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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
wältigt werden konnte. Urheber und Führer desselben war kein ge-
ringerer, als General Saigo Kichinosuke, der Mann, welcher
durch seinen klugen Rath (er war Generalstabschef von Arisugawa)
und tapferen Arm dem Mikado vornehmlich zur Wiedererlangung der
weltlichen Macht verholfen und dafür reiche Belohnung und die höch-
sten Ehren erlangt hatte. Sein Ansehen stand nach der Restauration
nur dem des Mikado nach, und es war keine Uebertreibung, wenn
eine japanische Zeitung eines Tages behauptete, auf seinen Ruf seien
50000 Samurai bereit, ihr Leben zu lassen *).

Schmollend hatte sich Saigo im Jahre 1873 aus der Regierung
in seine Heimath Kagoshima zurückgezogen und alle späteren Ver-
suche, ihn zum Wiedereintritt zu bewegen, kurz zurückgewiesen.
Seine Freunde und engeren Landsleute, die Generale Kinrio, Shino-
wara und Andere, waren bald seinem Beispiel gefolgt. Nicht lange,
so gründeten sie in Satsuma sogenannte Privatschulen für Samurai,
in welchen dieselben täglich eine Stunde chinesischen Studien, in der
übrigen Zeit aber militärischen Uebungen oblagen. Das waren Männer,
die sich strengen Regeln unterwarfen und die Befolgung derselben
mit ihrem Blute geloben mussten. Die Zahl dieser sogenannten
Privatschüler wuchs auf über 30000 Mann und bildete ein respec-
tables Heer, über welches Saigo und seine Freunde volle Verfügung
hatten. Es war eine Macht, die selbst Oyama, den Gouverneur, lenkte
und alle Stellen des Gouvernements inne hatte, und auf welche die
Centralregierung in Tokio ohne allen Einfluss war. Schon im Jahre
1875 machte die Presse auf diesen Zustand aufmerksam und fragte,
wie ihn die Regierung dulden könne. Besonders bemerkenswerth
war ein Artikel der Akebono-Shimbun (Morgenzeitung) vom 20. Juli
1876, worin es heisst:

"Unter den unzufriedenen Samurai, welche ihre Augen offen
halten, um Unruhe zu stiften, gibt es hervorragende in Satsuma und
Choshiu, dort General Saigo und Generallieutenant Kinrio. Diese
zwei Männer, welche hohe Posten in der Armee einnehmen, sind die
Führer jener Samurai und ihre Militärschulen mächtiger als der Gou-

*) Viel von diesem Einfluss verdankte Saigo unstreitig seiner imponierenden
Gestalt, denn er überragte den gewöhnlichen Japaner um Kopfeslänge. Baron
Hübner, der ihn in Tokio kennen lernte, sagt von ihm: "Saigo ist ein Herkules.
Seine Augen verrathen Geist, seine Züge Thatkraft. Er hat eine kriegerische
Haltung und die Manieren eines Landedelmannes. Sein Anzug schien mir mehr
als vernachlässigt. Dieser jetzt so einflussreiche Herr langweilt sich bei Hofe
und leidet an Heimweh".

7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
wältigt werden konnte. Urheber und Führer desselben war kein ge-
ringerer, als General Saigô Kichinosuke, der Mann, welcher
durch seinen klugen Rath (er war Generalstabschef von Arisugawa)
und tapferen Arm dem Mikado vornehmlich zur Wiedererlangung der
weltlichen Macht verholfen und dafür reiche Belohnung und die höch-
sten Ehren erlangt hatte. Sein Ansehen stand nach der Restauration
nur dem des Mikado nach, und es war keine Uebertreibung, wenn
eine japanische Zeitung eines Tages behauptete, auf seinen Ruf seien
50000 Samurai bereit, ihr Leben zu lassen *).

Schmollend hatte sich Saigô im Jahre 1873 aus der Regierung
in seine Heimath Kagoshima zurückgezogen und alle späteren Ver-
suche, ihn zum Wiedereintritt zu bewegen, kurz zurückgewiesen.
Seine Freunde und engeren Landsleute, die Generale Kinrio, Shino-
wara und Andere, waren bald seinem Beispiel gefolgt. Nicht lange,
so gründeten sie in Satsuma sogenannte Privatschulen für Samurai,
in welchen dieselben täglich eine Stunde chinesischen Studien, in der
übrigen Zeit aber militärischen Uebungen oblagen. Das waren Männer,
die sich strengen Regeln unterwarfen und die Befolgung derselben
mit ihrem Blute geloben mussten. Die Zahl dieser sogenannten
Privatschüler wuchs auf über 30000 Mann und bildete ein respec-
tables Heer, über welches Saigô und seine Freunde volle Verfügung
hatten. Es war eine Macht, die selbst Ôyama, den Gouverneur, lenkte
und alle Stellen des Gouvernements inne hatte, und auf welche die
Centralregierung in Tôkio ohne allen Einfluss war. Schon im Jahre
1875 machte die Presse auf diesen Zustand aufmerksam und fragte,
wie ihn die Regierung dulden könne. Besonders bemerkenswerth
war ein Artikel der Akebono-Shimbun (Morgenzeitung) vom 20. Juli
1876, worin es heisst:

»Unter den unzufriedenen Samurai, welche ihre Augen offen
halten, um Unruhe zu stiften, gibt es hervorragende in Satsuma und
Chôshiu, dort General Saigô und Generallieutenant Kinrio. Diese
zwei Männer, welche hohe Posten in der Armee einnehmen, sind die
Führer jener Samurai und ihre Militärschulen mächtiger als der Gou-

*) Viel von diesem Einfluss verdankte Saigô unstreitig seiner imponierenden
Gestalt, denn er überragte den gewöhnlichen Japaner um Kopfeslänge. Baron
Hübner, der ihn in Tôkio kennen lernte, sagt von ihm: »Saigô ist ein Herkules.
Seine Augen verrathen Geist, seine Züge Thatkraft. Er hat eine kriegerische
Haltung und die Manieren eines Landedelmannes. Sein Anzug schien mir mehr
als vernachlässigt. Dieser jetzt so einflussreiche Herr langweilt sich bei Hofe
und leidet an Heimweh«.
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[429/0457] 7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854. wältigt werden konnte. Urheber und Führer desselben war kein ge- ringerer, als General Saigô Kichinosuke, der Mann, welcher durch seinen klugen Rath (er war Generalstabschef von Arisugawa) und tapferen Arm dem Mikado vornehmlich zur Wiedererlangung der weltlichen Macht verholfen und dafür reiche Belohnung und die höch- sten Ehren erlangt hatte. Sein Ansehen stand nach der Restauration nur dem des Mikado nach, und es war keine Uebertreibung, wenn eine japanische Zeitung eines Tages behauptete, auf seinen Ruf seien 50000 Samurai bereit, ihr Leben zu lassen *). Schmollend hatte sich Saigô im Jahre 1873 aus der Regierung in seine Heimath Kagoshima zurückgezogen und alle späteren Ver- suche, ihn zum Wiedereintritt zu bewegen, kurz zurückgewiesen. Seine Freunde und engeren Landsleute, die Generale Kinrio, Shino- wara und Andere, waren bald seinem Beispiel gefolgt. Nicht lange, so gründeten sie in Satsuma sogenannte Privatschulen für Samurai, in welchen dieselben täglich eine Stunde chinesischen Studien, in der übrigen Zeit aber militärischen Uebungen oblagen. Das waren Männer, die sich strengen Regeln unterwarfen und die Befolgung derselben mit ihrem Blute geloben mussten. Die Zahl dieser sogenannten Privatschüler wuchs auf über 30000 Mann und bildete ein respec- tables Heer, über welches Saigô und seine Freunde volle Verfügung hatten. Es war eine Macht, die selbst Ôyama, den Gouverneur, lenkte und alle Stellen des Gouvernements inne hatte, und auf welche die Centralregierung in Tôkio ohne allen Einfluss war. Schon im Jahre 1875 machte die Presse auf diesen Zustand aufmerksam und fragte, wie ihn die Regierung dulden könne. Besonders bemerkenswerth war ein Artikel der Akebono-Shimbun (Morgenzeitung) vom 20. Juli 1876, worin es heisst: »Unter den unzufriedenen Samurai, welche ihre Augen offen halten, um Unruhe zu stiften, gibt es hervorragende in Satsuma und Chôshiu, dort General Saigô und Generallieutenant Kinrio. Diese zwei Männer, welche hohe Posten in der Armee einnehmen, sind die Führer jener Samurai und ihre Militärschulen mächtiger als der Gou- *) Viel von diesem Einfluss verdankte Saigô unstreitig seiner imponierenden Gestalt, denn er überragte den gewöhnlichen Japaner um Kopfeslänge. Baron Hübner, der ihn in Tôkio kennen lernte, sagt von ihm: »Saigô ist ein Herkules. Seine Augen verrathen Geist, seine Züge Thatkraft. Er hat eine kriegerische Haltung und die Manieren eines Landedelmannes. Sein Anzug schien mir mehr als vernachlässigt. Dieser jetzt so einflussreiche Herr langweilt sich bei Hofe und leidet an Heimweh«.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/457>, abgerufen am 25.08.2024.