viele andere Legenden wurden dem jugendlichen Gemüth als Bei- spiele zur Bildung seiner Ideale vorgeführt. Hatte der Schüler dann die grössten Schwierigkeiten in der Erkennung und Handhabung der chinesischen Ideogramme genügend überwunden, so wurden in singen- der Weise theils einzeln, theils laut im Chore eine ganze Reihe Werke gelesen, wie sie in dem kleinen Bande, betitelt: An outline history of Japanese Education, welcher 1876 in New-York bei Appleton er- schien, näher verzeichnet sind. Hierher gehörten Kokio, das Buch von der kindlichen Pietät, Chiuyo, das goldene Mittel, welches den Umgang behandelt, die Bücher des Koshi und Moshi, historische Werke etc.
Es gab nur eine Standarte der Gelehrsamkeit, und wer sie er- reicht und in feierlicher Prüfung dies bewiesen hatte, stand gleich dem Lehrer, der ihn so weit geführt, in hoher Achtung. Wie es bei uns noch Leute genug gibt, in deren Augen keine gründliche Bildung des Menschen ohne Griechenland und Rom denkbar ist, so, aber aus weit triftigeren Gründen, war die Kenntniss der chinesi- schen Sprache und Philosophie in den Augen der Japaner das Alpha und Omega jeder gründlichen Erziehung. Diese Philosophie aber, selbst in ihrer liberaleren Form, welche Mencius vortrug, war doch nach ihrem ganzen Umfang und Inhalt einem engherzigen Feudalis- mus entsprungen und ein nützliches Werkzeug zur Erhaltung und Förderung desselben. Die japanische Erziehung bildete respectvolle Söhne, folgsame Schüler, disciplinierte Unterthanen, geschickte Kalli- graphen, enthusiastische Bewunderer des Alterthums, engherzige Ver- ehrer der Philosophie des Confucius; sie erregte die Intelligenz nicht, liess das individuelle Gewissen ganz unter der Herrschaft der Sitte, erweckte keine religiösen Gedanken und Gefühle, ermuthigte den engherzigsten Kasten- und Clangeist. Es war eine Erziehung, welche den jungen Samurai zum gefügigen, loyalen Unterthan seines Lehns- herrn machte, aber wenig zur Entwickelung eines allgemeinen Rechts- gefühles und zur Veredelung des Herzens beitrug, eine Erziehung, die nicht verhütete, dass er mit völliger Missachtung allgemeiner Menschenrechte und Pflichten am ersten besten Wanderer ausserhalb der Grenzen seines Clanes sein Schwert probierte oder in übermüthi- ger Raufsucht einem Rivalen den Weg verlegte. Man hat darum mit Recht unter allen Neuerungen während der Periode Meiji denjenigen, welche vom Mombusho ausgingen und eine bessere, liberalere Schul- bildung der japanischen Jugend bezweckten, die grösste Bedeutung beigelegt. In mehr als 50000 Schulen werden jetzt gegen 2 Millionen Kinder in einem anderen Geiste, als früher, nach den Principien und
II. Ethnographie.
viele andere Legenden wurden dem jugendlichen Gemüth als Bei- spiele zur Bildung seiner Ideale vorgeführt. Hatte der Schüler dann die grössten Schwierigkeiten in der Erkennung und Handhabung der chinesischen Ideogramme genügend überwunden, so wurden in singen- der Weise theils einzeln, theils laut im Chore eine ganze Reihe Werke gelesen, wie sie in dem kleinen Bande, betitelt: An outline history of Japanese Education, welcher 1876 in New-York bei Appleton er- schien, näher verzeichnet sind. Hierher gehörten Kokio, das Buch von der kindlichen Pietät, Chiuyo, das goldene Mittel, welches den Umgang behandelt, die Bücher des Kôshi und Môshi, historische Werke etc.
Es gab nur eine Standarte der Gelehrsamkeit, und wer sie er- reicht und in feierlicher Prüfung dies bewiesen hatte, stand gleich dem Lehrer, der ihn so weit geführt, in hoher Achtung. Wie es bei uns noch Leute genug gibt, in deren Augen keine gründliche Bildung des Menschen ohne Griechenland und Rom denkbar ist, so, aber aus weit triftigeren Gründen, war die Kenntniss der chinesi- schen Sprache und Philosophie in den Augen der Japaner das Alpha und Omega jeder gründlichen Erziehung. Diese Philosophie aber, selbst in ihrer liberaleren Form, welche Mencius vortrug, war doch nach ihrem ganzen Umfang und Inhalt einem engherzigen Feudalis- mus entsprungen und ein nützliches Werkzeug zur Erhaltung und Förderung desselben. Die japanische Erziehung bildete respectvolle Söhne, folgsame Schüler, disciplinierte Unterthanen, geschickte Kalli- graphen, enthusiastische Bewunderer des Alterthums, engherzige Ver- ehrer der Philosophie des Confucius; sie erregte die Intelligenz nicht, liess das individuelle Gewissen ganz unter der Herrschaft der Sitte, erweckte keine religiösen Gedanken und Gefühle, ermuthigte den engherzigsten Kasten- und Clangeist. Es war eine Erziehung, welche den jungen Samurai zum gefügigen, loyalen Unterthan seines Lehns- herrn machte, aber wenig zur Entwickelung eines allgemeinen Rechts- gefühles und zur Veredelung des Herzens beitrug, eine Erziehung, die nicht verhütete, dass er mit völliger Missachtung allgemeiner Menschenrechte und Pflichten am ersten besten Wanderer ausserhalb der Grenzen seines Clanes sein Schwert probierte oder in übermüthi- ger Raufsucht einem Rivalen den Weg verlegte. Man hat darum mit Recht unter allen Neuerungen während der Periode Meiji denjenigen, welche vom Mombusho ausgingen und eine bessere, liberalere Schul- bildung der japanischen Jugend bezweckten, die grösste Bedeutung beigelegt. In mehr als 50000 Schulen werden jetzt gegen 2 Millionen Kinder in einem anderen Geiste, als früher, nach den Principien und
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II. Ethnographie.
viele andere Legenden wurden dem jugendlichen Gemüth als Bei-
spiele zur Bildung seiner Ideale vorgeführt. Hatte der Schüler dann
die grössten Schwierigkeiten in der Erkennung und Handhabung der
chinesischen Ideogramme genügend überwunden, so wurden in singen-
der Weise theils einzeln, theils laut im Chore eine ganze Reihe Werke
gelesen, wie sie in dem kleinen Bande, betitelt: An outline history
of Japanese Education, welcher 1876 in New-York bei Appleton er-
schien, näher verzeichnet sind. Hierher gehörten Kokio, das Buch
von der kindlichen Pietät, Chiuyo, das goldene Mittel, welches den
Umgang behandelt, die Bücher des Kôshi und Môshi, historische
Werke etc.
Es gab nur eine Standarte der Gelehrsamkeit, und wer sie er-
reicht und in feierlicher Prüfung dies bewiesen hatte, stand gleich
dem Lehrer, der ihn so weit geführt, in hoher Achtung. Wie es
bei uns noch Leute genug gibt, in deren Augen keine gründliche
Bildung des Menschen ohne Griechenland und Rom denkbar ist, so,
aber aus weit triftigeren Gründen, war die Kenntniss der chinesi-
schen Sprache und Philosophie in den Augen der Japaner das Alpha
und Omega jeder gründlichen Erziehung. Diese Philosophie aber,
selbst in ihrer liberaleren Form, welche Mencius vortrug, war doch
nach ihrem ganzen Umfang und Inhalt einem engherzigen Feudalis-
mus entsprungen und ein nützliches Werkzeug zur Erhaltung und
Förderung desselben. Die japanische Erziehung bildete respectvolle
Söhne, folgsame Schüler, disciplinierte Unterthanen, geschickte Kalli-
graphen, enthusiastische Bewunderer des Alterthums, engherzige Ver-
ehrer der Philosophie des Confucius; sie erregte die Intelligenz nicht,
liess das individuelle Gewissen ganz unter der Herrschaft der Sitte,
erweckte keine religiösen Gedanken und Gefühle, ermuthigte den
engherzigsten Kasten- und Clangeist. Es war eine Erziehung, welche
den jungen Samurai zum gefügigen, loyalen Unterthan seines Lehns-
herrn machte, aber wenig zur Entwickelung eines allgemeinen Rechts-
gefühles und zur Veredelung des Herzens beitrug, eine Erziehung,
die nicht verhütete, dass er mit völliger Missachtung allgemeiner
Menschenrechte und Pflichten am ersten besten Wanderer ausserhalb
der Grenzen seines Clanes sein Schwert probierte oder in übermüthi-
ger Raufsucht einem Rivalen den Weg verlegte. Man hat darum mit
Recht unter allen Neuerungen während der Periode Meiji denjenigen,
welche vom Mombusho ausgingen und eine bessere, liberalere Schul-
bildung der japanischen Jugend bezweckten, die grösste Bedeutung
beigelegt. In mehr als 50000 Schulen werden jetzt gegen 2 Millionen
Kinder in einem anderen Geiste, als früher, nach den Principien und
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/532>, abgerufen am 25.11.2024.
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