den 14., 15. und 16. Mai. Es kann, wenigstens nach seinem Anfang, zu den Tempelfesten gerechnet werden, insofern hier am ersten Tage der Mikado selbst mit grossem Gefolge erscheint, um den 1868 im Bürgerkriege Gefallenen die gewohnten Opfer zu bringen. Die übrige Zeit ist ein wirkliches Volksfest auf dem grossen freien Platze nahe- bei, welches durch Wettrennen, Feuerwerk und Wettkämpfe die schaulustige Menge anzieht.
Bei den Matsuri oder Tempelfesten, die sich in mancher Beziehung mit unseren Kirchweihen vergleichen lassen, nur dass das grosse, daran theilnehmende Publikum nicht dabei tanzt, sondern sich vortanzen lässt, ist Alles auf den Beinen und erscheint im Sonn- tagsstaate. Vor jedem Hause des Districtes, in welchem der Tempel sich befindet, dessen Gott oder Patron die Feier gilt, hängen an in die Erde geschlagenen Pfählen die bekannten schönen Papierlaternen, innerhalb einer Strasse alle von gleicher Grösse, Form und Ver- zierung. Die Feier culminiert in einer lärmenden Procession, einer Art Fastnachtsaufzug nach dem Tempel und den hier gegebenen Pan- tomimen und andern Spielen.
Langsam und schwerfällig bewegt sich von Ochsen gezogen und von Dutzenden schreiender Kulis geschoben der breite dashi (Fest- oder Götterwagen) auf niedrigen, knarrenden Rädern durch die Strassen. Er ist reich geschmückt mit Fähnchen, bunten Zeug- streifen und grünen Zweigen. Den Götzen im Mittelpunkt um- geben Priester, welche durch Pauken- und Glockenschlagen einen Höllenlärm verbreiten. Oft befindet sich über diesem unteren Raum noch eine zweite Etage, auf welcher sich scheussliche Masken mit Affen-, Hunde- und Tigerköpfen und andern Thiergestalten im wilden, munteren Treiben hin und her bewegen. Kleine ambulante Theater, ein zweiter dashi und andere Dinge mehr folgen oft und beziehen im Tempelhof die vorbereiteten Räume, Schaubühnen und dergleichen. Eine fröhliche, dicht gedrängte Menge schliesst sich an. Beim Tempel werden dem Gotte Opfer gebracht und viel Decorum und Ceremonie seitens der Priester, wenig religiöse Stimmung seitens des zuschauenden Volkes entfaltet. Alles, was die japanische Küche nur Gutes bietet, Reis, Fisch, Eier, Gemüse, Früchte, Zuckerwerk, Sake, Thee werden dem Gotte, vorausgesetzt, dass er ein Kami oder Shinto- Gott ist, an seinem Feste vorgetragen, dann folgen theatralische Auf- führungen in Pantomimen vor dem Tempel, wo sich auch sonstige Schaubuden, Guckkasten, Märchenerzähler, Zauberer, Verkäufer von Süssigkeiten etc. eingefunden haben und ein Treiben sich entwickelt, lärmender und bunter, als auf einem deutschen Jahrmarkte.
II. Ethnographie.
den 14., 15. und 16. Mai. Es kann, wenigstens nach seinem Anfang, zu den Tempelfesten gerechnet werden, insofern hier am ersten Tage der Mikado selbst mit grossem Gefolge erscheint, um den 1868 im Bürgerkriege Gefallenen die gewohnten Opfer zu bringen. Die übrige Zeit ist ein wirkliches Volksfest auf dem grossen freien Platze nahe- bei, welches durch Wettrennen, Feuerwerk und Wettkämpfe die schaulustige Menge anzieht.
Bei den Matsuri oder Tempelfesten, die sich in mancher Beziehung mit unseren Kirchweihen vergleichen lassen, nur dass das grosse, daran theilnehmende Publikum nicht dabei tanzt, sondern sich vortanzen lässt, ist Alles auf den Beinen und erscheint im Sonn- tagsstaate. Vor jedem Hause des Districtes, in welchem der Tempel sich befindet, dessen Gott oder Patron die Feier gilt, hängen an in die Erde geschlagenen Pfählen die bekannten schönen Papierlaternen, innerhalb einer Strasse alle von gleicher Grösse, Form und Ver- zierung. Die Feier culminiert in einer lärmenden Procession, einer Art Fastnachtsaufzug nach dem Tempel und den hier gegebenen Pan- tomimen und andern Spielen.
Langsam und schwerfällig bewegt sich von Ochsen gezogen und von Dutzenden schreiender Kulis geschoben der breite dashi (Fest- oder Götterwagen) auf niedrigen, knarrenden Rädern durch die Strassen. Er ist reich geschmückt mit Fähnchen, bunten Zeug- streifen und grünen Zweigen. Den Götzen im Mittelpunkt um- geben Priester, welche durch Pauken- und Glockenschlagen einen Höllenlärm verbreiten. Oft befindet sich über diesem unteren Raum noch eine zweite Etage, auf welcher sich scheussliche Masken mit Affen-, Hunde- und Tigerköpfen und andern Thiergestalten im wilden, munteren Treiben hin und her bewegen. Kleine ambulante Theater, ein zweiter dashi und andere Dinge mehr folgen oft und beziehen im Tempelhof die vorbereiteten Räume, Schaubühnen und dergleichen. Eine fröhliche, dicht gedrängte Menge schliesst sich an. Beim Tempel werden dem Gotte Opfer gebracht und viel Decorum und Ceremonie seitens der Priester, wenig religiöse Stimmung seitens des zuschauenden Volkes entfaltet. Alles, was die japanische Küche nur Gutes bietet, Reis, Fisch, Eier, Gemüse, Früchte, Zuckerwerk, Sake, Thee werden dem Gotte, vorausgesetzt, dass er ein Kami oder Shintô- Gott ist, an seinem Feste vorgetragen, dann folgen theatralische Auf- führungen in Pantomimen vor dem Tempel, wo sich auch sonstige Schaubuden, Guckkasten, Märchenerzähler, Zauberer, Verkäufer von Süssigkeiten etc. eingefunden haben und ein Treiben sich entwickelt, lärmender und bunter, als auf einem deutschen Jahrmarkte.
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II. Ethnographie.
den 14., 15. und 16. Mai. Es kann, wenigstens nach seinem Anfang,
zu den Tempelfesten gerechnet werden, insofern hier am ersten Tage
der Mikado selbst mit grossem Gefolge erscheint, um den 1868 im
Bürgerkriege Gefallenen die gewohnten Opfer zu bringen. Die übrige
Zeit ist ein wirkliches Volksfest auf dem grossen freien Platze nahe-
bei, welches durch Wettrennen, Feuerwerk und Wettkämpfe die
schaulustige Menge anzieht.
Bei den Matsuri oder Tempelfesten, die sich in mancher
Beziehung mit unseren Kirchweihen vergleichen lassen, nur dass
das grosse, daran theilnehmende Publikum nicht dabei tanzt, sondern
sich vortanzen lässt, ist Alles auf den Beinen und erscheint im Sonn-
tagsstaate. Vor jedem Hause des Districtes, in welchem der Tempel
sich befindet, dessen Gott oder Patron die Feier gilt, hängen an in
die Erde geschlagenen Pfählen die bekannten schönen Papierlaternen,
innerhalb einer Strasse alle von gleicher Grösse, Form und Ver-
zierung. Die Feier culminiert in einer lärmenden Procession, einer
Art Fastnachtsaufzug nach dem Tempel und den hier gegebenen Pan-
tomimen und andern Spielen.
Langsam und schwerfällig bewegt sich von Ochsen gezogen
und von Dutzenden schreiender Kulis geschoben der breite dashi
(Fest- oder Götterwagen) auf niedrigen, knarrenden Rädern durch
die Strassen. Er ist reich geschmückt mit Fähnchen, bunten Zeug-
streifen und grünen Zweigen. Den Götzen im Mittelpunkt um-
geben Priester, welche durch Pauken- und Glockenschlagen einen
Höllenlärm verbreiten. Oft befindet sich über diesem unteren
Raum noch eine zweite Etage, auf welcher sich scheussliche Masken
mit Affen-, Hunde- und Tigerköpfen und andern Thiergestalten im
wilden, munteren Treiben hin und her bewegen. Kleine ambulante
Theater, ein zweiter dashi und andere Dinge mehr folgen oft und
beziehen im Tempelhof die vorbereiteten Räume, Schaubühnen und
dergleichen. Eine fröhliche, dicht gedrängte Menge schliesst sich an.
Beim Tempel werden dem Gotte Opfer gebracht und viel Decorum und
Ceremonie seitens der Priester, wenig religiöse Stimmung seitens des
zuschauenden Volkes entfaltet. Alles, was die japanische Küche nur
Gutes bietet, Reis, Fisch, Eier, Gemüse, Früchte, Zuckerwerk, Sake,
Thee werden dem Gotte, vorausgesetzt, dass er ein Kami oder Shintô-
Gott ist, an seinem Feste vorgetragen, dann folgen theatralische Auf-
führungen in Pantomimen vor dem Tempel, wo sich auch sonstige
Schaubuden, Guckkasten, Märchenerzähler, Zauberer, Verkäufer von
Süssigkeiten etc. eingefunden haben und ein Treiben sich entwickelt,
lärmender und bunter, als auf einem deutschen Jahrmarkte.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/546>, abgerufen am 22.11.2024.
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