zum raschen Emporblühen von Yedo. Als dann zu Anfang der sechziger Jahre der Einfluss des Shogun rasch sank, Yokohama durch fremdes Kapital und fremde Energie eben so rasch emporblühte, und als vollends der alte Zwang für die Daimios, in Yedo zu wohnen, aufgehoben wurde, da leerte sich die Stadt zusehends und schien ihr Glanz für immer geschwunden. Doch der Mikado machte sie 1869 zu seiner Residenz, änderte ihren Namen in Tokio (Ost-Hauptstadt) *) und führte ihr neues Leben zu. Hiermit beginnt eine neue Zeit, auch für diese "Stadt der Taikune", auf veränderter Basis ein neues Emporblühen. Bereits hat man einen Theil ihrer Strassen aus Back- steinen erbaut und damit den Grund gelegt gegen Feuersgefahr und zur wesentlichen Förderung des Nationalwohlstandes. Die Zeit kommt, wo es nicht mehr heissen wird, wie bisher: "Kaji-wa Yedo no hana da", "das Feuer ist Yedo's Blume", sondern wo Yedo auch in solider Bauart die Blume unter den japanischen Städten genannt werden kann.
In früherer Zeit spielten verschiedene Vorstädte von Yedo, welche im Umkreise von 2 ri vom Centrum Nihon-bashi aus an den grossen, hier endenden Landstrassen sich hinziehen, eine bedeutende Rolle. Aus den grossen, geräumigen Yadoyas und andern auf die Unter- haltung berechneten Anstalten kann man auf den lebhaften Verkehr schliessen, der früher in ihnen herrschte. Hier machten die Daimio- züge auf ihren Reisen nach und von der Hauptstadt das letzte oder erste Nachtquartier. Für gute Bewirthung und Vergnügen verschie- dener Art war reichlich gesorgt.
Nachdem seit der Perry-Expedition die in die Samuraiclasse ge- drungene Gährung sich mehr und mehr in die Gegensätze zwischen Kioto und Yedo zugespitzt hatte, wurden diese Vorstädte die Sam- melplätze von allerlei schlechtem Volke, insbesondere von Ronin, welche hier bei Sake und Dirnen nachdachten, wie sie dem Bakufu am besten Verlegenheiten bereiten und ihrem Fremdenhass Ausdruck geben könnten. Manche blutige That dieser verwegenen Gesellen wurde im Yoshiwara von Shinagawa geplant, denn diese an der Bucht von Yedo dem Tokaido entlang ziehende südliche Vorstadt war die bedeutendste und belebteste von allen. Noch gegenwärtig zählt sie über 10000 Einwohner. Am Oshiu-Kaido, also auf der Westseite von Tokio, finden wir die Vorstadt Shinji-ku mit 4000 Ein- wohnern, am Nakasendo, auf der Nordwestseite liegt Itabashi mit
*) Nach einer anderen Aussprache der beiden chinesischen Zeichen, welche dem Worte zu Grunde liegen, heisst die Stadt auch Tokei (sprich Toke).
II. Tôkaido. a. Kuwanto (Tôkio).
zum raschen Emporblühen von Yedo. Als dann zu Anfang der sechziger Jahre der Einfluss des Shôgun rasch sank, Yokohama durch fremdes Kapital und fremde Energie eben so rasch emporblühte, und als vollends der alte Zwang für die Daimios, in Yedo zu wohnen, aufgehoben wurde, da leerte sich die Stadt zusehends und schien ihr Glanz für immer geschwunden. Doch der Mikado machte sie 1869 zu seiner Residenz, änderte ihren Namen in Tôkio (Ost-Hauptstadt) *) und führte ihr neues Leben zu. Hiermit beginnt eine neue Zeit, auch für diese »Stadt der Taikune«, auf veränderter Basis ein neues Emporblühen. Bereits hat man einen Theil ihrer Strassen aus Back- steinen erbaut und damit den Grund gelegt gegen Feuersgefahr und zur wesentlichen Förderung des Nationalwohlstandes. Die Zeit kommt, wo es nicht mehr heissen wird, wie bisher: »Kaji-wa Yedo no hana da«, »das Feuer ist Yedo’s Blume«, sondern wo Yedo auch in solider Bauart die Blume unter den japanischen Städten genannt werden kann.
In früherer Zeit spielten verschiedene Vorstädte von Yedo, welche im Umkreise von 2 ri vom Centrum Nihon-bashi aus an den grossen, hier endenden Landstrassen sich hinziehen, eine bedeutende Rolle. Aus den grossen, geräumigen Yadoyas und andern auf die Unter- haltung berechneten Anstalten kann man auf den lebhaften Verkehr schliessen, der früher in ihnen herrschte. Hier machten die Daimio- züge auf ihren Reisen nach und von der Hauptstadt das letzte oder erste Nachtquartier. Für gute Bewirthung und Vergnügen verschie- dener Art war reichlich gesorgt.
Nachdem seit der Perry-Expedition die in die Samuraiclasse ge- drungene Gährung sich mehr und mehr in die Gegensätze zwischen Kiôto und Yedo zugespitzt hatte, wurden diese Vorstädte die Sam- melplätze von allerlei schlechtem Volke, insbesondere von Rônin, welche hier bei Sake und Dirnen nachdachten, wie sie dem Bakufu am besten Verlegenheiten bereiten und ihrem Fremdenhass Ausdruck geben könnten. Manche blutige That dieser verwegenen Gesellen wurde im Yoshiwara von Shinagawa geplant, denn diese an der Bucht von Yedo dem Tôkaidô entlang ziehende südliche Vorstadt war die bedeutendste und belebteste von allen. Noch gegenwärtig zählt sie über 10000 Einwohner. Am Ôshiu-Kaidô, also auf der Westseite von Tôkio, finden wir die Vorstadt Shinji-ku mit 4000 Ein- wohnern, am Nakasendô, auf der Nordwestseite liegt Itabashi mit
*) Nach einer anderen Aussprache der beiden chinesischen Zeichen, welche dem Worte zu Grunde liegen, heisst die Stadt auch Tôkei (sprich Tôké).
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II. Tôkaido. a. Kuwanto (Tôkio).
zum raschen Emporblühen von Yedo. Als dann zu Anfang der
sechziger Jahre der Einfluss des Shôgun rasch sank, Yokohama durch
fremdes Kapital und fremde Energie eben so rasch emporblühte, und
als vollends der alte Zwang für die Daimios, in Yedo zu wohnen,
aufgehoben wurde, da leerte sich die Stadt zusehends und schien ihr
Glanz für immer geschwunden. Doch der Mikado machte sie 1869
zu seiner Residenz, änderte ihren Namen in Tôkio (Ost-Hauptstadt) *)
und führte ihr neues Leben zu. Hiermit beginnt eine neue Zeit, auch
für diese »Stadt der Taikune«, auf veränderter Basis ein neues
Emporblühen. Bereits hat man einen Theil ihrer Strassen aus Back-
steinen erbaut und damit den Grund gelegt gegen Feuersgefahr und
zur wesentlichen Förderung des Nationalwohlstandes. Die Zeit kommt,
wo es nicht mehr heissen wird, wie bisher: »Kaji-wa Yedo no hana
da«, »das Feuer ist Yedo’s Blume«, sondern wo Yedo auch in solider
Bauart die Blume unter den japanischen Städten genannt werden
kann.
In früherer Zeit spielten verschiedene Vorstädte von Yedo, welche
im Umkreise von 2 ri vom Centrum Nihon-bashi aus an den grossen,
hier endenden Landstrassen sich hinziehen, eine bedeutende Rolle.
Aus den grossen, geräumigen Yadoyas und andern auf die Unter-
haltung berechneten Anstalten kann man auf den lebhaften Verkehr
schliessen, der früher in ihnen herrschte. Hier machten die Daimio-
züge auf ihren Reisen nach und von der Hauptstadt das letzte oder
erste Nachtquartier. Für gute Bewirthung und Vergnügen verschie-
dener Art war reichlich gesorgt.
Nachdem seit der Perry-Expedition die in die Samuraiclasse ge-
drungene Gährung sich mehr und mehr in die Gegensätze zwischen
Kiôto und Yedo zugespitzt hatte, wurden diese Vorstädte die Sam-
melplätze von allerlei schlechtem Volke, insbesondere von Rônin,
welche hier bei Sake und Dirnen nachdachten, wie sie dem Bakufu
am besten Verlegenheiten bereiten und ihrem Fremdenhass Ausdruck
geben könnten. Manche blutige That dieser verwegenen Gesellen
wurde im Yoshiwara von Shinagawa geplant, denn diese an der
Bucht von Yedo dem Tôkaidô entlang ziehende südliche Vorstadt
war die bedeutendste und belebteste von allen. Noch gegenwärtig
zählt sie über 10000 Einwohner. Am Ôshiu-Kaidô, also auf der
Westseite von Tôkio, finden wir die Vorstadt Shinji-ku mit 4000 Ein-
wohnern, am Nakasendô, auf der Nordwestseite liegt Itabashi mit
*) Nach einer anderen Aussprache der beiden chinesischen Zeichen, welche
dem Worte zu Grunde liegen, heisst die Stadt auch Tôkei (sprich Tôké).
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/597>, abgerufen am 23.07.2024.
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