Unter allen Privilegien, welche der Samurai dem gemeinen Manne gegenüber genoss, schätzte er keines höher als das Recht, ja die Pflicht, Schwerter zu tragen. Aussprüche des Iyeyasu, wie "die Um- gürtung des Schwertes verleiht dem Samurai kriegerischen Muth" und "das Schwert ist die Seele des Samurai" waren der innersten Empfindung des Standes entnommen und konnten darum das lebhafte Ehrgefühl nur noch weiter anspornen, so dass dieser ritterlichsten und bei allen Völkern geachtetsten Waffe in Japan eine ganz be- sondere Aufmerksamkeit zugewandt wurde. Tüchtige Schwertfeger waren die angesehensten Handwerker und stiegen oft empor zu hohem Rang. Ihre Namen wurden so berühmt, wie manche Schwer- ter, welche sie hervorragenden Helden geschmiedet hatten und die man noch jetzt wie kostbare Reliquien in Tempeln aufbewahrt und zeigt. Die älteren japanischen Schwerter hiesen ken, waren gerade, nahezu 1 Meter lang, 6--7 cm breit und beiderseits scharf. Man trug sie über dem Rücken und schwang sie mit beiden Armen. In- dem man später das ken der Länge nach halbierte und etwas ver- kürzte, schuf man eine andere Waffe, das katana oder gewöhn- liche Schwert der Japaner mit einer Schneide, welche gegen das Ende schwach gebogen ist und dessen Griff oft reich verziert wurde. Dieses trugen die Samurai entweder allein oder zusammen mit einem zweiten, dolchähnlichen, senkrecht oder schräg geneigt an der linken Seite. Die kleinere Waffe hiess wakizashi, ihre Klinge war in späterer Zeit auf 91/2 Zoll (27 cm) verkürzt worden. Es war die Waffe, womit man das Harakiri (Bauchaufschlitzen) vornahm *).
Der Samurai ging nicht aus ohne sein Schwert, und selbst der Knabe, welcher die Schule besuchte, hatte es umgegürtet, wie ich dies noch 1875 in Satsuma beobachten konnte.
Im Wohnraume durften weder im amtlichen, noch gesellschaft- lichen Verkehr die Schwerter getragen werden. Wie bei uns beim Eintritt Vorrichtungen zur Aufnahme von Ueberrock, Stock und Schirm, so gab es in jedem Samuraihause Schwertrepositorien. Es galt als besondere Vergünstigung und Zeichen des höchsten Vertrauens, als der Mikado dem Iyeyasu erlaubte, vor ihm mit dem Schwerte er- scheinen zu dürfen. Wenn Jemand das Schwert aus der Scheide ziehen wollte, musste er seine Umgebung um Erlaubniss bitten. Das
*) Hierauf bezieht sich die Anspielung in einem populären Liede zur Zeit der japanischen Revolution (1868): "Die Gabe, welche ich dem Herrn von Aidzu (damals bei den Gegnern des Shogunats die verhassteste Persönlichkeit) reichen möchte, sind 91/2 Zoll auf einem Taburet", also einen Dolch zum Bauchauf- schneiden.
I. Geschichte des japanischen Volkes.
Unter allen Privilegien, welche der Samurai dem gemeinen Manne gegenüber genoss, schätzte er keines höher als das Recht, ja die Pflicht, Schwerter zu tragen. Aussprüche des Iyeyasu, wie »die Um- gürtung des Schwertes verleiht dem Samurai kriegerischen Muth« und »das Schwert ist die Seele des Samurai« waren der innersten Empfindung des Standes entnommen und konnten darum das lebhafte Ehrgefühl nur noch weiter anspornen, so dass dieser ritterlichsten und bei allen Völkern geachtetsten Waffe in Japan eine ganz be- sondere Aufmerksamkeit zugewandt wurde. Tüchtige Schwertfeger waren die angesehensten Handwerker und stiegen oft empor zu hohem Rang. Ihre Namen wurden so berühmt, wie manche Schwer- ter, welche sie hervorragenden Helden geschmiedet hatten und die man noch jetzt wie kostbare Reliquien in Tempeln aufbewahrt und zeigt. Die älteren japanischen Schwerter hiesen ken, waren gerade, nahezu 1 Meter lang, 6—7 cm breit und beiderseits scharf. Man trug sie über dem Rücken und schwang sie mit beiden Armen. In- dem man später das ken der Länge nach halbierte und etwas ver- kürzte, schuf man eine andere Waffe, das katana oder gewöhn- liche Schwert der Japaner mit einer Schneide, welche gegen das Ende schwach gebogen ist und dessen Griff oft reich verziert wurde. Dieses trugen die Samurai entweder allein oder zusammen mit einem zweiten, dolchähnlichen, senkrecht oder schräg geneigt an der linken Seite. Die kleinere Waffe hiess wakizashi, ihre Klinge war in späterer Zeit auf 9½ Zoll (27 cm) verkürzt worden. Es war die Waffe, womit man das Harakiri (Bauchaufschlitzen) vornahm *).
Der Samurai ging nicht aus ohne sein Schwert, und selbst der Knabe, welcher die Schule besuchte, hatte es umgegürtet, wie ich dies noch 1875 in Satsuma beobachten konnte.
Im Wohnraume durften weder im amtlichen, noch gesellschaft- lichen Verkehr die Schwerter getragen werden. Wie bei uns beim Eintritt Vorrichtungen zur Aufnahme von Ueberrock, Stock und Schirm, so gab es in jedem Samuraihause Schwertrepositorien. Es galt als besondere Vergünstigung und Zeichen des höchsten Vertrauens, als der Mikado dem Iyeyasu erlaubte, vor ihm mit dem Schwerte er- scheinen zu dürfen. Wenn Jemand das Schwert aus der Scheide ziehen wollte, musste er seine Umgebung um Erlaubniss bitten. Das
*) Hierauf bezieht sich die Anspielung in einem populären Liede zur Zeit der japanischen Revolution (1868): »Die Gabe, welche ich dem Herrn von Aidzu (damals bei den Gegnern des Shôgunats die verhassteste Persönlichkeit) reichen möchte, sind 9½ Zoll auf einem Taburet«, also einen Dolch zum Bauchauf- schneiden.
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I. Geschichte des japanischen Volkes.
Unter allen Privilegien, welche der Samurai dem gemeinen Manne
gegenüber genoss, schätzte er keines höher als das Recht, ja die
Pflicht, Schwerter zu tragen. Aussprüche des Iyeyasu, wie »die Um-
gürtung des Schwertes verleiht dem Samurai kriegerischen Muth«
und »das Schwert ist die Seele des Samurai« waren der innersten
Empfindung des Standes entnommen und konnten darum das lebhafte
Ehrgefühl nur noch weiter anspornen, so dass dieser ritterlichsten
und bei allen Völkern geachtetsten Waffe in Japan eine ganz be-
sondere Aufmerksamkeit zugewandt wurde. Tüchtige Schwertfeger
waren die angesehensten Handwerker und stiegen oft empor zu
hohem Rang. Ihre Namen wurden so berühmt, wie manche Schwer-
ter, welche sie hervorragenden Helden geschmiedet hatten und die
man noch jetzt wie kostbare Reliquien in Tempeln aufbewahrt und
zeigt. Die älteren japanischen Schwerter hiesen ken, waren gerade,
nahezu 1 Meter lang, 6—7 cm breit und beiderseits scharf. Man
trug sie über dem Rücken und schwang sie mit beiden Armen. In-
dem man später das ken der Länge nach halbierte und etwas ver-
kürzte, schuf man eine andere Waffe, das katana oder gewöhn-
liche Schwert der Japaner mit einer Schneide, welche gegen das
Ende schwach gebogen ist und dessen Griff oft reich verziert wurde.
Dieses trugen die Samurai entweder allein oder zusammen mit einem
zweiten, dolchähnlichen, senkrecht oder schräg geneigt an der linken
Seite. Die kleinere Waffe hiess wakizashi, ihre Klinge war in
späterer Zeit auf 9½ Zoll (27 cm) verkürzt worden. Es war die
Waffe, womit man das Harakiri (Bauchaufschlitzen) vornahm *).
Der Samurai ging nicht aus ohne sein Schwert, und selbst der
Knabe, welcher die Schule besuchte, hatte es umgegürtet, wie ich
dies noch 1875 in Satsuma beobachten konnte.
Im Wohnraume durften weder im amtlichen, noch gesellschaft-
lichen Verkehr die Schwerter getragen werden. Wie bei uns beim
Eintritt Vorrichtungen zur Aufnahme von Ueberrock, Stock und Schirm,
so gab es in jedem Samuraihause Schwertrepositorien. Es galt als
besondere Vergünstigung und Zeichen des höchsten Vertrauens, als
der Mikado dem Iyeyasu erlaubte, vor ihm mit dem Schwerte er-
scheinen zu dürfen. Wenn Jemand das Schwert aus der Scheide
ziehen wollte, musste er seine Umgebung um Erlaubniss bitten. Das
*) Hierauf bezieht sich die Anspielung in einem populären Liede zur Zeit
der japanischen Revolution (1868): »Die Gabe, welche ich dem Herrn von Aidzu
(damals bei den Gegnern des Shôgunats die verhassteste Persönlichkeit) reichen
möchte, sind 9½ Zoll auf einem Taburet«, also einen Dolch zum Bauchauf-
schneiden.
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/406>, abgerufen am 25.11.2024.
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