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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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II. Ethnographie.
das Zeitwort dem von ihm regierten Object vorausgehen muss. In
der japanischen Sprache folgt nicht, wie bei den Malayen und Süd-
see-Insulanern, das Adjectiv seinem Substantiv, noch der Genitiv dem
Nominativ, sondern geht ihm voran. So liessen sich noch manche
durchgreifende Sprachunterschiede hervorheben, welche beweisen,
dass auch sprachlich keinerlei malayischer Einfluss und damit keinerlei
Einwanderung, wie die angenommene, zu erkennen ist.

Der japanische Volkscharakter ist dem der Polynesier verwandter
als dem malayischen. Dem lasciven Tanze Hula-hula der Sandwichs-
Insulaner steht z. B. das Odori, welches Fremden oft zu Nagasaki,
dem früheren Naukratis Japans, vorgeführt wurde, in seiner obscönen
Form wohl wenig nach. Das Lome-lome oder Schampuieren der
Kanaken wird gerade so ausgeführt, wie das Amma der Japaner,
nur dass dort Mädchen, hier Blinde das Gliederrecken und Kneten
des Körpers besorgen. Die Kanaken kamen von den im Süden der
Sandwichs-Inseln unter dem Aequator gelegenen Inseln, und so ist
eine Einwanderung verwandter Stämme in das südliche Japan eben-
falls denkbar. Die Ethnographie hat sich jedoch an Facta zu halten,
und diese weisen uns nach einer ganz anderen Richtung.

Nach den chinesischen Annalen kamen ungefähr 1200 v. Chr.
tatarische Stämme nach Korea und siedelten sich zum Theil hier,
zum Theil auf den östlichen Inseln an. Wenn nun der Gesichts-
typus und Haarwuchs der Japaner mongolisch, nicht malayisch ist,
wenn die Sprache über Korea zum tatarisch-mongolischen Stamme in
Centralasien weist, und wenn endlich die Lage des Landes und die
alten Traditionen sich mit jenem Berichte der Chinesen sehr wohl in
Einklang bringen lassen, so erscheint uns die Wahrscheinlichkeit
gross, dass die eingewanderten Japaner in der That ein Glied jener
grossen altaischen Völkerfamilie waren, welche einst nach allen
Richtungen von ihrem Stammsitze aus sich zerstreute und sich über
Asien vom Stillen Ocean bis zum Pontus und Mittelmeer verbreitete.
Ueber Korea, Tsushima, Iki und Oki gelangte jenes losgerissene
Glied, die Vorfahren des japanischen Volkes, zum südlichen Japan
und nahm es allmählich von den Riukiu-Inseln bis vielleicht zur
Breite vom Hakone-Gebirge oder noch weiter nordwärts in Besitz,
während verwandte Stämme, wie Koreaner und Mandschu, sich auf
dem benachbarten Festlande niederliessen.

Die muthmassliche Urbevölkerung des südlichen Japans wurde
nach unserer Annahme theils verdrängt, theils assimiliert, wie dies
thatsächlich später mit den Emishi im Norden der Insel Hondo ge-
schah. Lange nachdem sich dieser Vermischungsprocess im südlichen

II. Ethnographie.
das Zeitwort dem von ihm regierten Object vorausgehen muss. In
der japanischen Sprache folgt nicht, wie bei den Malayen und Süd-
see-Insulanern, das Adjectiv seinem Substantiv, noch der Genitiv dem
Nominativ, sondern geht ihm voran. So liessen sich noch manche
durchgreifende Sprachunterschiede hervorheben, welche beweisen,
dass auch sprachlich keinerlei malayischer Einfluss und damit keinerlei
Einwanderung, wie die angenommene, zu erkennen ist.

Der japanische Volkscharakter ist dem der Polynesier verwandter
als dem malayischen. Dem lasciven Tanze Hula-hula der Sandwichs-
Insulaner steht z. B. das Ôdori, welches Fremden oft zu Nagasaki,
dem früheren Naukratis Japans, vorgeführt wurde, in seiner obscönen
Form wohl wenig nach. Das Lome-lome oder Schampuieren der
Kanaken wird gerade so ausgeführt, wie das Amma der Japaner,
nur dass dort Mädchen, hier Blinde das Gliederrecken und Kneten
des Körpers besorgen. Die Kanaken kamen von den im Süden der
Sandwichs-Inseln unter dem Aequator gelegenen Inseln, und so ist
eine Einwanderung verwandter Stämme in das südliche Japan eben-
falls denkbar. Die Ethnographie hat sich jedoch an Facta zu halten,
und diese weisen uns nach einer ganz anderen Richtung.

Nach den chinesischen Annalen kamen ungefähr 1200 v. Chr.
tatarische Stämme nach Korea und siedelten sich zum Theil hier,
zum Theil auf den östlichen Inseln an. Wenn nun der Gesichts-
typus und Haarwuchs der Japaner mongolisch, nicht malayisch ist,
wenn die Sprache über Korea zum tatarisch-mongolischen Stamme in
Centralasien weist, und wenn endlich die Lage des Landes und die
alten Traditionen sich mit jenem Berichte der Chinesen sehr wohl in
Einklang bringen lassen, so erscheint uns die Wahrscheinlichkeit
gross, dass die eingewanderten Japaner in der That ein Glied jener
grossen altaischen Völkerfamilie waren, welche einst nach allen
Richtungen von ihrem Stammsitze aus sich zerstreute und sich über
Asien vom Stillen Ocean bis zum Pontus und Mittelmeer verbreitete.
Ueber Korea, Tsushima, Iki und Ôki gelangte jenes losgerissene
Glied, die Vorfahren des japanischen Volkes, zum südlichen Japan
und nahm es allmählich von den Riukiu-Inseln bis vielleicht zur
Breite vom Hakone-Gebirge oder noch weiter nordwärts in Besitz,
während verwandte Stämme, wie Koreaner und Mandschu, sich auf
dem benachbarten Festlande niederliessen.

Die muthmassliche Urbevölkerung des südlichen Japans wurde
nach unserer Annahme theils verdrängt, theils assimiliert, wie dies
thatsächlich später mit den Emishi im Norden der Insel Hondo ge-
schah. Lange nachdem sich dieser Vermischungsprocess im südlichen

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[452/0484] II. Ethnographie. das Zeitwort dem von ihm regierten Object vorausgehen muss. In der japanischen Sprache folgt nicht, wie bei den Malayen und Süd- see-Insulanern, das Adjectiv seinem Substantiv, noch der Genitiv dem Nominativ, sondern geht ihm voran. So liessen sich noch manche durchgreifende Sprachunterschiede hervorheben, welche beweisen, dass auch sprachlich keinerlei malayischer Einfluss und damit keinerlei Einwanderung, wie die angenommene, zu erkennen ist. Der japanische Volkscharakter ist dem der Polynesier verwandter als dem malayischen. Dem lasciven Tanze Hula-hula der Sandwichs- Insulaner steht z. B. das Ôdori, welches Fremden oft zu Nagasaki, dem früheren Naukratis Japans, vorgeführt wurde, in seiner obscönen Form wohl wenig nach. Das Lome-lome oder Schampuieren der Kanaken wird gerade so ausgeführt, wie das Amma der Japaner, nur dass dort Mädchen, hier Blinde das Gliederrecken und Kneten des Körpers besorgen. Die Kanaken kamen von den im Süden der Sandwichs-Inseln unter dem Aequator gelegenen Inseln, und so ist eine Einwanderung verwandter Stämme in das südliche Japan eben- falls denkbar. Die Ethnographie hat sich jedoch an Facta zu halten, und diese weisen uns nach einer ganz anderen Richtung. Nach den chinesischen Annalen kamen ungefähr 1200 v. Chr. tatarische Stämme nach Korea und siedelten sich zum Theil hier, zum Theil auf den östlichen Inseln an. Wenn nun der Gesichts- typus und Haarwuchs der Japaner mongolisch, nicht malayisch ist, wenn die Sprache über Korea zum tatarisch-mongolischen Stamme in Centralasien weist, und wenn endlich die Lage des Landes und die alten Traditionen sich mit jenem Berichte der Chinesen sehr wohl in Einklang bringen lassen, so erscheint uns die Wahrscheinlichkeit gross, dass die eingewanderten Japaner in der That ein Glied jener grossen altaischen Völkerfamilie waren, welche einst nach allen Richtungen von ihrem Stammsitze aus sich zerstreute und sich über Asien vom Stillen Ocean bis zum Pontus und Mittelmeer verbreitete. Ueber Korea, Tsushima, Iki und Ôki gelangte jenes losgerissene Glied, die Vorfahren des japanischen Volkes, zum südlichen Japan und nahm es allmählich von den Riukiu-Inseln bis vielleicht zur Breite vom Hakone-Gebirge oder noch weiter nordwärts in Besitz, während verwandte Stämme, wie Koreaner und Mandschu, sich auf dem benachbarten Festlande niederliessen. Die muthmassliche Urbevölkerung des südlichen Japans wurde nach unserer Annahme theils verdrängt, theils assimiliert, wie dies thatsächlich später mit den Emishi im Norden der Insel Hondo ge- schah. Lange nachdem sich dieser Vermischungsprocess im südlichen

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/484>, abgerufen am 22.11.2024.