Sanfte Bergformen herrschen bei weitem vor*). Japanische Ge- birgslandschaften zeichnen sich weniger durch grossartige, wilde, zer- rissene und zerklüftete Felspartieen, als vielmehr durch ihre Anmuth und Frische aus. Neben der Beschaffenheit des Materials, aus wel- chem sie aufgebaut sind, ist diese Erscheinung wohl vor allem der starken Verwitterung zuzuschreiben, welche hier durch manche Fac- toren gefördert wird und eine verhältnissmässig rasche Umgestaltung der Profile bewirkt. In der That machen sich hier alle die Einflüsse, welche man als den Zahn der Zeit bezeichnet, in hohem Grade geltend, nämlich im Winter häufiger Wechsel zwischen Regen und Trockenheit, Frost und Thau; im Sommer dagegen heftige, reiche Niederschläge, welche im Verein mit der hohen Temperatur die Vegetation mächtig an- regen, deren Wurzeln dann weiter ein nicht zu unterschätzendes Agens zum Zersprengen und Zersetzen der Felsen und ihrer Trümmer bilden.
Ewigen Schnee und Gletscher findet man im Reich der aufgehen- den Sonne nicht, wohl aber tragen viele der hohen Gipfel auf Hondo und Yezo noch spät in den Nachsommer hinein ansehnliche Schnee- felder und werden bereits Anfangs October von neuem in weisse Kleider gehüllt. Auch kommt es bei verschiedenen Bergen, wie z. B. bei dem Haku-san und Iitoyo-san**), nicht selten vor, dass einzelne Schnee- streifen mehrere Jahre ohne Unterbrechung bleiben. Hierauf deuten Namen, wie Yuki-yama (Schneeberg), Haku-san oder Shiro-yama (Weissberg), und bezüglich des Jitoyo-san eine in Aidzu und Yonezawa gebräuchliche Redensart, nämlich warten bis "Iitoyo-san no yuki-wa kigetara (der Schnee des Ede-san weggeschmolzen ist)", d. h. Etwas ad calendas graecas verschieben.
Man darf jedoch -- in Japan vielleicht noch weniger als sonst -- aus dem langen Verweilen des Schnees auf einem Berge keine Schlüsse auf die relative Höhe ziehen, da jenes ja von verschiedenen Um- ständen und vor allem von der Menge des Niederschlages während des Winters abhängt.
Die Japaner kennen und unterscheiden durch besondere Namen die einzelnen Berge ihres Landes, nicht aber die Gebirgszüge. Der götterreiche Buddhismus und dann auch der Ahnencultus verliehen ihnen für jeden bemerkenswerthen Gipfel einen besonderen Gott. Das demselben wohlgefällige Werk, seine Wohnstätte aufzusuchen, ihm dort ein Tempelchen zu errichten und daselbst zu ihm zu beten, unternahmen sie um so freudiger, als sie damit Gewissheit erlangten,
*) Die Bilder in Siebold's Archiv sind Phantasiegemälde, welche mit den Bergen, die sie vorstellen sollen, nicht die geringste Aehnlichkeit haben.
**) Das Volk sagt für Iitoyo-san stets Ede-san.
IV. Orographie.
Sanfte Bergformen herrschen bei weitem vor*). Japanische Ge- birgslandschaften zeichnen sich weniger durch grossartige, wilde, zer- rissene und zerklüftete Felspartieen, als vielmehr durch ihre Anmuth und Frische aus. Neben der Beschaffenheit des Materials, aus wel- chem sie aufgebaut sind, ist diese Erscheinung wohl vor allem der starken Verwitterung zuzuschreiben, welche hier durch manche Fac- toren gefördert wird und eine verhältnissmässig rasche Umgestaltung der Profile bewirkt. In der That machen sich hier alle die Einflüsse, welche man als den Zahn der Zeit bezeichnet, in hohem Grade geltend, nämlich im Winter häufiger Wechsel zwischen Regen und Trockenheit, Frost und Thau; im Sommer dagegen heftige, reiche Niederschläge, welche im Verein mit der hohen Temperatur die Vegetation mächtig an- regen, deren Wurzeln dann weiter ein nicht zu unterschätzendes Agens zum Zersprengen und Zersetzen der Felsen und ihrer Trümmer bilden.
Ewigen Schnee und Gletscher findet man im Reich der aufgehen- den Sonne nicht, wohl aber tragen viele der hohen Gipfel auf Hondo und Yezo noch spät in den Nachsommer hinein ansehnliche Schnee- felder und werden bereits Anfangs October von neuem in weisse Kleider gehüllt. Auch kommt es bei verschiedenen Bergen, wie z. B. bei dem Haku-san und Iitoyo-san**), nicht selten vor, dass einzelne Schnee- streifen mehrere Jahre ohne Unterbrechung bleiben. Hierauf deuten Namen, wie Yuki-yama (Schneeberg), Haku-san oder Shiro-yama (Weissberg), und bezüglich des Jitoyo-san eine in Aidzu und Yonezawa gebräuchliche Redensart, nämlich warten bis »Iitoyo-san no yuki-wa kigetara (der Schnee des Ede-san weggeschmolzen ist)«, d. h. Etwas ad calendas graecas verschieben.
Man darf jedoch — in Japan vielleicht noch weniger als sonst — aus dem langen Verweilen des Schnees auf einem Berge keine Schlüsse auf die relative Höhe ziehen, da jenes ja von verschiedenen Um- ständen und vor allem von der Menge des Niederschlages während des Winters abhängt.
Die Japaner kennen und unterscheiden durch besondere Namen die einzelnen Berge ihres Landes, nicht aber die Gebirgszüge. Der götterreiche Buddhismus und dann auch der Ahnencultus verliehen ihnen für jeden bemerkenswerthen Gipfel einen besonderen Gott. Das demselben wohlgefällige Werk, seine Wohnstätte aufzusuchen, ihm dort ein Tempelchen zu errichten und daselbst zu ihm zu beten, unternahmen sie um so freudiger, als sie damit Gewissheit erlangten,
*) Die Bilder in Siebold’s Archiv sind Phantasiegemälde, welche mit den Bergen, die sie vorstellen sollen, nicht die geringste Aehnlichkeit haben.
**) Das Volk sagt für Iitoyo-san stets Ede-san.
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IV. Orographie.
Sanfte Bergformen herrschen bei weitem vor *). Japanische Ge-
birgslandschaften zeichnen sich weniger durch grossartige, wilde, zer-
rissene und zerklüftete Felspartieen, als vielmehr durch ihre Anmuth
und Frische aus. Neben der Beschaffenheit des Materials, aus wel-
chem sie aufgebaut sind, ist diese Erscheinung wohl vor allem der
starken Verwitterung zuzuschreiben, welche hier durch manche Fac-
toren gefördert wird und eine verhältnissmässig rasche Umgestaltung
der Profile bewirkt. In der That machen sich hier alle die Einflüsse,
welche man als den Zahn der Zeit bezeichnet, in hohem Grade geltend,
nämlich im Winter häufiger Wechsel zwischen Regen und Trockenheit,
Frost und Thau; im Sommer dagegen heftige, reiche Niederschläge,
welche im Verein mit der hohen Temperatur die Vegetation mächtig an-
regen, deren Wurzeln dann weiter ein nicht zu unterschätzendes Agens
zum Zersprengen und Zersetzen der Felsen und ihrer Trümmer bilden.
Ewigen Schnee und Gletscher findet man im Reich der aufgehen-
den Sonne nicht, wohl aber tragen viele der hohen Gipfel auf Hondo
und Yezo noch spät in den Nachsommer hinein ansehnliche Schnee-
felder und werden bereits Anfangs October von neuem in weisse Kleider
gehüllt. Auch kommt es bei verschiedenen Bergen, wie z. B. bei dem
Haku-san und Iitoyo-san **), nicht selten vor, dass einzelne Schnee-
streifen mehrere Jahre ohne Unterbrechung bleiben. Hierauf deuten
Namen, wie Yuki-yama (Schneeberg), Haku-san oder Shiro-yama
(Weissberg), und bezüglich des Jitoyo-san eine in Aidzu und Yonezawa
gebräuchliche Redensart, nämlich warten bis »Iitoyo-san no yuki-wa
kigetara (der Schnee des Ede-san weggeschmolzen ist)«, d. h. Etwas
ad calendas graecas verschieben.
Man darf jedoch — in Japan vielleicht noch weniger als sonst —
aus dem langen Verweilen des Schnees auf einem Berge keine Schlüsse
auf die relative Höhe ziehen, da jenes ja von verschiedenen Um-
ständen und vor allem von der Menge des Niederschlages während
des Winters abhängt.
Die Japaner kennen und unterscheiden durch besondere Namen
die einzelnen Berge ihres Landes, nicht aber die Gebirgszüge. Der
götterreiche Buddhismus und dann auch der Ahnencultus verliehen
ihnen für jeden bemerkenswerthen Gipfel einen besonderen Gott.
Das demselben wohlgefällige Werk, seine Wohnstätte aufzusuchen,
ihm dort ein Tempelchen zu errichten und daselbst zu ihm zu beten,
unternahmen sie um so freudiger, als sie damit Gewissheit erlangten,
*) Die Bilder in Siebold’s Archiv sind Phantasiegemälde, welche mit den
Bergen, die sie vorstellen sollen, nicht die geringste Aehnlichkeit haben.
**) Das Volk sagt für Iitoyo-san stets Ede-san.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/88>, abgerufen am 22.11.2024.
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