Legations-Secretär Dr. E. Satow in Tokio veranlasst, die soge- nannte orthographische Transliteration in Vorschlag und Anwendung zu bringen. Wir müssen uns hier jedoch mit der blosen Erwähnung der Sache bescheiden und solche, welche sich näher dafür interessieren, auf die sehr interessante und lehrreiche Abhandlung über den Gegen- stand verweisen, welche E. Satow unter dem Titel "Transliteration of the Japanese Syllabary" in den Transactions of the Asiatic Society of Japan, Vol. VII, pag. 226--260, veröffentlicht hat.
Die japanische Sprache gehört der turanischen oder tatarischen Sprachfamilie an und ist wie die ihr nahe verwandten Glieder der- selben, das Türkische, Mandschu und Mongolische, agglutinierend. In allen diesen Sprachen kommt das Verb an das Ende des Satzes und nach dem Object, welches dasselbe regiert. Der Japaner sagt z. B. Watakushi-wa neko-o mochimasu, ich Katze habe, für "ich habe eine Katze"; Watakushi-domo-wa tomodachi-o kutabire-asemasu, wir den Freund ermüden, für "wir ermüden den Freund". Er setzt im Imperativ nicht das Verb, sondern sein Object an die Spitze des Satzes und sagt für "bringe mir meine Kleider!" Kimeno-o mottekoi! (meine) Kleider bringe (mir)! Mache die Thür zu! heisst: "To-o shimero!" (Thür mache zu!). Die Frage: gibt es Geld? lautet: "Kane-ga aruka?" d. h. Geld gibt es?
Wie im Satze das Verb, so steht auch in Satztheilen und ein- fachen Begriffsverbindungen das Hauptwort nach. Wenn z. B. hachi, Biene, und mitsu, Honig, zu hachi-mitsu oder mitsu-hachi verbunden werden, so entspricht dies ganz dem Sinne nach unserem Bienen- honig, beziehungsweise Honigbiene. Kono machi-no na heisst dieser Strasse Namen, hako-no kagi ist "des Kastens Schlüssel", Gin-no ko = Silberpulver.
Wie in allen agglutinierenden Sprachen, so wird auch im Japa- nischen die fehlende Flexion zur Unterscheidung von Geschlecht, Zahl und Casus, sowie hinsichtlich des Verbs zur Unterscheidung der Zeit und Redeweise durch Wörter bewirkt, welche als Postpositionen oder Affixe dem Begriffsworte folgen. Ihre Anwendung macht die Sprache aber entschieden schwerfällig und ist nur theilweise ein Aequivalent für den Reichthum, welche unsere Flexionen der Sprache gewähren. Betrachten wir einzelne Redetheile noch etwas genauer, so müssen wir zunächst hervorheben, dass der Artikel fehlt. Am Substantiv wird weder Geschlecht noch Zahl unterschieden *). Der Nominativ
*) Es ist desshalb eigentlich nicht richtig und nur eine Accommodation an die Pluralform europäischer Sprachen, wenn wir hin und wieder Daimios statt Daimio gebrauchten.
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2. Die japanische Sprache und Literatur etc.
Legations-Secretär Dr. E. Satow in Tôkio veranlasst, die soge- nannte orthographische Transliteration in Vorschlag und Anwendung zu bringen. Wir müssen uns hier jedoch mit der blosen Erwähnung der Sache bescheiden und solche, welche sich näher dafür interessieren, auf die sehr interessante und lehrreiche Abhandlung über den Gegen- stand verweisen, welche E. Satow unter dem Titel »Transliteration of the Japanese Syllabary« in den Transactions of the Asiatic Society of Japan, Vol. VII, pag. 226—260, veröffentlicht hat.
Die japanische Sprache gehört der turanischen oder tatarischen Sprachfamilie an und ist wie die ihr nahe verwandten Glieder der- selben, das Türkische, Mandschu und Mongolische, agglutinierend. In allen diesen Sprachen kommt das Verb an das Ende des Satzes und nach dem Object, welches dasselbe regiert. Der Japaner sagt z. B. Watakushi-wa neko-o mochimasu, ich Katze habe, für »ich habe eine Katze«; Watakushi-domo-wa tomodachi-o kutabire-asemasu, wir den Freund ermüden, für »wir ermüden den Freund«. Er setzt im Imperativ nicht das Verb, sondern sein Object an die Spitze des Satzes und sagt für »bringe mir meine Kleider!« Kimeno-o mottekoi! (meine) Kleider bringe (mir)! Mache die Thür zu! heisst: »Tô-o shimero!« (Thür mache zu!). Die Frage: gibt es Geld? lautet: »Kane-ga aruka?« d. h. Geld gibt es?
Wie im Satze das Verb, so steht auch in Satztheilen und ein- fachen Begriffsverbindungen das Hauptwort nach. Wenn z. B. hachi, Biene, und mitsu, Honig, zu hachi-mitsu oder mitsu-hachi verbunden werden, so entspricht dies ganz dem Sinne nach unserem Bienen- honig, beziehungsweise Honigbiene. Kono machi-no na heisst dieser Strasse Namen, hako-no kagi ist »des Kastens Schlüssel«, Gin-no ko = Silberpulver.
Wie in allen agglutinierenden Sprachen, so wird auch im Japa- nischen die fehlende Flexion zur Unterscheidung von Geschlecht, Zahl und Casus, sowie hinsichtlich des Verbs zur Unterscheidung der Zeit und Redeweise durch Wörter bewirkt, welche als Postpositionen oder Affixe dem Begriffsworte folgen. Ihre Anwendung macht die Sprache aber entschieden schwerfällig und ist nur theilweise ein Aequivalent für den Reichthum, welche unsere Flexionen der Sprache gewähren. Betrachten wir einzelne Redetheile noch etwas genauer, so müssen wir zunächst hervorheben, dass der Artikel fehlt. Am Substantiv wird weder Geschlecht noch Zahl unterschieden *). Der Nominativ
*) Es ist desshalb eigentlich nicht richtig und nur eine Accommodation an die Pluralform europäischer Sprachen, wenn wir hin und wieder Daimios statt Daimio gebrauchten.
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2. Die japanische Sprache und Literatur etc.
Legations-Secretär Dr. E. Satow in Tôkio veranlasst, die soge-
nannte orthographische Transliteration in Vorschlag und Anwendung
zu bringen. Wir müssen uns hier jedoch mit der blosen Erwähnung
der Sache bescheiden und solche, welche sich näher dafür interessieren,
auf die sehr interessante und lehrreiche Abhandlung über den Gegen-
stand verweisen, welche E. Satow unter dem Titel »Transliteration
of the Japanese Syllabary« in den Transactions of the Asiatic Society
of Japan, Vol. VII, pag. 226—260, veröffentlicht hat.
Die japanische Sprache gehört der turanischen oder tatarischen
Sprachfamilie an und ist wie die ihr nahe verwandten Glieder der-
selben, das Türkische, Mandschu und Mongolische, agglutinierend.
In allen diesen Sprachen kommt das Verb an das Ende des Satzes
und nach dem Object, welches dasselbe regiert. Der Japaner sagt
z. B. Watakushi-wa neko-o mochimasu, ich Katze habe, für »ich habe
eine Katze«; Watakushi-domo-wa tomodachi-o kutabire-asemasu, wir
den Freund ermüden, für »wir ermüden den Freund«. Er setzt im
Imperativ nicht das Verb, sondern sein Object an die Spitze des
Satzes und sagt für »bringe mir meine Kleider!« Kimeno-o mottekoi!
(meine) Kleider bringe (mir)! Mache die Thür zu! heisst: »Tô-o
shimero!« (Thür mache zu!). Die Frage: gibt es Geld? lautet:
»Kane-ga aruka?« d. h. Geld gibt es?
Wie im Satze das Verb, so steht auch in Satztheilen und ein-
fachen Begriffsverbindungen das Hauptwort nach. Wenn z. B. hachi,
Biene, und mitsu, Honig, zu hachi-mitsu oder mitsu-hachi verbunden
werden, so entspricht dies ganz dem Sinne nach unserem Bienen-
honig, beziehungsweise Honigbiene. Kono machi-no na heisst dieser
Strasse Namen, hako-no kagi ist »des Kastens Schlüssel«, Gin-no ko
= Silberpulver.
Wie in allen agglutinierenden Sprachen, so wird auch im Japa-
nischen die fehlende Flexion zur Unterscheidung von Geschlecht, Zahl
und Casus, sowie hinsichtlich des Verbs zur Unterscheidung der Zeit
und Redeweise durch Wörter bewirkt, welche als Postpositionen oder
Affixe dem Begriffsworte folgen. Ihre Anwendung macht die Sprache
aber entschieden schwerfällig und ist nur theilweise ein Aequivalent
für den Reichthum, welche unsere Flexionen der Sprache gewähren.
Betrachten wir einzelne Redetheile noch etwas genauer, so müssen
wir zunächst hervorheben, dass der Artikel fehlt. Am Substantiv
wird weder Geschlecht noch Zahl unterschieden *). Der Nominativ
*) Es ist desshalb eigentlich nicht richtig und nur eine Accommodation an die
Pluralform europäischer Sprachen, wenn wir hin und wieder Daimios statt Daimio
gebrauchten.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/501>, abgerufen am 22.11.2024.
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