filzige Masse von den Blüthentheilen der Artemisia vulgaris L. gelegt und durch die glühende Kohle einer glimmenden Räucherstange, welche man aus der gepulverten Rinde des Illicium religiosum be- reitete, angezündet und abgebrannt wird.
Ninsoku pflegten früher ihre Körper vielfach statt mit Kleidern durch Tätowierungen zu zieren, doch hat die Regierung diesen eigenthümlichen, erst unter den Tokugawa eingeführten Brauch ver- boten und ihm zugleich durch das Gebot des Kleidertragens wirksam entgegen gearbeitet. Weibliche Schönheiten, volksthümliche Helden, Blumen und Vögel, Drachen und andere Fabelthiere sah und sieht man zum Theil noch jetzt auf die nackten Arme und Rücken fixiert. Die Ausführung solcher Gemälde erforderte viele Monate sorgfältiger Arbeit und die Anwendung von viel künstlerischem Geschick auf der einen, eine enorme Geduld und Standhaftigkeit im Ertragen der her- vorgerufenen Schmerzen auf der anderen Seite.
In der Bauart und inneren Einrichtung seiner Wohnungen hat der Japaner nicht so viel Talent und Geschmack entwickelt, wie in vielen anderen Dingen, doch ist auch hier ein löblicher Reinlichkeits- sinn unverkennbar. Das japanische Haus *) entbehrt vor allem der Solidität und des Comforts, also zweier Grundbedingungen, welche wir an jedes Heim zu stellen gewohnt sind; der Solidität, insofern es aus Holz und anderem brennbaren Material leicht construiert und der Zerstörung durch Feuer und Wasser in hohem Grade ausgesetzt ist; des Comforts, indem es ohne Möbel bleibt und keinen genügen- den Schutz gegen Kälte, Feuchtigkeit und Rauch gewährt. Diese drei Dinge, zu denen wir noch den Abtrittsgeruch, die fast nie fehlen- den Ratten und zuweilen auch Flöhe und Moskitos zählen müssen, sind die häufigen Plagen des Reisenden in einer japanischen Her- berge.
Die grosse Verschiedenheit im Aussehen und in der Bauart der Häuser zwischen Dorf und Stadt, arm und reich, und insbesondere auch die Abwechselung in den Baustylen innerhalb ein und derselben Stadt, welche wir gewohnt sind, findet man in Japan nicht **). Ein gemeinsamer Plan liegt hier den Häusern im ganzen Lande zu Grunde. Nur die Grösse und die Feinheit des angewandten Materials wechselt; nur an der Zahl der Häuser und an den kaufmännischen Geschäften
*) Haus heisst auf japanisch iye, doch gebraucht man dafür am häufigsten das Wort uchi, welches eigentlich "innerhalb" bedeutet.
**) Wie weit diese japanische Bauart bedingt und beschränkt wurde durch das häufige Auftreten heftiger Erdbeben, lässt sich schwer angeben.
II. Ethnographie.
filzige Masse von den Blüthentheilen der Artemisia vulgaris L. gelegt und durch die glühende Kohle einer glimmenden Räucherstange, welche man aus der gepulverten Rinde des Illicium religiosum be- reitete, angezündet und abgebrannt wird.
Ninsoku pflegten früher ihre Körper vielfach statt mit Kleidern durch Tätowierungen zu zieren, doch hat die Regierung diesen eigenthümlichen, erst unter den Tokugawa eingeführten Brauch ver- boten und ihm zugleich durch das Gebot des Kleidertragens wirksam entgegen gearbeitet. Weibliche Schönheiten, volksthümliche Helden, Blumen und Vögel, Drachen und andere Fabelthiere sah und sieht man zum Theil noch jetzt auf die nackten Arme und Rücken fixiert. Die Ausführung solcher Gemälde erforderte viele Monate sorgfältiger Arbeit und die Anwendung von viel künstlerischem Geschick auf der einen, eine enorme Geduld und Standhaftigkeit im Ertragen der her- vorgerufenen Schmerzen auf der anderen Seite.
In der Bauart und inneren Einrichtung seiner Wohnungen hat der Japaner nicht so viel Talent und Geschmack entwickelt, wie in vielen anderen Dingen, doch ist auch hier ein löblicher Reinlichkeits- sinn unverkennbar. Das japanische Haus *) entbehrt vor allem der Solidität und des Comforts, also zweier Grundbedingungen, welche wir an jedes Heim zu stellen gewohnt sind; der Solidität, insofern es aus Holz und anderem brennbaren Material leicht construiert und der Zerstörung durch Feuer und Wasser in hohem Grade ausgesetzt ist; des Comforts, indem es ohne Möbel bleibt und keinen genügen- den Schutz gegen Kälte, Feuchtigkeit und Rauch gewährt. Diese drei Dinge, zu denen wir noch den Abtrittsgeruch, die fast nie fehlen- den Ratten und zuweilen auch Flöhe und Moskitos zählen müssen, sind die häufigen Plagen des Reisenden in einer japanischen Her- berge.
Die grosse Verschiedenheit im Aussehen und in der Bauart der Häuser zwischen Dorf und Stadt, arm und reich, und insbesondere auch die Abwechselung in den Baustylen innerhalb ein und derselben Stadt, welche wir gewohnt sind, findet man in Japan nicht **). Ein gemeinsamer Plan liegt hier den Häusern im ganzen Lande zu Grunde. Nur die Grösse und die Feinheit des angewandten Materials wechselt; nur an der Zahl der Häuser und an den kaufmännischen Geschäften
*) Haus heisst auf japanisch iye, doch gebraucht man dafür am häufigsten das Wort uchi, welches eigentlich »innerhalb« bedeutet.
**) Wie weit diese japanische Bauart bedingt und beschränkt wurde durch das häufige Auftreten heftiger Erdbeben, lässt sich schwer angeben.
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II. Ethnographie.
filzige Masse von den Blüthentheilen der Artemisia vulgaris L. gelegt
und durch die glühende Kohle einer glimmenden Räucherstange,
welche man aus der gepulverten Rinde des Illicium religiosum be-
reitete, angezündet und abgebrannt wird.
Ninsoku pflegten früher ihre Körper vielfach statt mit Kleidern
durch Tätowierungen zu zieren, doch hat die Regierung diesen
eigenthümlichen, erst unter den Tokugawa eingeführten Brauch ver-
boten und ihm zugleich durch das Gebot des Kleidertragens wirksam
entgegen gearbeitet. Weibliche Schönheiten, volksthümliche Helden,
Blumen und Vögel, Drachen und andere Fabelthiere sah und sieht
man zum Theil noch jetzt auf die nackten Arme und Rücken fixiert.
Die Ausführung solcher Gemälde erforderte viele Monate sorgfältiger
Arbeit und die Anwendung von viel künstlerischem Geschick auf der
einen, eine enorme Geduld und Standhaftigkeit im Ertragen der her-
vorgerufenen Schmerzen auf der anderen Seite.
In der Bauart und inneren Einrichtung seiner Wohnungen hat
der Japaner nicht so viel Talent und Geschmack entwickelt, wie in
vielen anderen Dingen, doch ist auch hier ein löblicher Reinlichkeits-
sinn unverkennbar. Das japanische Haus *) entbehrt vor allem der
Solidität und des Comforts, also zweier Grundbedingungen, welche
wir an jedes Heim zu stellen gewohnt sind; der Solidität, insofern
es aus Holz und anderem brennbaren Material leicht construiert und
der Zerstörung durch Feuer und Wasser in hohem Grade ausgesetzt
ist; des Comforts, indem es ohne Möbel bleibt und keinen genügen-
den Schutz gegen Kälte, Feuchtigkeit und Rauch gewährt. Diese
drei Dinge, zu denen wir noch den Abtrittsgeruch, die fast nie fehlen-
den Ratten und zuweilen auch Flöhe und Moskitos zählen müssen,
sind die häufigen Plagen des Reisenden in einer japanischen Her-
berge.
Die grosse Verschiedenheit im Aussehen und in der Bauart der
Häuser zwischen Dorf und Stadt, arm und reich, und insbesondere
auch die Abwechselung in den Baustylen innerhalb ein und derselben
Stadt, welche wir gewohnt sind, findet man in Japan nicht **). Ein
gemeinsamer Plan liegt hier den Häusern im ganzen Lande zu Grunde.
Nur die Grösse und die Feinheit des angewandten Materials wechselt;
nur an der Zahl der Häuser und an den kaufmännischen Geschäften
*) Haus heisst auf japanisch iye, doch gebraucht man dafür am häufigsten
das Wort uchi, welches eigentlich »innerhalb« bedeutet.
**) Wie weit diese japanische Bauart bedingt und beschränkt wurde durch
das häufige Auftreten heftiger Erdbeben, lässt sich schwer angeben.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/514>, abgerufen am 25.11.2024.
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