bey seinem noch schwachen Appetit, zum Essen, weil er glaubte, für zwey Personen essen zu müssen, nemlich für den, der im Bette läge und für den, der oben herumginge. Dieser Wahn verlohr sich allmälig als sein Körper mehr Stärke bekam *). Ich sah einen Ruhrkranken, dem das Gemeingefühl seinen Körper, in seine Bestandtheile aufgelöst, wie er in den Cabinet- tern der Anatomen aufbewahrt wird, vorlegte. Er sah sein Gehirn, seine Nerven, Sinne, Einge- weide, als in bunter Verwirrung um sich zerstreut liegen. In der Mitte war er, reflektirte über jeden Theil, vorzüglich über den Darmkanal, als die Quelle seiner Schmerzen. Ein ähnliches Beispiel wird beim Mauchart**) erzählt. Ein Arzt litt an Engbrüstigkeit, hatte sich am Kreutz durchgele- gen, einen brandigen Schaden am Fuss und phan- tasierte dabey. Seine keichende Brust nannte er das alte Weib, das heilige Bein den Unter- officier und den in Bandagen gewickelten Fuss das kleine Kind. Nie verwechselte er die Personen in dieser Dreieinigkeit. Als ihm einst sein Kreutz schmerzte, befahl er, man solle dem Unterofficier nach dem Gesässe sehn. End- lich bildete sich noch ein Febricitant ein, dass er nicht für sich, sondern für einen andern zu
Stuhle
*)Mauchart l. c. 2. B. 121 S.
**) l. c. 3. B. 74 S.
bey ſeinem noch ſchwachen Appetit, zum Eſſen, weil er glaubte, für zwey Perſonen eſſen zu müſſen, nemlich für den, der im Bette läge und für den, der oben herumginge. Dieſer Wahn verlohr ſich allmälig als ſein Körper mehr Stärke bekam *). Ich ſah einen Ruhrkranken, dem das Gemeingefühl ſeinen Körper, in ſeine Beſtandtheile aufgelöſt, wie er in den Cabinet- tern der Anatomen aufbewahrt wird, vorlegte. Er ſah ſein Gehirn, ſeine Nerven, Sinne, Einge- weide, als in bunter Verwirrung um ſich zerſtreut liegen. In der Mitte war er, reflektirte über jeden Theil, vorzüglich über den Darmkanal, als die Quelle ſeiner Schmerzen. Ein ähnliches Beiſpiel wird beim Mauchart**) erzählt. Ein Arzt litt an Engbrüſtigkeit, hatte ſich am Kreutz durchgele- gen, einen brandigen Schaden am Fuſs und phan- taſierte dabey. Seine keichende Bruſt nannte er das alte Weib, das heilige Bein den Unter- officier und den in Bandagen gewickelten Fuſs das kleine Kind. Nie verwechſelte er die Perſonen in dieſer Dreieinigkeit. Als ihm einſt ſein Kreutz ſchmerzte, befahl er, man ſolle dem Unterofficier nach dem Geſäſse ſehn. End- lich bildete ſich noch ein Febricitant ein, daſs er nicht für ſich, ſondern für einen andern zu
Stuhle
*)Mauchart l. c. 2. B. 121 S.
**) l. c. 3. B. 74 S.
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bey ſeinem noch ſchwachen Appetit, zum Eſſen,
weil er glaubte, für zwey Perſonen eſſen zu
müſſen, nemlich für den, der im Bette läge und
für den, der oben herumginge. Dieſer Wahn
verlohr ſich allmälig als ſein Körper mehr
Stärke bekam *). Ich ſah einen Ruhrkranken,
dem das Gemeingefühl ſeinen Körper, in ſeine
Beſtandtheile aufgelöſt, wie er in den Cabinet-
tern der Anatomen aufbewahrt wird, vorlegte.
Er ſah ſein Gehirn, ſeine Nerven, Sinne, Einge-
weide, als in bunter Verwirrung um ſich zerſtreut
liegen. In der Mitte war er, reflektirte über jeden
Theil, vorzüglich über den Darmkanal, als die
Quelle ſeiner Schmerzen. Ein ähnliches Beiſpiel
wird beim Mauchart **) erzählt. Ein Arzt litt an
Engbrüſtigkeit, hatte ſich am Kreutz durchgele-
gen, einen brandigen Schaden am Fuſs und phan-
taſierte dabey. Seine keichende Bruſt nannte er
das alte Weib, das heilige Bein den Unter-
officier und den in Bandagen gewickelten
Fuſs das kleine Kind. Nie verwechſelte
er die Perſonen in dieſer Dreieinigkeit. Als ihm
einſt ſein Kreutz ſchmerzte, befahl er, man ſolle
dem Unterofficier nach dem Geſäſse ſehn. End-
lich bildete ſich noch ein Febricitant ein, daſs er
nicht für ſich, ſondern für einen andern zu
Stuhle
*) Mauchart l. c. 2. B. 121 S.
**) l. c. 3. B. 74 S.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/85>, abgerufen am 25.11.2024.
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