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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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6. Religiöse Zustände.
aller Lebensweisheit für den japanischen Samurai; sie wurden die
Grundlage seiner Erziehung, das Ideal, nach welchem er seine Be-
griffe von Pflicht und Ehre modelte. Besonders einflussreich erwiesen
sich dieselben, als die Macht der buddhistischen Mönche gebrochen
und das Christenthum ausgerottet war. Iyeyasu kannte kein höheres
Muster bei Abfassung seiner Gesetze als Koshi, dessen Grundsätze
allenthalben durchleuchten*).

Diese politische Ethik des chinesischen Weisen entsprach den
Anschauungen der Samurai und passte eben so zum japanischen
Feudalsystem wie zur Kamilehre, welche dadurch eine wesentliche
Stütze erhielt. Das Wirksame derselben bestand nicht sowohl in
einer besonderen Tiefe und Originalität, als vielmehr darin, dass sich
Confucius einerseits den bestehenden Ansichten anpasste, anderseits
sich weit über den alten Mysticismus erhob und ernster, verständ-
licher und überzeugender zum denkenden Theile der Gesellschaft
sprach, als alle seine Vorgänger, vor allem aber darin, dass er nach
übereinstimmenden Berichten seiner Lehre gemäss lebte und ein
leuchtendes Vorbild grosser Sittenreinheit und edler Denkungsart war.

Den zweiten mächtigen Einfluss auf den Kamidienst der Ja-
paner hat der Buddhismus ausgeübt. Derselbe hatte sich im ersten
Jahrhundert unserer Zeitrechnung vom Ganges und den Thälern des
Himalaya aus über China, dann 372 über Korea verbreitet und ge-
langte in der Mitte des 6. Jahrhunderts von hier nach Japan. Mit
einem pompösen Ritual wurden dem Volke nun die in Holz geschnitzten
oder in Stein gehauenen sanften, wohlwollenden und gedankenvollen
Buddhas (Heilige) vorgeführt. Aber nicht blos auf die Sinne wirkte
der neue Cultus fasslich und ergreifend ein; auch die Imagination
erhielt reiche Nahrung, vor allem durch die Transmigrationslehre
und die Schilderungen ferner Welten, die in paradiesischem Glanze,
von glücklichen Engeln und Buddhas bewohnt, dem Bekenner der
neuen Lehre, unbekümmert um seine gesellschaftliche Stellung, als
erreichbare Ziele in Aussicht gestellt wurden. Da der Buddhismus
überdies, wie allenthalben, tolerant und friedlich auftrat, sich den
alten Religionsanschauungen accommodierte und auch die Shintogötter,
wie früher die vielen Gottheiten des Brahmanismus, in sein System
aufnahm**), verbreitete er sich, von oben begünstigt, sehr rasch und

*) Das Go-rin, d. h. die fünf menschlichen Beziehungen: zwischen Vater
und Sohn, Herrn und Diener, Mann und Frau, Freunden und Geschwistern bilden
die Ausgangspunkte sowohl der Morallehre des Confucius als auch der Gesetze
des Iyeyasu.
**) Der Buddhist weist jedoch den volksthümlichen Hindu-Gottheiten viel

6. Religiöse Zustände.
aller Lebensweisheit für den japanischen Samurai; sie wurden die
Grundlage seiner Erziehung, das Ideal, nach welchem er seine Be-
griffe von Pflicht und Ehre modelte. Besonders einflussreich erwiesen
sich dieselben, als die Macht der buddhistischen Mönche gebrochen
und das Christenthum ausgerottet war. Iyeyasu kannte kein höheres
Muster bei Abfassung seiner Gesetze als Kôshi, dessen Grundsätze
allenthalben durchleuchten*).

Diese politische Ethik des chinesischen Weisen entsprach den
Anschauungen der Samurai und passte eben so zum japanischen
Feudalsystem wie zur Kamilehre, welche dadurch eine wesentliche
Stütze erhielt. Das Wirksame derselben bestand nicht sowohl in
einer besonderen Tiefe und Originalität, als vielmehr darin, dass sich
Confucius einerseits den bestehenden Ansichten anpasste, anderseits
sich weit über den alten Mysticismus erhob und ernster, verständ-
licher und überzeugender zum denkenden Theile der Gesellschaft
sprach, als alle seine Vorgänger, vor allem aber darin, dass er nach
übereinstimmenden Berichten seiner Lehre gemäss lebte und ein
leuchtendes Vorbild grosser Sittenreinheit und edler Denkungsart war.

Den zweiten mächtigen Einfluss auf den Kamidienst der Ja-
paner hat der Buddhismus ausgeübt. Derselbe hatte sich im ersten
Jahrhundert unserer Zeitrechnung vom Ganges und den Thälern des
Himalaya aus über China, dann 372 über Korea verbreitet und ge-
langte in der Mitte des 6. Jahrhunderts von hier nach Japan. Mit
einem pompösen Ritual wurden dem Volke nun die in Holz geschnitzten
oder in Stein gehauenen sanften, wohlwollenden und gedankenvollen
Buddhas (Heilige) vorgeführt. Aber nicht blos auf die Sinne wirkte
der neue Cultus fasslich und ergreifend ein; auch die Imagination
erhielt reiche Nahrung, vor allem durch die Transmigrationslehre
und die Schilderungen ferner Welten, die in paradiesischem Glanze,
von glücklichen Engeln und Buddhas bewohnt, dem Bekenner der
neuen Lehre, unbekümmert um seine gesellschaftliche Stellung, als
erreichbare Ziele in Aussicht gestellt wurden. Da der Buddhismus
überdies, wie allenthalben, tolerant und friedlich auftrat, sich den
alten Religionsanschauungen accommodierte und auch die Shintôgötter,
wie früher die vielen Gottheiten des Brahmanismus, in sein System
aufnahm**), verbreitete er sich, von oben begünstigt, sehr rasch und

*) Das Gô-rin, d. h. die fünf menschlichen Beziehungen: zwischen Vater
und Sohn, Herrn und Diener, Mann und Frau, Freunden und Geschwistern bilden
die Ausgangspunkte sowohl der Morallehre des Confucius als auch der Gesetze
des Iyeyasu.
**) Der Buddhist weist jedoch den volksthümlichen Hindu-Gottheiten viel
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[519/0553] 6. Religiöse Zustände. aller Lebensweisheit für den japanischen Samurai; sie wurden die Grundlage seiner Erziehung, das Ideal, nach welchem er seine Be- griffe von Pflicht und Ehre modelte. Besonders einflussreich erwiesen sich dieselben, als die Macht der buddhistischen Mönche gebrochen und das Christenthum ausgerottet war. Iyeyasu kannte kein höheres Muster bei Abfassung seiner Gesetze als Kôshi, dessen Grundsätze allenthalben durchleuchten *). Diese politische Ethik des chinesischen Weisen entsprach den Anschauungen der Samurai und passte eben so zum japanischen Feudalsystem wie zur Kamilehre, welche dadurch eine wesentliche Stütze erhielt. Das Wirksame derselben bestand nicht sowohl in einer besonderen Tiefe und Originalität, als vielmehr darin, dass sich Confucius einerseits den bestehenden Ansichten anpasste, anderseits sich weit über den alten Mysticismus erhob und ernster, verständ- licher und überzeugender zum denkenden Theile der Gesellschaft sprach, als alle seine Vorgänger, vor allem aber darin, dass er nach übereinstimmenden Berichten seiner Lehre gemäss lebte und ein leuchtendes Vorbild grosser Sittenreinheit und edler Denkungsart war. Den zweiten mächtigen Einfluss auf den Kamidienst der Ja- paner hat der Buddhismus ausgeübt. Derselbe hatte sich im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung vom Ganges und den Thälern des Himalaya aus über China, dann 372 über Korea verbreitet und ge- langte in der Mitte des 6. Jahrhunderts von hier nach Japan. Mit einem pompösen Ritual wurden dem Volke nun die in Holz geschnitzten oder in Stein gehauenen sanften, wohlwollenden und gedankenvollen Buddhas (Heilige) vorgeführt. Aber nicht blos auf die Sinne wirkte der neue Cultus fasslich und ergreifend ein; auch die Imagination erhielt reiche Nahrung, vor allem durch die Transmigrationslehre und die Schilderungen ferner Welten, die in paradiesischem Glanze, von glücklichen Engeln und Buddhas bewohnt, dem Bekenner der neuen Lehre, unbekümmert um seine gesellschaftliche Stellung, als erreichbare Ziele in Aussicht gestellt wurden. Da der Buddhismus überdies, wie allenthalben, tolerant und friedlich auftrat, sich den alten Religionsanschauungen accommodierte und auch die Shintôgötter, wie früher die vielen Gottheiten des Brahmanismus, in sein System aufnahm **), verbreitete er sich, von oben begünstigt, sehr rasch und *) Das Gô-rin, d. h. die fünf menschlichen Beziehungen: zwischen Vater und Sohn, Herrn und Diener, Mann und Frau, Freunden und Geschwistern bilden die Ausgangspunkte sowohl der Morallehre des Confucius als auch der Gesetze des Iyeyasu. **) Der Buddhist weist jedoch den volksthümlichen Hindu-Gottheiten viel

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/553>, abgerufen am 22.11.2024.