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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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6. Religiöse Zustände.
Tempel To-yeizan zu Uyeno, wo der Oberpriester Rinnoji, ein kaiser-
licher Prinz, wohnte mit 13000 Koku Revenüen.

Kobo Daishi oder Kukai, der Erfinder des Katakana, gründete
die Shingon-shiu, indem er ihr einen berühmten Tempel zu
Makiyama in Idzumi baute. Auch brachte derselbe den Koya-san in
Kii zuerst in Ruf. Kangohoji, der prachtvolle, wohlerhaltene Haupt-
tempel dieser berühmten Klosterstadt, gehört dieser Secte. Ihre Mönche
sind strenge Vegetarianer. Sie verkaufen Ablass (Ofuda) gegen Husten,
den Bösen, die Blattern und andere Dinge, vor allem aber verstehen
sie viel Geld zu verdienen mit dem dosha oder wundervollen Sande
vom Muroo-san in Yamato. Die kleine Prise kostet 3 sen oder
14 Pfennige. Er soll die Glieder der Verstorbenen wieder weich
und gelenkig machen, so dass man sie im Kasten oder Sarg leicht
zurecht legen kann. Auch die mit bonji-Zeichen ganz bedruckten
Todtenhemden aus Papier, Kiyo-katabira genannt, werden von den
Priestern zu Koya verkauft.

Die drei populärsten und einflussreichsten Secten der Jetztzeit
sind die Shin oder Monto, die Nichiren oder Hokke und die Yodo.

Die Shinshiu oder Monto hat man wohl die Protestanten des
japanischen Buddhismus genannt. Diese Secte verwirft Cölibat,
Bussübung, Enthaltsamkeit von gewissen Speisen, Pilgerfahrten, asce-
tisches Leben, Klöster und Amulette. Der Glaube an Buddha, ernstes
Gebet, edles Denken und Handeln gelten ihren Anhängern für die
Hauptsache. Die Secte geniesst hohe Achtung wegen der Reinheit
ihrer Sitten. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert. Gleich Luther
verheirathete sich ihr Gründer, ein Kuge, und führte die Volkssprache
und Schrift, das Hirakana, statt des unverständlichen Bonji ein. Der
Priesterstand ist erblich, wie bei den Shintoisten. Der Cultus ist sehr
decorativ und prunkvoll vor glänzend ausgestatteten Altären. Die
Monto verehren namentlich Kuwan-on (Kannon), die Göttin der Gnade,
von der es heisst, sie sei die einzige Frau gewesen, welche Shaka
gefolgt sei.

Die Shin-Secte hat gegenwärtig unter den Buddhisten am meisten
Ansehen und Einfluss. Die Haupttempel ihrer sechs Zweige sind in
Tokio der Nishi-Honguwanji, Higashi-Honguwanji*), Sensoji, Koshoji,
Bukkoji und Kenshokuji. Am 28. November 1876 gewährte der Mi-
kado der Secte die hohe Auszeichnung, dass er die Oberpriester der
beiden erstgenannten Tempel und durch sie die ganze Genossenschaft

*) In fast jeder grösseren Stadt, z. B. zu Kioto, Osaka, Nagoya etc., hat
die Monto-Secte zwei Tempel mit diesem Namen. Nishi, West, higashi, Ost,
hon, Haupt, guwan, Gebet, Bitte, ji (tera), der Buddhatempel.

6. Religiöse Zustände.
Tempel Tô-yeizan zu Uyeno, wo der Oberpriester Rinnoji, ein kaiser-
licher Prinz, wohnte mit 13000 Koku Revenüen.

Kôbô Daishi oder Kukai, der Erfinder des Katakana, gründete
die Shingon-shiu, indem er ihr einen berühmten Tempel zu
Makiyama in Idzumi baute. Auch brachte derselbe den Koya-san in
Kii zuerst in Ruf. Kangohoji, der prachtvolle, wohlerhaltene Haupt-
tempel dieser berühmten Klosterstadt, gehört dieser Secte. Ihre Mönche
sind strenge Vegetarianer. Sie verkaufen Ablass (Ofuda) gegen Husten,
den Bösen, die Blattern und andere Dinge, vor allem aber verstehen
sie viel Geld zu verdienen mit dem dosha oder wundervollen Sande
vom Muroo-san in Yamato. Die kleine Prise kostet 3 sen oder
14 Pfennige. Er soll die Glieder der Verstorbenen wieder weich
und gelenkig machen, so dass man sie im Kasten oder Sarg leicht
zurecht legen kann. Auch die mit bonji-Zeichen ganz bedruckten
Todtenhemden aus Papier, Kiyo-katabira genannt, werden von den
Priestern zu Koya verkauft.

Die drei populärsten und einflussreichsten Secten der Jetztzeit
sind die Shin oder Monto, die Nichiren oder Hokke und die Yôdô.

Die Shinshiu oder Monto hat man wohl die Protestanten des
japanischen Buddhismus genannt. Diese Secte verwirft Cölibat,
Bussübung, Enthaltsamkeit von gewissen Speisen, Pilgerfahrten, asce-
tisches Leben, Klöster und Amulette. Der Glaube an Buddha, ernstes
Gebet, edles Denken und Handeln gelten ihren Anhängern für die
Hauptsache. Die Secte geniesst hohe Achtung wegen der Reinheit
ihrer Sitten. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert. Gleich Luther
verheirathete sich ihr Gründer, ein Kuge, und führte die Volkssprache
und Schrift, das Hirakana, statt des unverständlichen Bonji ein. Der
Priesterstand ist erblich, wie bei den Shintôisten. Der Cultus ist sehr
decorativ und prunkvoll vor glänzend ausgestatteten Altären. Die
Monto verehren namentlich Kuwan-on (Kannon), die Göttin der Gnade,
von der es heisst, sie sei die einzige Frau gewesen, welche Shaka
gefolgt sei.

Die Shin-Secte hat gegenwärtig unter den Buddhisten am meisten
Ansehen und Einfluss. Die Haupttempel ihrer sechs Zweige sind in
Tôkio der Nishi-Honguwanji, Higashi-Honguwanji*), Sensôji, Kôshoji,
Bukkôji und Kenshokuji. Am 28. November 1876 gewährte der Mi-
kado der Secte die hohe Auszeichnung, dass er die Oberpriester der
beiden erstgenannten Tempel und durch sie die ganze Genossenschaft

*) In fast jeder grösseren Stadt, z. B. zu Kiôto, Ôsaka, Nagoya etc., hat
die Monto-Secte zwei Tempel mit diesem Namen. Nishi, West, higashi, Ost,
hon, Haupt, guwan, Gebet, Bitte, ji (tera), der Buddhatempel.
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[527/0561] 6. Religiöse Zustände. Tempel Tô-yeizan zu Uyeno, wo der Oberpriester Rinnoji, ein kaiser- licher Prinz, wohnte mit 13000 Koku Revenüen. Kôbô Daishi oder Kukai, der Erfinder des Katakana, gründete die Shingon-shiu, indem er ihr einen berühmten Tempel zu Makiyama in Idzumi baute. Auch brachte derselbe den Koya-san in Kii zuerst in Ruf. Kangohoji, der prachtvolle, wohlerhaltene Haupt- tempel dieser berühmten Klosterstadt, gehört dieser Secte. Ihre Mönche sind strenge Vegetarianer. Sie verkaufen Ablass (Ofuda) gegen Husten, den Bösen, die Blattern und andere Dinge, vor allem aber verstehen sie viel Geld zu verdienen mit dem dosha oder wundervollen Sande vom Muroo-san in Yamato. Die kleine Prise kostet 3 sen oder 14 Pfennige. Er soll die Glieder der Verstorbenen wieder weich und gelenkig machen, so dass man sie im Kasten oder Sarg leicht zurecht legen kann. Auch die mit bonji-Zeichen ganz bedruckten Todtenhemden aus Papier, Kiyo-katabira genannt, werden von den Priestern zu Koya verkauft. Die drei populärsten und einflussreichsten Secten der Jetztzeit sind die Shin oder Monto, die Nichiren oder Hokke und die Yôdô. Die Shinshiu oder Monto hat man wohl die Protestanten des japanischen Buddhismus genannt. Diese Secte verwirft Cölibat, Bussübung, Enthaltsamkeit von gewissen Speisen, Pilgerfahrten, asce- tisches Leben, Klöster und Amulette. Der Glaube an Buddha, ernstes Gebet, edles Denken und Handeln gelten ihren Anhängern für die Hauptsache. Die Secte geniesst hohe Achtung wegen der Reinheit ihrer Sitten. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert. Gleich Luther verheirathete sich ihr Gründer, ein Kuge, und führte die Volkssprache und Schrift, das Hirakana, statt des unverständlichen Bonji ein. Der Priesterstand ist erblich, wie bei den Shintôisten. Der Cultus ist sehr decorativ und prunkvoll vor glänzend ausgestatteten Altären. Die Monto verehren namentlich Kuwan-on (Kannon), die Göttin der Gnade, von der es heisst, sie sei die einzige Frau gewesen, welche Shaka gefolgt sei. Die Shin-Secte hat gegenwärtig unter den Buddhisten am meisten Ansehen und Einfluss. Die Haupttempel ihrer sechs Zweige sind in Tôkio der Nishi-Honguwanji, Higashi-Honguwanji *), Sensôji, Kôshoji, Bukkôji und Kenshokuji. Am 28. November 1876 gewährte der Mi- kado der Secte die hohe Auszeichnung, dass er die Oberpriester der beiden erstgenannten Tempel und durch sie die ganze Genossenschaft *) In fast jeder grösseren Stadt, z. B. zu Kiôto, Ôsaka, Nagoya etc., hat die Monto-Secte zwei Tempel mit diesem Namen. Nishi, West, higashi, Ost, hon, Haupt, guwan, Gebet, Bitte, ji (tera), der Buddhatempel.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/561>, abgerufen am 22.11.2024.