5. Hei-min, d. h. gemeines Volk in seinen drei Unterabtheilungen der Bauern, Handwerker und Kaufleute.
Der Wechsel berührte die drei grossen Gesellschaftsklassen in sehr verschiedener Weise. Das gemeine Volk, friedlich, fleissig, ge- nügsam und von je her an hohe Abgaben und blinden Gehorsam ge- wöhnt, änderte zunächst nur seinen Herrn und befand sich im ganzen unter den neuen Verhältnissen bald glücklicher als früher. Die Daimio hatten sich bei Abtretung ihrer Besitzthümer den Fortbezug eines Zehntels aus den Revenüen derselben ausbedungen und behielten damit genug, um mit Würde leben zu können, ja waren besser ge- stellt als früher, wo sie für den Unterhalt ihrer Samurai und Yashikis, für Aufzüge, Geschenke etc. zu sorgen hatten. Die Einkünfte der Kuge waren bedeutend erhöht worden. Ganz anders gestaltete sich die neue Lage der Samurai. Auch ihr erbliches Einkommen wurde auf 10 Procent reduciert. Aber hier wurde diese Beschränkung bei den meisten, welche nicht als Beamte eintreten oder eine andere lohnende Beschäftigung finden konnten, aufs bitterste empfunden. Manche beschränkten sich, um nicht Hungers zu sterben, auf ein Nebengebäude ihres früheren Yashiki und suchten durch Niederreissung des übrigen Land zum Thee-, Maulbeer- oder Reisbau zu gewinnen. Andere würden gern den Spaten ergriffen haben, wenn sich ihnen nur cultivierbares Land geboten hätte, ja selbst die vordem ver- achtete Rechenmaschine (soro-ban, den abacus) des Kaufmannes, wenn sie nur die nöthige Summe zum Anfang und das Verständniss zum Fortbetrieb eines Geschäftes gehabt hätten. Hier war Schonung und billige Rücksicht am meisten geboten, aber die Regierung er- mangelte dieser Eigenschaften vielfach. Man verlangte Abschaffung der absoluten Gewalt, welche das Ministerium übte, und Einführung einer Constitution unter Mitwirkung des Volkes, wie es der Mikado beim Ausbruch des Krieges zu Kioto feierlich versprochen hatte. Die Regierung glaubte jedoch, das Volk sei zu einer solchen Theilnahme noch nicht reif und wies die Memoranda, welche zu verschiedenen Zeiten einflussreiche Samurai über diesen Punkt einreichten, als un- praktisch ab.
Mit den Pensionen für Adel und Samurai hatte das Land eine grosse Last übernommen, die bald schwer empfunden wurde. Die- selben verschlangen beinahe die Hälfte aller Staatseinnahmen und waren, da diese letzteren vornehmlich in Grundsteuern bestanden, besonders dem Landmann drückend; denn auch das Bestreben, dem Lande die Vortheile der abendländischen Civilisation zuzuwenden, kostete viel Geld, so löblich es an und für sich auch war. Die Auf-
7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
5. Hei-min, d. h. gemeines Volk in seinen drei Unterabtheilungen der Bauern, Handwerker und Kaufleute.
Der Wechsel berührte die drei grossen Gesellschaftsklassen in sehr verschiedener Weise. Das gemeine Volk, friedlich, fleissig, ge- nügsam und von je her an hohe Abgaben und blinden Gehorsam ge- wöhnt, änderte zunächst nur seinen Herrn und befand sich im ganzen unter den neuen Verhältnissen bald glücklicher als früher. Die Daimio hatten sich bei Abtretung ihrer Besitzthümer den Fortbezug eines Zehntels aus den Revenüen derselben ausbedungen und behielten damit genug, um mit Würde leben zu können, ja waren besser ge- stellt als früher, wo sie für den Unterhalt ihrer Samurai und Yashikis, für Aufzüge, Geschenke etc. zu sorgen hatten. Die Einkünfte der Kuge waren bedeutend erhöht worden. Ganz anders gestaltete sich die neue Lage der Samurai. Auch ihr erbliches Einkommen wurde auf 10 Procent reduciert. Aber hier wurde diese Beschränkung bei den meisten, welche nicht als Beamte eintreten oder eine andere lohnende Beschäftigung finden konnten, aufs bitterste empfunden. Manche beschränkten sich, um nicht Hungers zu sterben, auf ein Nebengebäude ihres früheren Yashiki und suchten durch Niederreissung des übrigen Land zum Thee-, Maulbeer- oder Reisbau zu gewinnen. Andere würden gern den Spaten ergriffen haben, wenn sich ihnen nur cultivierbares Land geboten hätte, ja selbst die vordem ver- achtete Rechenmaschine (soro-ban, den abacus) des Kaufmannes, wenn sie nur die nöthige Summe zum Anfang und das Verständniss zum Fortbetrieb eines Geschäftes gehabt hätten. Hier war Schonung und billige Rücksicht am meisten geboten, aber die Regierung er- mangelte dieser Eigenschaften vielfach. Man verlangte Abschaffung der absoluten Gewalt, welche das Ministerium übte, und Einführung einer Constitution unter Mitwirkung des Volkes, wie es der Mikado beim Ausbruch des Krieges zu Kiôto feierlich versprochen hatte. Die Regierung glaubte jedoch, das Volk sei zu einer solchen Theilnahme noch nicht reif und wies die Memoranda, welche zu verschiedenen Zeiten einflussreiche Samurai über diesen Punkt einreichten, als un- praktisch ab.
Mit den Pensionen für Adel und Samurai hatte das Land eine grosse Last übernommen, die bald schwer empfunden wurde. Die- selben verschlangen beinahe die Hälfte aller Staatseinnahmen und waren, da diese letzteren vornehmlich in Grundsteuern bestanden, besonders dem Landmann drückend; denn auch das Bestreben, dem Lande die Vortheile der abendländischen Civilisation zuzuwenden, kostete viel Geld, so löblich es an und für sich auch war. Die Auf-
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7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
5. Hei-min, d. h. gemeines Volk in seinen drei Unterabtheilungen
der Bauern, Handwerker und Kaufleute.
Der Wechsel berührte die drei grossen Gesellschaftsklassen in
sehr verschiedener Weise. Das gemeine Volk, friedlich, fleissig, ge-
nügsam und von je her an hohe Abgaben und blinden Gehorsam ge-
wöhnt, änderte zunächst nur seinen Herrn und befand sich im ganzen
unter den neuen Verhältnissen bald glücklicher als früher. Die
Daimio hatten sich bei Abtretung ihrer Besitzthümer den Fortbezug
eines Zehntels aus den Revenüen derselben ausbedungen und behielten
damit genug, um mit Würde leben zu können, ja waren besser ge-
stellt als früher, wo sie für den Unterhalt ihrer Samurai und Yashikis,
für Aufzüge, Geschenke etc. zu sorgen hatten. Die Einkünfte der
Kuge waren bedeutend erhöht worden. Ganz anders gestaltete sich
die neue Lage der Samurai. Auch ihr erbliches Einkommen wurde
auf 10 Procent reduciert. Aber hier wurde diese Beschränkung bei
den meisten, welche nicht als Beamte eintreten oder eine andere
lohnende Beschäftigung finden konnten, aufs bitterste empfunden.
Manche beschränkten sich, um nicht Hungers zu sterben, auf ein
Nebengebäude ihres früheren Yashiki und suchten durch Niederreissung
des übrigen Land zum Thee-, Maulbeer- oder Reisbau zu gewinnen.
Andere würden gern den Spaten ergriffen haben, wenn sich ihnen
nur cultivierbares Land geboten hätte, ja selbst die vordem ver-
achtete Rechenmaschine (soro-ban, den abacus) des Kaufmannes,
wenn sie nur die nöthige Summe zum Anfang und das Verständniss
zum Fortbetrieb eines Geschäftes gehabt hätten. Hier war Schonung
und billige Rücksicht am meisten geboten, aber die Regierung er-
mangelte dieser Eigenschaften vielfach. Man verlangte Abschaffung
der absoluten Gewalt, welche das Ministerium übte, und Einführung
einer Constitution unter Mitwirkung des Volkes, wie es der Mikado
beim Ausbruch des Krieges zu Kiôto feierlich versprochen hatte. Die
Regierung glaubte jedoch, das Volk sei zu einer solchen Theilnahme
noch nicht reif und wies die Memoranda, welche zu verschiedenen
Zeiten einflussreiche Samurai über diesen Punkt einreichten, als un-
praktisch ab.
Mit den Pensionen für Adel und Samurai hatte das Land eine
grosse Last übernommen, die bald schwer empfunden wurde. Die-
selben verschlangen beinahe die Hälfte aller Staatseinnahmen und
waren, da diese letzteren vornehmlich in Grundsteuern bestanden,
besonders dem Landmann drückend; denn auch das Bestreben, dem
Lande die Vortheile der abendländischen Civilisation zuzuwenden,
kostete viel Geld, so löblich es an und für sich auch war. Die Auf-
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/449>, abgerufen am 25.11.2024.
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