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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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I. Geschichte des japanischen Volkes.
nische Gesandte Kuroda den Abschluss eines Freundschafts- und
Handelsvertrags mit Korea, in Folge dessen erst Fusan und dann
im Mai dieses Jahres Gensan dem japanischen Handel geöffnet
wurde. Das Jahr 1876 brachte zwei neue Aufstände in Kumamoto
und Choshiu. Dort stand ein alter Samurai von 70 Jahren an der
Spitze der Verschworenen, welche streng an den alten Anschauungen
und Sitten hingen und mit tödtlichem Hass gegen Fremde und ihre
japanischen Gönner erfüllt waren. "Sakoku Joi" (schliesset das Land,
vertreibet die Fremden) war der Ruf, welcher sie kennzeichnete.
Charakteristisch ist die Erklärung, welche sie abgaben: "Ein Adler
wird nie zum Samenfresser, sondern stirbt lieber Hungers; so wird
auch ein Samurai von Ehre sich nicht dem Handel und ähnlichen
Geschäften hingeben, noch sonstigen Dingen, die gegen sein Wesen
sind. Aber diabolische Geister herrschen jetzt in diesem Lande der
Götter und sind darauf aus, Sitten zu beseitigen, welche uns theuer
waren und bei uns von Alters her gepflegt wurden. Diese Thatsache
verursacht uns grossen Kummer. Vor einiger Zeit wurden wir unserer
kostbaren Schwerter beraubt, und nun befiehlt man uns, den Scheitel-
zopf unseres Haares abzuschneiden und dasselbe in fremder Weise
zu tragen. Es bleibt uns unter diesen Umständen nur eins zu thun
übrig, nämlich unsere Schwerter in den Häusern der Beamten zu
gebrauchen, welche die Fremden nachahmen. Dies allein ist Männern
unserer Classe würdig." Und dieser Anschauung gemäss handelten
sie. Nach alter Kriegerart bewaffnet und gekleidet, überfielen einige
Hunderte dieser Samurai eines Nachts die Offiziere der Garnison in
ihren Wohnungen und die Soldaten in der Kaserne (auf dem alten
Schlossplatz zu Kumamoto) und würgten und brannten Alles nieder.
Wer von ihnen in dem Kampfe nicht fiel und nicht entfliehen konnte,
nahm dann Seppuku vor.

An der Spitze des fast gleichzeitigen Aufstandes in Choshiu stand
Mayebara, der im Bürgerkriege ein tapferer Führer und nachher
ein unfähiger Verwaltungsbeamter gewesen und desshalb mit einer
Pension entlassen worden war. In seiner Proclamation versprach er,
"den Mikado aus der Gefangenschaft schlechter Rathgeber zu be-
freien, von Männern, die des Volkes Ehre und Interessen nicht kennen,
noch achten, sondern zulassen, dass fremde Barbaren die Schätze
des Landes fortführen etc." Auch seinem Treiben wurde bald ein
Ende gemacht.

Ganz anders gestaltete sich der Aufstand von Satsuma im Jahre
1877, die grösste Krisis, welche das neue Japan durchgemacht hat,
die alle seine Kräfte in Anspruch nahm und erst nach 7 Monaten be-

I. Geschichte des japanischen Volkes.
nische Gesandte Kuroda den Abschluss eines Freundschafts- und
Handelsvertrags mit Korea, in Folge dessen erst Fusan und dann
im Mai dieses Jahres Gensan dem japanischen Handel geöffnet
wurde. Das Jahr 1876 brachte zwei neue Aufstände in Kumamoto
und Chôshiu. Dort stand ein alter Samurai von 70 Jahren an der
Spitze der Verschworenen, welche streng an den alten Anschauungen
und Sitten hingen und mit tödtlichem Hass gegen Fremde und ihre
japanischen Gönner erfüllt waren. »Sakoku Joi« (schliesset das Land,
vertreibet die Fremden) war der Ruf, welcher sie kennzeichnete.
Charakteristisch ist die Erklärung, welche sie abgaben: »Ein Adler
wird nie zum Samenfresser, sondern stirbt lieber Hungers; so wird
auch ein Samurai von Ehre sich nicht dem Handel und ähnlichen
Geschäften hingeben, noch sonstigen Dingen, die gegen sein Wesen
sind. Aber diabolische Geister herrschen jetzt in diesem Lande der
Götter und sind darauf aus, Sitten zu beseitigen, welche uns theuer
waren und bei uns von Alters her gepflegt wurden. Diese Thatsache
verursacht uns grossen Kummer. Vor einiger Zeit wurden wir unserer
kostbaren Schwerter beraubt, und nun befiehlt man uns, den Scheitel-
zopf unseres Haares abzuschneiden und dasselbe in fremder Weise
zu tragen. Es bleibt uns unter diesen Umständen nur eins zu thun
übrig, nämlich unsere Schwerter in den Häusern der Beamten zu
gebrauchen, welche die Fremden nachahmen. Dies allein ist Männern
unserer Classe würdig.« Und dieser Anschauung gemäss handelten
sie. Nach alter Kriegerart bewaffnet und gekleidet, überfielen einige
Hunderte dieser Samurai eines Nachts die Offiziere der Garnison in
ihren Wohnungen und die Soldaten in der Kaserne (auf dem alten
Schlossplatz zu Kumamoto) und würgten und brannten Alles nieder.
Wer von ihnen in dem Kampfe nicht fiel und nicht entfliehen konnte,
nahm dann Seppuku vor.

An der Spitze des fast gleichzeitigen Aufstandes in Chôshiu stand
Mayebara, der im Bürgerkriege ein tapferer Führer und nachher
ein unfähiger Verwaltungsbeamter gewesen und desshalb mit einer
Pension entlassen worden war. In seiner Proclamation versprach er,
»den Mikado aus der Gefangenschaft schlechter Rathgeber zu be-
freien, von Männern, die des Volkes Ehre und Interessen nicht kennen,
noch achten, sondern zulassen, dass fremde Barbaren die Schätze
des Landes fortführen etc.« Auch seinem Treiben wurde bald ein
Ende gemacht.

Ganz anders gestaltete sich der Aufstand von Satsuma im Jahre
1877, die grösste Krisis, welche das neue Japan durchgemacht hat,
die alle seine Kräfte in Anspruch nahm und erst nach 7 Monaten be-

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[428/0456] I. Geschichte des japanischen Volkes. nische Gesandte Kuroda den Abschluss eines Freundschafts- und Handelsvertrags mit Korea, in Folge dessen erst Fusan und dann im Mai dieses Jahres Gensan dem japanischen Handel geöffnet wurde. Das Jahr 1876 brachte zwei neue Aufstände in Kumamoto und Chôshiu. Dort stand ein alter Samurai von 70 Jahren an der Spitze der Verschworenen, welche streng an den alten Anschauungen und Sitten hingen und mit tödtlichem Hass gegen Fremde und ihre japanischen Gönner erfüllt waren. »Sakoku Joi« (schliesset das Land, vertreibet die Fremden) war der Ruf, welcher sie kennzeichnete. Charakteristisch ist die Erklärung, welche sie abgaben: »Ein Adler wird nie zum Samenfresser, sondern stirbt lieber Hungers; so wird auch ein Samurai von Ehre sich nicht dem Handel und ähnlichen Geschäften hingeben, noch sonstigen Dingen, die gegen sein Wesen sind. Aber diabolische Geister herrschen jetzt in diesem Lande der Götter und sind darauf aus, Sitten zu beseitigen, welche uns theuer waren und bei uns von Alters her gepflegt wurden. Diese Thatsache verursacht uns grossen Kummer. Vor einiger Zeit wurden wir unserer kostbaren Schwerter beraubt, und nun befiehlt man uns, den Scheitel- zopf unseres Haares abzuschneiden und dasselbe in fremder Weise zu tragen. Es bleibt uns unter diesen Umständen nur eins zu thun übrig, nämlich unsere Schwerter in den Häusern der Beamten zu gebrauchen, welche die Fremden nachahmen. Dies allein ist Männern unserer Classe würdig.« Und dieser Anschauung gemäss handelten sie. Nach alter Kriegerart bewaffnet und gekleidet, überfielen einige Hunderte dieser Samurai eines Nachts die Offiziere der Garnison in ihren Wohnungen und die Soldaten in der Kaserne (auf dem alten Schlossplatz zu Kumamoto) und würgten und brannten Alles nieder. Wer von ihnen in dem Kampfe nicht fiel und nicht entfliehen konnte, nahm dann Seppuku vor. An der Spitze des fast gleichzeitigen Aufstandes in Chôshiu stand Mayebara, der im Bürgerkriege ein tapferer Führer und nachher ein unfähiger Verwaltungsbeamter gewesen und desshalb mit einer Pension entlassen worden war. In seiner Proclamation versprach er, »den Mikado aus der Gefangenschaft schlechter Rathgeber zu be- freien, von Männern, die des Volkes Ehre und Interessen nicht kennen, noch achten, sondern zulassen, dass fremde Barbaren die Schätze des Landes fortführen etc.« Auch seinem Treiben wurde bald ein Ende gemacht. Ganz anders gestaltete sich der Aufstand von Satsuma im Jahre 1877, die grösste Krisis, welche das neue Japan durchgemacht hat, die alle seine Kräfte in Anspruch nahm und erst nach 7 Monaten be-

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/456>, abgerufen am 25.08.2024.