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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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II. Ethnographie.
wurde die eigentliche Volksreligion, der die Japaner noch heute an-
hängen.

Die Bekenner des Buddhismus haben die Lebensgeschichte Buddhas
mit vielen Mythen umgeben, doch steht fest, dass er ein Königssohn
aus der Familie Cakya im heutigen Behar war und Siddhartha hiess.
Nicht blos an Geist und Wissen, sondern auch durch seine edle Ge-
stalt, durch Gewandtheit und Kraft bei allen ritterlichen Leibesübungen
übertraf er seine Alters- und Zeitgenossen, zeigte schon frühzeitig
tiefes Mitleid mit dem Elend und Leiden nicht blos der Menschen,
sondern auch der Thiere, und eine starke Neigung zu klösterlicher
Abgeschiedenheit und stiller Betrachtung. Die Schwermuth, welche
sich mehr und mehr daraus entwickelte, vermochte auch das glück-
lichste Eheleben im paradiesisch schönen Lustschlosse und seinen
Anlagen nicht ganz zu verscheuchen, ja sie trieb ihn endlich dazu,
alles irdische Glück, das er genoss, Weib, Kind, Vater, Palast und
ein schönes Königreich als Erbe aufzugeben, sich heimlich zu ent-
fernen und 7 Jahre lang unter Entbehrungen und Casteiungen man-
cher Art ein Wanderleben in der Fremde zu führen, um den Weg
zum wahren Glück zu suchen. Im einsamen Walde unter einem
Bodhi-Baume (Ficus religiosa) tritt nach der Erzählung endlich Mara,
der Teufel und Herr der Lüfte, an Siddhartha heran und versucht ihn
auf zehnfache Art zur Sünde. Dieser aber widersteht und ist da-
durch wie umgewandelt. Ein heller Schein umgibt ihn; er ist von
nun ab Buddha*), ein Heiliger und Ueberwinder. Er hat den Stein
der Weisen, den Weg zur wahren Glückseligkeit gefunden, es ist die
Ueberwindung der Versuchung, der Begierden. "Weit ist der schon
auf dem Wege zum ewigen Glück (nach Nirwana), dessen Fuss eine
Lieblingssünde niedertritt".

Nicht länger bleibt nun Buddha in seiner Einsamkeit, es treibt
ihn, die gefundene Wahrheit zu verkünden und auch Andere seines
Glückes theilhaftig zu machen. Von nun an erscheint Siddhartha, der
Königssohn, als Buddha in gelbem Gewande, nackten, geschorenen
Hauptes unter den Menschen, und -- seine geringen Subsistenzmittel

bescheidenere Plätze an. Selbst Brahma, Ciwa und Wischnu treten hinter die
Buddha (Heiligen) weit zurück. Der ganze grobe Götzendienst, welchen der
Buddhismus später entfaltete, lag keineswegs in der Lehre Siddhartha's begründet.
Selbst die Erhebung der ersten sieben Buddhas auf den höchsten Thron ging
erst von seinen Nachfolgern aus, welche den ganzen Apparat immer complicierter
machten und dadurch die Doctrine mehr und mehr in den Hintergrund schoben.
*) Cakyamuni (Lehrer aus der Familie Cakya) Gautama Buddha (Weiser) ist
der volle Titel. Die Japaner nennen ihn Shaka oder Butsu.

II. Ethnographie.
wurde die eigentliche Volksreligion, der die Japaner noch heute an-
hängen.

Die Bekenner des Buddhismus haben die Lebensgeschichte Buddhas
mit vielen Mythen umgeben, doch steht fest, dass er ein Königssohn
aus der Familie Câkya im heutigen Behâr war und Siddhârtha hiess.
Nicht blos an Geist und Wissen, sondern auch durch seine edle Ge-
stalt, durch Gewandtheit und Kraft bei allen ritterlichen Leibesübungen
übertraf er seine Alters- und Zeitgenossen, zeigte schon frühzeitig
tiefes Mitleid mit dem Elend und Leiden nicht blos der Menschen,
sondern auch der Thiere, und eine starke Neigung zu klösterlicher
Abgeschiedenheit und stiller Betrachtung. Die Schwermuth, welche
sich mehr und mehr daraus entwickelte, vermochte auch das glück-
lichste Eheleben im paradiesisch schönen Lustschlosse und seinen
Anlagen nicht ganz zu verscheuchen, ja sie trieb ihn endlich dazu,
alles irdische Glück, das er genoss, Weib, Kind, Vater, Palast und
ein schönes Königreich als Erbe aufzugeben, sich heimlich zu ent-
fernen und 7 Jahre lang unter Entbehrungen und Casteiungen man-
cher Art ein Wanderleben in der Fremde zu führen, um den Weg
zum wahren Glück zu suchen. Im einsamen Walde unter einem
Bôdhi-Baume (Ficus religiosa) tritt nach der Erzählung endlich Mâra,
der Teufel und Herr der Lüfte, an Siddhârtha heran und versucht ihn
auf zehnfache Art zur Sünde. Dieser aber widersteht und ist da-
durch wie umgewandelt. Ein heller Schein umgibt ihn; er ist von
nun ab Buddha*), ein Heiliger und Ueberwinder. Er hat den Stein
der Weisen, den Weg zur wahren Glückseligkeit gefunden, es ist die
Ueberwindung der Versuchung, der Begierden. »Weit ist der schon
auf dem Wege zum ewigen Glück (nach Nirwâna), dessen Fuss eine
Lieblingssünde niedertritt«.

Nicht länger bleibt nun Buddha in seiner Einsamkeit, es treibt
ihn, die gefundene Wahrheit zu verkünden und auch Andere seines
Glückes theilhaftig zu machen. Von nun an erscheint Siddhârtha, der
Königssohn, als Buddha in gelbem Gewande, nackten, geschorenen
Hauptes unter den Menschen, und — seine geringen Subsistenzmittel

bescheidenere Plätze an. Selbst Brahma, Çiwa und Wischnu treten hinter die
Buddha (Heiligen) weit zurück. Der ganze grobe Götzendienst, welchen der
Buddhismus später entfaltete, lag keineswegs in der Lehre Siddhârtha’s begründet.
Selbst die Erhebung der ersten sieben Buddhas auf den höchsten Thron ging
erst von seinen Nachfolgern aus, welche den ganzen Apparat immer complicierter
machten und dadurch die Doctrine mehr und mehr in den Hintergrund schoben.
*) Çâkyamuni (Lehrer aus der Familie Çâkya) Gautama Buddha (Weiser) ist
der volle Titel. Die Japaner nennen ihn Shaka oder Butsu.
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[520/0554] II. Ethnographie. wurde die eigentliche Volksreligion, der die Japaner noch heute an- hängen. Die Bekenner des Buddhismus haben die Lebensgeschichte Buddhas mit vielen Mythen umgeben, doch steht fest, dass er ein Königssohn aus der Familie Câkya im heutigen Behâr war und Siddhârtha hiess. Nicht blos an Geist und Wissen, sondern auch durch seine edle Ge- stalt, durch Gewandtheit und Kraft bei allen ritterlichen Leibesübungen übertraf er seine Alters- und Zeitgenossen, zeigte schon frühzeitig tiefes Mitleid mit dem Elend und Leiden nicht blos der Menschen, sondern auch der Thiere, und eine starke Neigung zu klösterlicher Abgeschiedenheit und stiller Betrachtung. Die Schwermuth, welche sich mehr und mehr daraus entwickelte, vermochte auch das glück- lichste Eheleben im paradiesisch schönen Lustschlosse und seinen Anlagen nicht ganz zu verscheuchen, ja sie trieb ihn endlich dazu, alles irdische Glück, das er genoss, Weib, Kind, Vater, Palast und ein schönes Königreich als Erbe aufzugeben, sich heimlich zu ent- fernen und 7 Jahre lang unter Entbehrungen und Casteiungen man- cher Art ein Wanderleben in der Fremde zu führen, um den Weg zum wahren Glück zu suchen. Im einsamen Walde unter einem Bôdhi-Baume (Ficus religiosa) tritt nach der Erzählung endlich Mâra, der Teufel und Herr der Lüfte, an Siddhârtha heran und versucht ihn auf zehnfache Art zur Sünde. Dieser aber widersteht und ist da- durch wie umgewandelt. Ein heller Schein umgibt ihn; er ist von nun ab Buddha *), ein Heiliger und Ueberwinder. Er hat den Stein der Weisen, den Weg zur wahren Glückseligkeit gefunden, es ist die Ueberwindung der Versuchung, der Begierden. »Weit ist der schon auf dem Wege zum ewigen Glück (nach Nirwâna), dessen Fuss eine Lieblingssünde niedertritt«. Nicht länger bleibt nun Buddha in seiner Einsamkeit, es treibt ihn, die gefundene Wahrheit zu verkünden und auch Andere seines Glückes theilhaftig zu machen. Von nun an erscheint Siddhârtha, der Königssohn, als Buddha in gelbem Gewande, nackten, geschorenen Hauptes unter den Menschen, und — seine geringen Subsistenzmittel **) *) Çâkyamuni (Lehrer aus der Familie Çâkya) Gautama Buddha (Weiser) ist der volle Titel. Die Japaner nennen ihn Shaka oder Butsu. **) bescheidenere Plätze an. Selbst Brahma, Çiwa und Wischnu treten hinter die Buddha (Heiligen) weit zurück. Der ganze grobe Götzendienst, welchen der Buddhismus später entfaltete, lag keineswegs in der Lehre Siddhârtha’s begründet. Selbst die Erhebung der ersten sieben Buddhas auf den höchsten Thron ging erst von seinen Nachfolgern aus, welche den ganzen Apparat immer complicierter machten und dadurch die Doctrine mehr und mehr in den Hintergrund schoben.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/554>, abgerufen am 22.11.2024.