mentliche Andeutungen und Nachrichten griechischer Classiker von Herodot an, sondern auch alte chinesische Berichte auf sie hinweisen.*) Nach W. Williams**) verlegt man nach den ältesten sagenhaften Nach- richten die Anfänge der Seidenzucht um die Zeit 2600 v. Chr. Da- mals, heisst es, fing die Kaiserin Lui Ttsu in Shan-tung an, Seiden- raupen zu ziehen und aus ihren Gespinnsten Gewebe zu machen. Sie wurde später als Seidengöttin unter dem Namen Yuenfi verehrt und ihr im Palast zu Peking ein Tempel geweiht, in welchem ihr die Chinesische Kaiserin und Protektorin der Seidenzucht noch immer jährlich im April bei Beginn der neuen Zucht ihre Huldigung und gewisse Opfer darbringt.
"Mit der Seide wanderte das Wort, mit dem die Chinesen sie bezeichnen, und unter diesem oder von ihm abgeleiteten Namen finden wir sie schon früh mehrfach angeführt" (v. Richthofen). Von der chinesischen Bezeichnung sz' (auch ssu, see und sse) für Seide und dem Affix orr('r) werden das koreanische sir, das griechische ser und unsere verschiedenen europäischen Bezeichnungen für den Stoff abgeleitet. Die serischen Stoffe kamen von den Serern im Lande Sera her, aus dem dann Serica als Bezeichnung für China wurde. Nach v. Richthofen ist unter Issedon serica des Ptolemaeus die heutige Stadt Khotan zu verstehen, wohin schon frühzeitig die Seidenzucht vom chinesischen Osten her verpflanzt worden war, und unter Sera metro- polis die chinesische Stadt Hsi-ngan-fu. Später, als nach Procopius zwei Mönche (Nestorianer) dem griechischen Kaiser Justinian aus dem Lande "Serida" Seidenraupeneier brachten, war Tshang-ye, das heu- tige Kan-tshou der grosse Stapelplatz für Seide. Als hervorragender Förderer der Seidenzucht wird aus der ältesten Zeit der Minister Yu (spätere Kaiser Yan) genannt, welcher das Hügelland von Shansi mit Maulbeeren bepflanzte.
Obgleich gegenwärtig jede chinesische Provinz Seide liefert, zeichnen sich doch Tshe-kiang, Kwang-tung, Sz'tshwan, Honan, Kiang- su und Kwei-tshou besonders durch ihre ausgedehnte Zucht aus. Die beste Seide kommt von der Provinz Tshe-kiang und insbesondere ihrem nordwestlichsten Theil, wenn sie auch die Güte der italienischen und der Sevennenseide nicht erreicht. Aus der statistischen Tabelle ergibt sich, dass China noch immer der erste Seidenlieferant der Erde ist und die jährliche Ausfuhr nach Europa, Nordamerika und Bombay zwischen 52000 und 85000 Ballen (a 100 kg) beträgt.
*) Siehe namentlich die interessanten Notizen hierüber in v. Richthofen's China I. 443 u. Yule: Cathay 159.
**) The Middle Kingdom I. pg. 32 ff.
4. Viehzucht und Seidenzucht.
mentliche Andeutungen und Nachrichten griechischer Classiker von Herodot an, sondern auch alte chinesische Berichte auf sie hinweisen.*) Nach W. Williams**) verlegt man nach den ältesten sagenhaften Nach- richten die Anfänge der Seidenzucht um die Zeit 2600 v. Chr. Da- mals, heisst es, fing die Kaiserin Lui Ttsu in Shan-tung an, Seiden- raupen zu ziehen und aus ihren Gespinnsten Gewebe zu machen. Sie wurde später als Seidengöttin unter dem Namen Yuenfi verehrt und ihr im Palast zu Peking ein Tempel geweiht, in welchem ihr die Chinesische Kaiserin und Protektorin der Seidenzucht noch immer jährlich im April bei Beginn der neuen Zucht ihre Huldigung und gewisse Opfer darbringt.
»Mit der Seide wanderte das Wort, mit dem die Chinesen sie bezeichnen, und unter diesem oder von ihm abgeleiteten Namen finden wir sie schon früh mehrfach angeführt« (v. Richthofen). Von der chinesischen Bezeichnung sz’ (auch ssu, sée und sse) für Seide und dem Affix orr(’r) werden das koreanische sir, das griechische σήρ und unsere verschiedenen europäischen Bezeichnungen für den Stoff abgeleitet. Die serischen Stoffe kamen von den Serern im Lande Sera her, aus dem dann Serica als Bezeichnung für China wurde. Nach v. Richthofen ist unter Issedon serica des Ptolemaeus die heutige Stadt Khotan zu verstehen, wohin schon frühzeitig die Seidenzucht vom chinesischen Osten her verpflanzt worden war, und unter Sera metro- polis die chinesische Stadt Hsi-ngan-fu. Später, als nach Procopius zwei Mönche (Nestorianer) dem griechischen Kaiser Justinian aus dem Lande »Serida« Seidenraupeneier brachten, war Tshang-ye, das heu- tige Kan-tshóu der grosse Stapelplatz für Seide. Als hervorragender Förderer der Seidenzucht wird aus der ältesten Zeit der Minister Yŭ (spätere Kaiser Yan) genannt, welcher das Hügelland von Shansi mit Maulbeeren bepflanzte.
Obgleich gegenwärtig jede chinesische Provinz Seide liefert, zeichnen sich doch Tshě-kiang, Kwang-tung, Sz’tshwan, Hōnan, Kiang- su und Kwéi-tshóu besonders durch ihre ausgedehnte Zucht aus. Die beste Seide kommt von der Provinz Tshě-kiang und insbesondere ihrem nordwestlichsten Theil, wenn sie auch die Güte der italienischen und der Sevennenseide nicht erreicht. Aus der statistischen Tabelle ergibt sich, dass China noch immer der erste Seidenlieferant der Erde ist und die jährliche Ausfuhr nach Europa, Nordamerika und Bombay zwischen 52000 und 85000 Ballen (à 100 kg) beträgt.
*) Siehe namentlich die interessanten Notizen hierüber in v. Richthofen’s China I. 443 u. Yule: Cathay 159.
**) The Middle Kingdom I. pg. 32 ff.
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mentliche Andeutungen und Nachrichten griechischer Classiker von
Herodot an, sondern auch alte chinesische Berichte auf sie hinweisen. *)
Nach W. Williams **) verlegt man nach den ältesten sagenhaften Nach-
richten die Anfänge der Seidenzucht um die Zeit 2600 v. Chr. Da-
mals, heisst es, fing die Kaiserin Lui Ttsu in Shan-tung an, Seiden-
raupen zu ziehen und aus ihren Gespinnsten Gewebe zu machen.
Sie wurde später als Seidengöttin unter dem Namen Yuenfi verehrt
und ihr im Palast zu Peking ein Tempel geweiht, in welchem ihr die
Chinesische Kaiserin und Protektorin der Seidenzucht noch immer
jährlich im April bei Beginn der neuen Zucht ihre Huldigung und
gewisse Opfer darbringt.
»Mit der Seide wanderte das Wort, mit dem die Chinesen sie
bezeichnen, und unter diesem oder von ihm abgeleiteten Namen finden
wir sie schon früh mehrfach angeführt« (v. Richthofen). Von der
chinesischen Bezeichnung sz’ (auch ssu, sée und sse) für Seide und
dem Affix orr(’r) werden das koreanische sir, das griechische σήρ
und unsere verschiedenen europäischen Bezeichnungen für den Stoff
abgeleitet. Die serischen Stoffe kamen von den Serern im Lande Sera
her, aus dem dann Serica als Bezeichnung für China wurde. Nach
v. Richthofen ist unter Issedon serica des Ptolemaeus die heutige Stadt
Khotan zu verstehen, wohin schon frühzeitig die Seidenzucht vom
chinesischen Osten her verpflanzt worden war, und unter Sera metro-
polis die chinesische Stadt Hsi-ngan-fu. Später, als nach Procopius
zwei Mönche (Nestorianer) dem griechischen Kaiser Justinian aus dem
Lande »Serida« Seidenraupeneier brachten, war Tshang-ye, das heu-
tige Kan-tshóu der grosse Stapelplatz für Seide. Als hervorragender
Förderer der Seidenzucht wird aus der ältesten Zeit der Minister Yŭ
(spätere Kaiser Yan) genannt, welcher das Hügelland von Shansi mit
Maulbeeren bepflanzte.
Obgleich gegenwärtig jede chinesische Provinz Seide liefert,
zeichnen sich doch Tshě-kiang, Kwang-tung, Sz’tshwan, Hōnan, Kiang-
su und Kwéi-tshóu besonders durch ihre ausgedehnte Zucht aus. Die
beste Seide kommt von der Provinz Tshě-kiang und insbesondere
ihrem nordwestlichsten Theil, wenn sie auch die Güte der italienischen
und der Sevennenseide nicht erreicht. Aus der statistischen Tabelle
ergibt sich, dass China noch immer der erste Seidenlieferant der Erde
ist und die jährliche Ausfuhr nach Europa, Nordamerika und Bombay
zwischen 52000 und 85000 Ballen (à 100 kg) beträgt.
*) Siehe namentlich die interessanten Notizen hierüber in v. Richthofen’s
China I. 443 u. Yule: Cathay 159.
**) The Middle Kingdom I. pg. 32 ff.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/243>, abgerufen am 25.11.2024.
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