Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reimarus, Johann Albert Heinrich: Die Ursache des Einschlagens vom Blitze. Langensalza, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Jahrhunderte auf einen geringscheinenden Zu-
fall geachtet, und ein Huygens seine daraus
gezogene Entdeckung weiter genutzet hätte? Es
ward nämlich Messe gehalten, als eben ein hef-
tiger Wind durch die Kirche strich, und die hän-
genden Kronleuchter in Bewegung setzte. Man
kann gerne glauben, daß dieser Wind für aller
übrigen heiligen Einfalt würde umsonst gewehet
haben, wenn nicht zum Glücke Galiläi der
Messe beygewohnet hätte, welcher seine Auf-
merksamkeit auf diese Eräugnung fallen ließ,
als er meinte wahrzunehmen, daß die Krohn-
leuchter ihre Schwingungen in verschiedener
Geschwindigkeit vollendeten, nachdem sie an
längern oder kürzern Ketten hingen. So bald
er zu Hause kam, versuchte er einige Kugeln an
Fäden von ungleicher Länge in seinem Zimmer
aufzuhängen, und dieselben in Bewegung zu se-
tzen, um die verschiedene Zeit der Schwingun-
gen zu beobachten, und ein gewisses Verhält-
niß und Regel davon auszufinden. Sollte
mancher Unverständige, der ihn in solcher Be-
schäftigung angetroffen hätte, nicht gedacht ha-
ben: Wie? tändelt der Mann? Will er sich
mit einem kindischen Spielwerke die müßige Zeit
vertreiben? Nein: sein aufgeklärter Geist
sahe, daß in dieser zufälligen Erscheinung eine
grosse Wahrheit verborgen läge: er spürete
ihr nach, und entdeckte durch seine Versuche die
Grundregeln der schwingenden Bewegung.
Diese sind es, welche hernach dem vortreflichen
Huygens vor 112 Jahren den Weg gewiesen,

auf
H 2

Jahrhunderte auf einen geringſcheinenden Zu-
fall geachtet, und ein Huygens ſeine daraus
gezogene Entdeckung weiter genutzet haͤtte? Es
ward naͤmlich Meſſe gehalten, als eben ein hef-
tiger Wind durch die Kirche ſtrich, und die haͤn-
genden Kronleuchter in Bewegung ſetzte. Man
kann gerne glauben, daß dieſer Wind fuͤr aller
uͤbrigen heiligen Einfalt wuͤrde umſonſt gewehet
haben, wenn nicht zum Gluͤcke Galilaͤi der
Meſſe beygewohnet haͤtte, welcher ſeine Auf-
merkſamkeit auf dieſe Eraͤugnung fallen ließ,
als er meinte wahrzunehmen, daß die Krohn-
leuchter ihre Schwingungen in verſchiedener
Geſchwindigkeit vollendeten, nachdem ſie an
laͤngern oder kuͤrzern Ketten hingen. So bald
er zu Hauſe kam, verſuchte er einige Kugeln an
Faͤden von ungleicher Laͤnge in ſeinem Zimmer
aufzuhaͤngen, und dieſelben in Bewegung zu ſe-
tzen, um die verſchiedene Zeit der Schwingun-
gen zu beobachten, und ein gewiſſes Verhaͤlt-
niß und Regel davon auszufinden. Sollte
mancher Unverſtaͤndige, der ihn in ſolcher Be-
ſchaͤftigung angetroffen haͤtte, nicht gedacht ha-
ben: Wie? taͤndelt der Mann? Will er ſich
mit einem kindiſchen Spielwerke die muͤßige Zeit
vertreiben? Nein: ſein aufgeklaͤrter Geiſt
ſahe, daß in dieſer zufaͤlligen Erſcheinung eine
groſſe Wahrheit verborgen laͤge: er ſpuͤrete
ihr nach, und entdeckte durch ſeine Verſuche die
Grundregeln der ſchwingenden Bewegung.
Dieſe ſind es, welche hernach dem vortreflichen
Huygens vor 112 Jahren den Weg gewieſen,

auf
H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0115" n="115"/>
Jahrhunderte auf einen gering&#x017F;cheinenden Zu-<lb/>
fall geachtet, und ein <hi rendition="#fr">Huygens</hi> &#x017F;eine daraus<lb/>
gezogene Entdeckung weiter genutzet ha&#x0364;tte? Es<lb/>
ward na&#x0364;mlich Me&#x017F;&#x017F;e gehalten, als eben ein hef-<lb/>
tiger Wind durch die Kirche &#x017F;trich, und die ha&#x0364;n-<lb/>
genden Kronleuchter in Bewegung &#x017F;etzte. Man<lb/>
kann gerne glauben, daß die&#x017F;er Wind fu&#x0364;r aller<lb/>
u&#x0364;brigen heiligen Einfalt wu&#x0364;rde um&#x017F;on&#x017F;t gewehet<lb/>
haben, wenn nicht zum Glu&#x0364;cke Galila&#x0364;i der<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;e beygewohnet ha&#x0364;tte, welcher &#x017F;eine Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit auf die&#x017F;e Era&#x0364;ugnung fallen ließ,<lb/>
als er meinte wahrzunehmen, daß die Krohn-<lb/>
leuchter ihre Schwingungen in ver&#x017F;chiedener<lb/>
Ge&#x017F;chwindigkeit vollendeten, nachdem &#x017F;ie an<lb/>
la&#x0364;ngern oder ku&#x0364;rzern Ketten hingen. So bald<lb/>
er zu Hau&#x017F;e kam, ver&#x017F;uchte er einige Kugeln an<lb/>
Fa&#x0364;den von ungleicher La&#x0364;nge in &#x017F;einem Zimmer<lb/>
aufzuha&#x0364;ngen, und die&#x017F;elben in Bewegung zu &#x017F;e-<lb/>
tzen, um die ver&#x017F;chiedene Zeit der Schwingun-<lb/>
gen zu beobachten, und ein gewi&#x017F;&#x017F;es Verha&#x0364;lt-<lb/>
niß und Regel davon auszufinden. Sollte<lb/>
mancher Unver&#x017F;ta&#x0364;ndige, der ihn in &#x017F;olcher Be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigung angetroffen ha&#x0364;tte, nicht gedacht ha-<lb/>
ben: Wie? ta&#x0364;ndelt der Mann? Will er &#x017F;ich<lb/>
mit einem kindi&#x017F;chen Spielwerke die mu&#x0364;ßige Zeit<lb/>
vertreiben? Nein: &#x017F;ein aufgekla&#x0364;rter Gei&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ahe, daß in die&#x017F;er zufa&#x0364;lligen Er&#x017F;cheinung eine<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Wahrheit verborgen la&#x0364;ge: er &#x017F;pu&#x0364;rete<lb/>
ihr nach, und entdeckte durch &#x017F;eine Ver&#x017F;uche die<lb/><choice><corr>Grundregeln</corr><sic>Gruudregeln</sic></choice> der &#x017F;chwingenden Bewegung.<lb/>
Die&#x017F;e &#x017F;ind es, welche hernach dem vortreflichen<lb/>
Huygens vor 112 Jahren den Weg gewie&#x017F;en,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 2</fw><fw place="bottom" type="catch">auf</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0115] Jahrhunderte auf einen geringſcheinenden Zu- fall geachtet, und ein Huygens ſeine daraus gezogene Entdeckung weiter genutzet haͤtte? Es ward naͤmlich Meſſe gehalten, als eben ein hef- tiger Wind durch die Kirche ſtrich, und die haͤn- genden Kronleuchter in Bewegung ſetzte. Man kann gerne glauben, daß dieſer Wind fuͤr aller uͤbrigen heiligen Einfalt wuͤrde umſonſt gewehet haben, wenn nicht zum Gluͤcke Galilaͤi der Meſſe beygewohnet haͤtte, welcher ſeine Auf- merkſamkeit auf dieſe Eraͤugnung fallen ließ, als er meinte wahrzunehmen, daß die Krohn- leuchter ihre Schwingungen in verſchiedener Geſchwindigkeit vollendeten, nachdem ſie an laͤngern oder kuͤrzern Ketten hingen. So bald er zu Hauſe kam, verſuchte er einige Kugeln an Faͤden von ungleicher Laͤnge in ſeinem Zimmer aufzuhaͤngen, und dieſelben in Bewegung zu ſe- tzen, um die verſchiedene Zeit der Schwingun- gen zu beobachten, und ein gewiſſes Verhaͤlt- niß und Regel davon auszufinden. Sollte mancher Unverſtaͤndige, der ihn in ſolcher Be- ſchaͤftigung angetroffen haͤtte, nicht gedacht ha- ben: Wie? taͤndelt der Mann? Will er ſich mit einem kindiſchen Spielwerke die muͤßige Zeit vertreiben? Nein: ſein aufgeklaͤrter Geiſt ſahe, daß in dieſer zufaͤlligen Erſcheinung eine groſſe Wahrheit verborgen laͤge: er ſpuͤrete ihr nach, und entdeckte durch ſeine Verſuche die Grundregeln der ſchwingenden Bewegung. Dieſe ſind es, welche hernach dem vortreflichen Huygens vor 112 Jahren den Weg gewieſen, auf H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die vorliegende Ausgabe ist die zweiten Auflage, … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reimarus_blitze_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reimarus_blitze_1769/115
Zitationshilfe: Reimarus, Johann Albert Heinrich: Die Ursache des Einschlagens vom Blitze. Langensalza, 1769, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reimarus_blitze_1769/115>, abgerufen am 24.11.2024.