen weisen ihr freilich einen ganz anderen und zum Theil
viel älteren Ursprung zu. Die bekannteste derselben berichtet, dass
eine indische Königstochter von ihrer grausamen Stiefmutter, nach-
dem diese schon verschiedene Versuche gemacht hatte, sich ihrer zu
entledigen, in einem ausgehöhlten Maulbeerstamm den Wellen des
Oceans übergeben und von diesen nach Toyoura an der Küste von
Hitachi verschlagen worden sei. Hier habe sie freundliche Aufnahme
unter den Bewohnern gefunden und sei zum Danke dafür nach ihrem
Tode in eine Seidenraupe verwandelt worden.
Um die Anpflanzung des Maulbeerbaums und die Seidenzucht er-
warb sich besonders der 21. Mikado, Yuriaku Tennô (457—479 n. Chr.)
grosse Verdienste, desgleichen die Kaiserin, welche darin dem Hofe
und Volke ein gutes Beispiel gab. Auch mussten von da ab die
fremden Einwanderer ihre Abgaben in Seide entrichten. Doch erst
von der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts ab erschien die Seiden-
zucht als nationaler Industriezweig genügend befestigt und verbreitet.
Die Aufmerksamkeit und das Interesse der Herrscher Japans ist
ihr auch unter den ganz veränderten Verhältnissen der Neuzeit ge-
blieben. Der regierende Mikado hat bei mehr als einem Anlass seine
Vorliebe für die Seidenzucht und die Produkte der Seidenweberei be-
zeugt, und auch der Umstand, dass der japanische Hof für Geschenke
vorzugsweise im Lande verfertigte Seidenstoffe wählt, kann füglich so
gedeutet werden.
Wie der Theebau, so hat auch die Seidenzucht in Japan während
der letzten 30 Jahre einen neuen Aufschwung genommen. Der Haupt-
antrieb dazu waren die hohen Preise, welche in Folge der in Europa
herrschenden Seidenraupenkrankheit für Rohseide und Seidenraupen-
eier bezahlt wurden. Sind dieselben auch wieder gesunken, so
dauert die gesteigerte Ausfuhr an ersterer doch fort. Seide wird auch
wahrscheinlich in Zukunft der hervorragendste Handelsartikel Japans
bleiben und mehr als jeder andere manchem armen Gebirgsthale Nah-
rung und Verdienst zuführen.
China und Japan gegenüber spielen die übrigen asiatischen Seiden-
lieferanten keine grosse Rolle. In Indien ist die Seidenproduktion,
wenn nicht zurückgegangen, so doch stationär geblieben. Dagegen
hat in den persischen und türkischen Ländern der allgemeine Verfall
vielfach auch schon den wichtigsten Erwerbszweig mancher Distrikte,
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/244>, abgerufen am 22.11.2024.
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