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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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I. Geschichte des japanischen Volkes.
empfangenes Unrecht. In dem Maasse, in welchem die Regierungen
in alten Zeiten zu schwach waren, die Unterthanen zu schützen,
reservierten sich diese, insbesondere die Militärclasse, das Recht der
Selbsthülfe, der Privatrache, wovon die sogenannte Lynchjustiz Ame-
rikas ein Zweig ist. So gestattete denn auch Iyeyasu, geleitet von
den Anschauungen des Confucius und der auf ihre Ehre eifersüchtigen
Kriegerclasse, dass derjenige, dessen Vater oder Feudalherr Gewalt
erduldete, in einer vorgeschriebenen Zeit sich rächen durfte, wenn
er von der Absicht, dies zu thun, die nöthige Anzeige machte. Es
galt also, wie bei den meisten alten Völkern, auch bei den Japanern
das Auge um Auge und Zahn um Zahn.

Die Classenunterschiede, wie sie sich mit dem Feudalismus all-
mählich herausgebildet hatten, prägen sich im Testament des Gongen-
sama scharf aus und erhalten eine ganz besondere Berücksichtigung.
Die Japaner zerfielen damals in drei scharf getrennte Gruppen, näm-
lich in das Mikadohaus mit dem Hofadel (Kuge) in Kioto, in den
Wehrstand oder die Samurai und in den Nährstand oder das Volk
(Heimin).

Der Mikado *). Recht und Autorität des Mikado waren und
sind in dem Glauben an seine göttliche Abstammung begründet. Durch
alle Wechsel der Zeiten, über factische Machtlosigkeit des Trägers
der Würde, Unfähigkeit und selbst Gemeinheit des Charakters hinweg
half und erhielt sich diese Doctrin vom Himmelssohne (Tenshi). Ehren,
die er verlieh, galten jederzeit für die höchste Auszeichnung, welche
einem Unterthan, den allgewaltigen Shogun nicht ausgeschlossen, zu
Theil werden konnte. Nicht nur die absolute Macht des Mikado
war eine Consequenz seiner göttlichen Abstammung, sondern auch
das abgeschiedene, klosterähnliche Leben desselben, zu dem er von
der Zeit an, wo der Dualismus im Staate sich entwickelte, mehr und
mehr gedrängt wurde, denn die geheiligte Person desselben durfte
nicht in allzunahe Berührung mit der gewöhnlichen Menschheit ge-
bracht werden. Diese Consequenz hat Niemand schärfer gezogen und
mehr zu seinem Vortheil auszubeuten gewusst als Iyeyasu. Er verfuhr
dabei suaviter in modo und fortiter in re. Mit dem Scheine grösster

*) Mikado = erhabenes Thor, siehe pag. 245. Andere Bezeichnungen des
japanischen Kaisers sind Tenno = Himmelskönig, Tenshi = Himmelssohn, Kotei
= der Weg, Dairi oder O-uchi = Grosses Innere, Go-sho = erhabener Platz, Kinri
= der verbotene Grund, Palast, Kinri-sama = Herr des Palastes. Indem ich es
hier versuche, das Wichtigste über die Stellung des Mikado hervorzuheben, will
ich nicht unterlassen, zu erwähnen, dass eine uns abgehende, volle Vertiefung
in die Denkweise des japanischen Volkes dazu gehört, sie völlig zu begreifen.

I. Geschichte des japanischen Volkes.
empfangenes Unrecht. In dem Maasse, in welchem die Regierungen
in alten Zeiten zu schwach waren, die Unterthanen zu schützen,
reservierten sich diese, insbesondere die Militärclasse, das Recht der
Selbsthülfe, der Privatrache, wovon die sogenannte Lynchjustiz Ame-
rikas ein Zweig ist. So gestattete denn auch Iyeyasu, geleitet von
den Anschauungen des Confucius und der auf ihre Ehre eifersüchtigen
Kriegerclasse, dass derjenige, dessen Vater oder Feudalherr Gewalt
erduldete, in einer vorgeschriebenen Zeit sich rächen durfte, wenn
er von der Absicht, dies zu thun, die nöthige Anzeige machte. Es
galt also, wie bei den meisten alten Völkern, auch bei den Japanern
das Auge um Auge und Zahn um Zahn.

Die Classenunterschiede, wie sie sich mit dem Feudalismus all-
mählich herausgebildet hatten, prägen sich im Testament des Gongen-
sama scharf aus und erhalten eine ganz besondere Berücksichtigung.
Die Japaner zerfielen damals in drei scharf getrennte Gruppen, näm-
lich in das Mikadohaus mit dem Hofadel (Kuge) in Kiôto, in den
Wehrstand oder die Samurai und in den Nährstand oder das Volk
(Heimin).

Der Mikado *). Recht und Autorität des Mikado waren und
sind in dem Glauben an seine göttliche Abstammung begründet. Durch
alle Wechsel der Zeiten, über factische Machtlosigkeit des Trägers
der Würde, Unfähigkeit und selbst Gemeinheit des Charakters hinweg
half und erhielt sich diese Doctrin vom Himmelssohne (Tenshi). Ehren,
die er verlieh, galten jederzeit für die höchste Auszeichnung, welche
einem Unterthan, den allgewaltigen Shôgun nicht ausgeschlossen, zu
Theil werden konnte. Nicht nur die absolute Macht des Mikado
war eine Consequenz seiner göttlichen Abstammung, sondern auch
das abgeschiedene, klosterähnliche Leben desselben, zu dem er von
der Zeit an, wo der Dualismus im Staate sich entwickelte, mehr und
mehr gedrängt wurde, denn die geheiligte Person desselben durfte
nicht in allzunahe Berührung mit der gewöhnlichen Menschheit ge-
bracht werden. Diese Consequenz hat Niemand schärfer gezogen und
mehr zu seinem Vortheil auszubeuten gewusst als Iyeyasu. Er verfuhr
dabei suaviter in modo und fortiter in re. Mit dem Scheine grösster

*) Mikado = erhabenes Thor, siehe pag. 245. Andere Bezeichnungen des
japanischen Kaisers sind Tennô = Himmelskönig, Tenshi = Himmelssohn, Kôtei
= der Weg, Dairi oder Ô-uchi = Grosses Innere, Go-sho = erhabener Platz, Kinri
= der verbotene Grund, Palast, Kinri-sama = Herr des Palastes. Indem ich es
hier versuche, das Wichtigste über die Stellung des Mikado hervorzuheben, will
ich nicht unterlassen, zu erwähnen, dass eine uns abgehende, volle Vertiefung
in die Denkweise des japanischen Volkes dazu gehört, sie völlig zu begreifen.
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[364/0390] I. Geschichte des japanischen Volkes. empfangenes Unrecht. In dem Maasse, in welchem die Regierungen in alten Zeiten zu schwach waren, die Unterthanen zu schützen, reservierten sich diese, insbesondere die Militärclasse, das Recht der Selbsthülfe, der Privatrache, wovon die sogenannte Lynchjustiz Ame- rikas ein Zweig ist. So gestattete denn auch Iyeyasu, geleitet von den Anschauungen des Confucius und der auf ihre Ehre eifersüchtigen Kriegerclasse, dass derjenige, dessen Vater oder Feudalherr Gewalt erduldete, in einer vorgeschriebenen Zeit sich rächen durfte, wenn er von der Absicht, dies zu thun, die nöthige Anzeige machte. Es galt also, wie bei den meisten alten Völkern, auch bei den Japanern das Auge um Auge und Zahn um Zahn. Die Classenunterschiede, wie sie sich mit dem Feudalismus all- mählich herausgebildet hatten, prägen sich im Testament des Gongen- sama scharf aus und erhalten eine ganz besondere Berücksichtigung. Die Japaner zerfielen damals in drei scharf getrennte Gruppen, näm- lich in das Mikadohaus mit dem Hofadel (Kuge) in Kiôto, in den Wehrstand oder die Samurai und in den Nährstand oder das Volk (Heimin). Der Mikado *). Recht und Autorität des Mikado waren und sind in dem Glauben an seine göttliche Abstammung begründet. Durch alle Wechsel der Zeiten, über factische Machtlosigkeit des Trägers der Würde, Unfähigkeit und selbst Gemeinheit des Charakters hinweg half und erhielt sich diese Doctrin vom Himmelssohne (Tenshi). Ehren, die er verlieh, galten jederzeit für die höchste Auszeichnung, welche einem Unterthan, den allgewaltigen Shôgun nicht ausgeschlossen, zu Theil werden konnte. Nicht nur die absolute Macht des Mikado war eine Consequenz seiner göttlichen Abstammung, sondern auch das abgeschiedene, klosterähnliche Leben desselben, zu dem er von der Zeit an, wo der Dualismus im Staate sich entwickelte, mehr und mehr gedrängt wurde, denn die geheiligte Person desselben durfte nicht in allzunahe Berührung mit der gewöhnlichen Menschheit ge- bracht werden. Diese Consequenz hat Niemand schärfer gezogen und mehr zu seinem Vortheil auszubeuten gewusst als Iyeyasu. Er verfuhr dabei suaviter in modo und fortiter in re. Mit dem Scheine grösster *) Mikado = erhabenes Thor, siehe pag. 245. Andere Bezeichnungen des japanischen Kaisers sind Tennô = Himmelskönig, Tenshi = Himmelssohn, Kôtei = der Weg, Dairi oder Ô-uchi = Grosses Innere, Go-sho = erhabener Platz, Kinri = der verbotene Grund, Palast, Kinri-sama = Herr des Palastes. Indem ich es hier versuche, das Wichtigste über die Stellung des Mikado hervorzuheben, will ich nicht unterlassen, zu erwähnen, dass eine uns abgehende, volle Vertiefung in die Denkweise des japanischen Volkes dazu gehört, sie völlig zu begreifen.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/390>, abgerufen am 25.11.2024.