Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Ethnographie.
Strohgeflecht oder grobem Zeug polstert und an den Rändern mit
Zeugstreifen einfasst. Nach ihnen unterscheidet man Zimmer von 4,
6, 8, 10, 12 etc. Matten. Die durchschnittliche Höhe der Zimmer
ist 8--10 shaku (21/2--3 Meter). Sie werden von einander durch
verschieb- und entfernbare Wände, die fusuma, getrennt. Es sind
dies Rahmen oder Schieber von der Grösse der tatami, beiderseits mit
starkem Tapetenpapier oder karakami (in reichen Häusern wohl auch
mit Goldpapier) überzogen, welche zwischen canellierten Balken laufen.
Der 2--4 Fuss breite Abstand zwischen dem oberen Querbalken,
welcher eine solchen Schiebewand begrenzt, und der Decke ist ent-
weder geschlossen und blau, rosafarben oder weiss übertüncht oder
mit einem künstlerisch durchbrochenen feinen Holzwerk versehen.
Ausser der hier erwähnten, schon in der Anlage gegebenen Begren-
zung der Zimmerräume ist eine weitere noch beweglichere durch
schöne zusammenlegbare spanische Wände (biyobu) gegeben.

Sein Licht erhält das japanische Zimmer durch die shoji. Es
sind dies Schieber nach Art der fusuma, welche jedoch durch fein-
gehobelte Holzstäbe der Länge und Breite nach in ein Netz von
Rechtecken verwandelt wurden, über welche von aussen starkes
durchscheinendes Papier geklebt wird. Die shoji vertreten demnach
unsere Fenster, welche giaman-shoji (Glasfenster) heissen.

Die Veranda ist den Tag über bei gutem Wetter offen, wie die
der Strasse zugekehrten Räume, wird aber Abends und bei Regen
durch die sogenannten amado (Regenthore) geschlossen, um das Haus
vor Eindringlingen, die Papierscheiben aber vor dem Nasswerden zu
schützen. Dieser Schutz besteht in Brettern, welche in Falzen laufen,
verschiebbar und durch einen Riegel beim Schlussbrette von innen
befestigt sind. Wünscht man Eintritt in ein gewöhnliches Haus, so
tritt man vor die Schiebethüre und ruft "gomen-nasai!" (entschuldigen
Sie) oder weniger höflich "moshi, moshi!" (höre, höre) und klatscht
auch wohl in die Hände, worauf von innen geöffnet wird.

Die besten Zimmer befinden sich immer auf der Rückseite des
Hauses, wo man von der Veranda herunter in den kleinen Garten
tritt. Zur Seite und durch einen gedielten Gang von der Veranda
aus erreichbar befindet sich der Abtritt. Unter der kleinen recht-
eckigen Oeffnung steht zur Aufnahme des wichtigen Düngstoffes eine
Tonne, welche auch den Urin von dem Pissoir sammelt. Nach der
Strasse hin liegt gewöhnlich das Wohnzimmer der Familie und nicht
selten auch die Küche, welcher es, wie dem ganzen Hause, an einem
Schornstein fehlt, so dass das gewöhnliche Brennmaterial -- Kohle
aus Eichen- und Kastanienholz -- zuweilen alle Wohnräume mit

II. Ethnographie.
Strohgeflecht oder grobem Zeug polstert und an den Rändern mit
Zeugstreifen einfasst. Nach ihnen unterscheidet man Zimmer von 4,
6, 8, 10, 12 etc. Matten. Die durchschnittliche Höhe der Zimmer
ist 8—10 shaku (2½—3 Meter). Sie werden von einander durch
verschieb- und entfernbare Wände, die fusuma, getrennt. Es sind
dies Rahmen oder Schieber von der Grösse der tatami, beiderseits mit
starkem Tapetenpapier oder karakami (in reichen Häusern wohl auch
mit Goldpapier) überzogen, welche zwischen canellierten Balken laufen.
Der 2—4 Fuss breite Abstand zwischen dem oberen Querbalken,
welcher eine solchen Schiebewand begrenzt, und der Decke ist ent-
weder geschlossen und blau, rosafarben oder weiss übertüncht oder
mit einem künstlerisch durchbrochenen feinen Holzwerk versehen.
Ausser der hier erwähnten, schon in der Anlage gegebenen Begren-
zung der Zimmerräume ist eine weitere noch beweglichere durch
schöne zusammenlegbare spanische Wände (biyobu) gegeben.

Sein Licht erhält das japanische Zimmer durch die shôji. Es
sind dies Schieber nach Art der fusuma, welche jedoch durch fein-
gehobelte Holzstäbe der Länge und Breite nach in ein Netz von
Rechtecken verwandelt wurden, über welche von aussen starkes
durchscheinendes Papier geklebt wird. Die shôji vertreten demnach
unsere Fenster, welche giaman-shôji (Glasfenster) heissen.

Die Veranda ist den Tag über bei gutem Wetter offen, wie die
der Strasse zugekehrten Räume, wird aber Abends und bei Regen
durch die sogenannten amado (Regenthore) geschlossen, um das Haus
vor Eindringlingen, die Papierscheiben aber vor dem Nasswerden zu
schützen. Dieser Schutz besteht in Brettern, welche in Falzen laufen,
verschiebbar und durch einen Riegel beim Schlussbrette von innen
befestigt sind. Wünscht man Eintritt in ein gewöhnliches Haus, so
tritt man vor die Schiebethüre und ruft »gomen-nasai!« (entschuldigen
Sie) oder weniger höflich »moshi, moshi!« (höre, höre) und klatscht
auch wohl in die Hände, worauf von innen geöffnet wird.

Die besten Zimmer befinden sich immer auf der Rückseite des
Hauses, wo man von der Veranda herunter in den kleinen Garten
tritt. Zur Seite und durch einen gedielten Gang von der Veranda
aus erreichbar befindet sich der Abtritt. Unter der kleinen recht-
eckigen Oeffnung steht zur Aufnahme des wichtigen Düngstoffes eine
Tonne, welche auch den Urin von dem Pissoir sammelt. Nach der
Strasse hin liegt gewöhnlich das Wohnzimmer der Familie und nicht
selten auch die Küche, welcher es, wie dem ganzen Hause, an einem
Schornstein fehlt, so dass das gewöhnliche Brennmaterial — Kohle
aus Eichen- und Kastanienholz — zuweilen alle Wohnräume mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0516" n="482"/><fw place="top" type="header">II. Ethnographie.</fw><lb/>
Strohgeflecht oder grobem Zeug polstert und an den Rändern mit<lb/>
Zeugstreifen einfasst. Nach ihnen unterscheidet man Zimmer von 4,<lb/>
6, 8, 10, 12 etc. Matten. Die durchschnittliche Höhe der Zimmer<lb/>
ist 8&#x2014;10 shaku (2½&#x2014;3 Meter). Sie werden von einander durch<lb/>
verschieb- und entfernbare Wände, die fusuma, getrennt. Es sind<lb/>
dies Rahmen oder Schieber von der Grösse der tatami, beiderseits mit<lb/>
starkem Tapetenpapier oder karakami (in reichen Häusern wohl auch<lb/>
mit Goldpapier) überzogen, welche zwischen canellierten Balken laufen.<lb/>
Der 2&#x2014;4 Fuss breite Abstand zwischen dem oberen Querbalken,<lb/>
welcher eine solchen Schiebewand begrenzt, und der Decke ist ent-<lb/>
weder geschlossen und blau, rosafarben oder weiss übertüncht oder<lb/>
mit einem künstlerisch durchbrochenen feinen Holzwerk versehen.<lb/>
Ausser der hier erwähnten, schon in der Anlage gegebenen Begren-<lb/>
zung der Zimmerräume ist eine weitere noch beweglichere durch<lb/>
schöne zusammenlegbare spanische Wände (biyobu) gegeben.</p><lb/>
            <p>Sein Licht erhält das japanische Zimmer durch die shôji. Es<lb/>
sind dies Schieber nach Art der fusuma, welche jedoch durch fein-<lb/>
gehobelte Holzstäbe der Länge und Breite nach in ein Netz von<lb/>
Rechtecken verwandelt wurden, über welche von aussen starkes<lb/>
durchscheinendes Papier geklebt wird. Die shôji vertreten demnach<lb/>
unsere Fenster, welche giaman-shôji (Glasfenster) heissen.</p><lb/>
            <p>Die Veranda ist den Tag über bei gutem Wetter offen, wie die<lb/>
der Strasse zugekehrten Räume, wird aber Abends und bei Regen<lb/>
durch die sogenannten amado (Regenthore) geschlossen, um das Haus<lb/>
vor Eindringlingen, die Papierscheiben aber vor dem Nasswerden zu<lb/>
schützen. Dieser Schutz besteht in Brettern, welche in Falzen laufen,<lb/>
verschiebbar und durch einen Riegel beim Schlussbrette von innen<lb/>
befestigt sind. Wünscht man Eintritt in ein gewöhnliches Haus, so<lb/>
tritt man vor die Schiebethüre und ruft »gomen-nasai!« (entschuldigen<lb/>
Sie) oder weniger höflich »moshi, moshi!« (höre, höre) und klatscht<lb/>
auch wohl in die Hände, worauf von innen geöffnet wird.</p><lb/>
            <p>Die besten Zimmer befinden sich immer auf der Rückseite des<lb/>
Hauses, wo man von der Veranda herunter in den kleinen Garten<lb/>
tritt. Zur Seite und durch einen gedielten Gang von der Veranda<lb/>
aus erreichbar befindet sich der Abtritt. Unter der kleinen recht-<lb/>
eckigen Oeffnung steht zur Aufnahme des wichtigen Düngstoffes eine<lb/>
Tonne, welche auch den Urin von dem Pissoir sammelt. Nach der<lb/>
Strasse hin liegt gewöhnlich das Wohnzimmer der Familie und nicht<lb/>
selten auch die Küche, welcher es, wie dem ganzen Hause, an einem<lb/>
Schornstein fehlt, so dass das gewöhnliche Brennmaterial &#x2014; Kohle<lb/>
aus Eichen- und Kastanienholz &#x2014; zuweilen alle Wohnräume mit<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[482/0516] II. Ethnographie. Strohgeflecht oder grobem Zeug polstert und an den Rändern mit Zeugstreifen einfasst. Nach ihnen unterscheidet man Zimmer von 4, 6, 8, 10, 12 etc. Matten. Die durchschnittliche Höhe der Zimmer ist 8—10 shaku (2½—3 Meter). Sie werden von einander durch verschieb- und entfernbare Wände, die fusuma, getrennt. Es sind dies Rahmen oder Schieber von der Grösse der tatami, beiderseits mit starkem Tapetenpapier oder karakami (in reichen Häusern wohl auch mit Goldpapier) überzogen, welche zwischen canellierten Balken laufen. Der 2—4 Fuss breite Abstand zwischen dem oberen Querbalken, welcher eine solchen Schiebewand begrenzt, und der Decke ist ent- weder geschlossen und blau, rosafarben oder weiss übertüncht oder mit einem künstlerisch durchbrochenen feinen Holzwerk versehen. Ausser der hier erwähnten, schon in der Anlage gegebenen Begren- zung der Zimmerräume ist eine weitere noch beweglichere durch schöne zusammenlegbare spanische Wände (biyobu) gegeben. Sein Licht erhält das japanische Zimmer durch die shôji. Es sind dies Schieber nach Art der fusuma, welche jedoch durch fein- gehobelte Holzstäbe der Länge und Breite nach in ein Netz von Rechtecken verwandelt wurden, über welche von aussen starkes durchscheinendes Papier geklebt wird. Die shôji vertreten demnach unsere Fenster, welche giaman-shôji (Glasfenster) heissen. Die Veranda ist den Tag über bei gutem Wetter offen, wie die der Strasse zugekehrten Räume, wird aber Abends und bei Regen durch die sogenannten amado (Regenthore) geschlossen, um das Haus vor Eindringlingen, die Papierscheiben aber vor dem Nasswerden zu schützen. Dieser Schutz besteht in Brettern, welche in Falzen laufen, verschiebbar und durch einen Riegel beim Schlussbrette von innen befestigt sind. Wünscht man Eintritt in ein gewöhnliches Haus, so tritt man vor die Schiebethüre und ruft »gomen-nasai!« (entschuldigen Sie) oder weniger höflich »moshi, moshi!« (höre, höre) und klatscht auch wohl in die Hände, worauf von innen geöffnet wird. Die besten Zimmer befinden sich immer auf der Rückseite des Hauses, wo man von der Veranda herunter in den kleinen Garten tritt. Zur Seite und durch einen gedielten Gang von der Veranda aus erreichbar befindet sich der Abtritt. Unter der kleinen recht- eckigen Oeffnung steht zur Aufnahme des wichtigen Düngstoffes eine Tonne, welche auch den Urin von dem Pissoir sammelt. Nach der Strasse hin liegt gewöhnlich das Wohnzimmer der Familie und nicht selten auch die Küche, welcher es, wie dem ganzen Hause, an einem Schornstein fehlt, so dass das gewöhnliche Brennmaterial — Kohle aus Eichen- und Kastanienholz — zuweilen alle Wohnräume mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/516
Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/516>, abgerufen am 22.11.2024.