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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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II. Ethnographie.
in der anstossenden Badestube ruht auf einem mit einem Lattengitter
versehenen Boden. Alles ist tadellos rein, die Wanne selbst, aus
schönem weissen hi-no-ki verfertigt, sehr einladend. Neben ihr
steht auf einem niedrigen Tischchen die blank polierte kupferne oder
messingerne Waschschüssel in Form eines weiten Cylinders von 5--8
Centimeter Tiefe mit frischem Wasser, daneben ein Porzellannapf oder
Glas mit Trinkwasser und eine Porzellanschale mit Kochsalz zum
Zähneputzen. Die neue Zahnbürste (yoji), welche zur Seite liegt,
ein weisses Weidenstäbchen von Handlänge, an einem Ende etwas
zugespitzt, am anderen durch zahlreiche, etwa zolltiefe Einschnitte
in einem ziemlich steifen Faserpinsel umgewandelt, kann leicht er-
setzt werden. Diese Zahnreinigungsmittel sind sehr billig -- ein yoji
kostet etwa 11/2 Pfennige --, daher Jedermann zugängig und allge-
mein in Gebrauch, wie Aehnliches bei keinem anderen Volke der
Erde zu finden ist.

Von dieser schönen Einrichtung weicht freilich die Aufstellung
der Badewanne neben dem Hause und nicht selten zur Seite der
Strasse wesentlich ab. Die Ungeniertheit, mit der hier der weib-
liche Theil des Hauses Angesichts der Männer und Vorübergehenden
die Badewanne benutzte, hat manchen Europäer nicht wenig über-
rascht.

Oeffentliche Badehäuser für das Volk gibt es viele in jeder Stadt.
Der Vorübergehende erkennt sie leicht an dem aus ihnen dringenden
Dampf und Lärm, denn diese Anstalten dienen nicht blos der Reinigung,
sondern auch der Unterhaltung und Erholung. Hier finden sich Be-
kannte täglich wieder, um vor oder nach der Abwaschung ihre Pfeif-
chen zu rauchen und mit einander zu plaudern. Früher badeten
beide Geschlechter ungeniert unter einander, jetzt trennt sie eine
kaum 11/2 Meter hohe Bretterwand. Der Japaner, obgleich im ganzen
auf keiner hohen Stufe der Sittlichkeit stehend, erlaubte sich bei
solchen Gelegenheiten keine Unziemlichkeiten nach unserem Begriff.
Erst die Berührung mit den Europäern öffnete ihnen die Augen und
machte dieser paradiesischen Einfachheit ein Ende. War sie ein
Zeichen sittlicher Verderbtheit oder auch nur eines Mangels an Scham-
haftigkeit? Keineswegs! In Japan steht der Erwachsene, welcher
gewohnt ist, seine Mutter und Geschwister im Hause mit entblösstem
Oberkörper bei der Arbeit zu sehen, der Nacktheit des weiblichen
Geschlechtes gegenüber anders da, wie derjenige des Abendlandes.
Selbst dem moralisch sehr zartfühlenden und musterhaft hochstehenden
Eingeborenen erschien es nicht unpassend, wenn seine nächsten weib-
lichen Verwandten in seiner Gegenwart ihre täglichen Abwaschungen

II. Ethnographie.
in der anstossenden Badestube ruht auf einem mit einem Lattengitter
versehenen Boden. Alles ist tadellos rein, die Wanne selbst, aus
schönem weissen hi-no-ki verfertigt, sehr einladend. Neben ihr
steht auf einem niedrigen Tischchen die blank polierte kupferne oder
messingerne Waschschüssel in Form eines weiten Cylinders von 5—8
Centimeter Tiefe mit frischem Wasser, daneben ein Porzellannapf oder
Glas mit Trinkwasser und eine Porzellanschale mit Kochsalz zum
Zähneputzen. Die neue Zahnbürste (yoji), welche zur Seite liegt,
ein weisses Weidenstäbchen von Handlänge, an einem Ende etwas
zugespitzt, am anderen durch zahlreiche, etwa zolltiefe Einschnitte
in einem ziemlich steifen Faserpinsel umgewandelt, kann leicht er-
setzt werden. Diese Zahnreinigungsmittel sind sehr billig — ein yoji
kostet etwa 1½ Pfennige —, daher Jedermann zugängig und allge-
mein in Gebrauch, wie Aehnliches bei keinem anderen Volke der
Erde zu finden ist.

Von dieser schönen Einrichtung weicht freilich die Aufstellung
der Badewanne neben dem Hause und nicht selten zur Seite der
Strasse wesentlich ab. Die Ungeniertheit, mit der hier der weib-
liche Theil des Hauses Angesichts der Männer und Vorübergehenden
die Badewanne benutzte, hat manchen Europäer nicht wenig über-
rascht.

Oeffentliche Badehäuser für das Volk gibt es viele in jeder Stadt.
Der Vorübergehende erkennt sie leicht an dem aus ihnen dringenden
Dampf und Lärm, denn diese Anstalten dienen nicht blos der Reinigung,
sondern auch der Unterhaltung und Erholung. Hier finden sich Be-
kannte täglich wieder, um vor oder nach der Abwaschung ihre Pfeif-
chen zu rauchen und mit einander zu plaudern. Früher badeten
beide Geschlechter ungeniert unter einander, jetzt trennt sie eine
kaum 1½ Meter hohe Bretterwand. Der Japaner, obgleich im ganzen
auf keiner hohen Stufe der Sittlichkeit stehend, erlaubte sich bei
solchen Gelegenheiten keine Unziemlichkeiten nach unserem Begriff.
Erst die Berührung mit den Europäern öffnete ihnen die Augen und
machte dieser paradiesischen Einfachheit ein Ende. War sie ein
Zeichen sittlicher Verderbtheit oder auch nur eines Mangels an Scham-
haftigkeit? Keineswegs! In Japan steht der Erwachsene, welcher
gewohnt ist, seine Mutter und Geschwister im Hause mit entblösstem
Oberkörper bei der Arbeit zu sehen, der Nacktheit des weiblichen
Geschlechtes gegenüber anders da, wie derjenige des Abendlandes.
Selbst dem moralisch sehr zartfühlenden und musterhaft hochstehenden
Eingeborenen erschien es nicht unpassend, wenn seine nächsten weib-
lichen Verwandten in seiner Gegenwart ihre täglichen Abwaschungen

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[478/0512] II. Ethnographie. in der anstossenden Badestube ruht auf einem mit einem Lattengitter versehenen Boden. Alles ist tadellos rein, die Wanne selbst, aus schönem weissen hi-no-ki verfertigt, sehr einladend. Neben ihr steht auf einem niedrigen Tischchen die blank polierte kupferne oder messingerne Waschschüssel in Form eines weiten Cylinders von 5—8 Centimeter Tiefe mit frischem Wasser, daneben ein Porzellannapf oder Glas mit Trinkwasser und eine Porzellanschale mit Kochsalz zum Zähneputzen. Die neue Zahnbürste (yoji), welche zur Seite liegt, ein weisses Weidenstäbchen von Handlänge, an einem Ende etwas zugespitzt, am anderen durch zahlreiche, etwa zolltiefe Einschnitte in einem ziemlich steifen Faserpinsel umgewandelt, kann leicht er- setzt werden. Diese Zahnreinigungsmittel sind sehr billig — ein yoji kostet etwa 1½ Pfennige —, daher Jedermann zugängig und allge- mein in Gebrauch, wie Aehnliches bei keinem anderen Volke der Erde zu finden ist. Von dieser schönen Einrichtung weicht freilich die Aufstellung der Badewanne neben dem Hause und nicht selten zur Seite der Strasse wesentlich ab. Die Ungeniertheit, mit der hier der weib- liche Theil des Hauses Angesichts der Männer und Vorübergehenden die Badewanne benutzte, hat manchen Europäer nicht wenig über- rascht. Oeffentliche Badehäuser für das Volk gibt es viele in jeder Stadt. Der Vorübergehende erkennt sie leicht an dem aus ihnen dringenden Dampf und Lärm, denn diese Anstalten dienen nicht blos der Reinigung, sondern auch der Unterhaltung und Erholung. Hier finden sich Be- kannte täglich wieder, um vor oder nach der Abwaschung ihre Pfeif- chen zu rauchen und mit einander zu plaudern. Früher badeten beide Geschlechter ungeniert unter einander, jetzt trennt sie eine kaum 1½ Meter hohe Bretterwand. Der Japaner, obgleich im ganzen auf keiner hohen Stufe der Sittlichkeit stehend, erlaubte sich bei solchen Gelegenheiten keine Unziemlichkeiten nach unserem Begriff. Erst die Berührung mit den Europäern öffnete ihnen die Augen und machte dieser paradiesischen Einfachheit ein Ende. War sie ein Zeichen sittlicher Verderbtheit oder auch nur eines Mangels an Scham- haftigkeit? Keineswegs! In Japan steht der Erwachsene, welcher gewohnt ist, seine Mutter und Geschwister im Hause mit entblösstem Oberkörper bei der Arbeit zu sehen, der Nacktheit des weiblichen Geschlechtes gegenüber anders da, wie derjenige des Abendlandes. Selbst dem moralisch sehr zartfühlenden und musterhaft hochstehenden Eingeborenen erschien es nicht unpassend, wenn seine nächsten weib- lichen Verwandten in seiner Gegenwart ihre täglichen Abwaschungen

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/512>, abgerufen am 22.11.2024.