scharf gezeichneten Physiognomie zu seyn. Starr sah er vor sich hin in den Fluss, seinen Kopf auf den rechten Arm gestützt. Es schien als beob- achtete er seinen Schatten, den der glatte Spiegel des Stroms im Wiederschein der Sonne zurück- warf. Sie scheinen in tiefes Nachdenken ver- senkt! so redete ein Vorübergehender ihn an. Ich weiss nicht, sagte er, mit langsam abgemessenem Tone, den Zeigefinger an die Nase haltend, bin ich das in dem Strome dort, oder das, indem er auf sich deutete, was hier in den Strom sieht? Was Sie dort sehn, antwortete ihm der Vorübergehende, scheinen Sie zu seyn: was hier sitzt, sind Sie. Nicht so? Scheinen Sie zu seyn, fiel er ein: Ja wohl, scheinen: Scheinen, das ists! Ich scheine mir zu seyn! Wer doch wüsste, ob, und was er wäre! Sind Sie nicht, fuhr der Vorübergehende fort, wenn ich fragen darf, Herr **? Sie nennen mich so: Ja es gab eine Zeit, wo ich war, wo ich ganz innig, so wahr, so lebendig mich fühlte. Ich war -- jetzt fuhr er auf -- der Geist der Welt, einmal der Verderbende. Ich ballte den Donner in meiner Faust, Kraft des Sturms ging vor mir her, mein Athem war Flamme und die Elemente rüttelte ich zusammen in wilder Zerstörung. Hier zogen sich seine Muskeln krampfhaft zusammen, seine Augen rollten fürchterlich. Dann, fuhr er mit anderer Stimme und andern Geberden fort, dann war ich der gute, der freundliche Geist, mein Leben Eine
ſcharf gezeichneten Phyſiognomie zu ſeyn. Starr ſah er vor ſich hin in den Fluſs, ſeinen Kopf auf den rechten Arm geſtützt. Es ſchien als beob- achtete er ſeinen Schatten, den der glatte Spiegel des Stroms im Wiederſchein der Sonne zurück- warf. Sie ſcheinen in tiefes Nachdenken ver- ſenkt! ſo redete ein Vorübergehender ihn an. Ich weiſs nicht, ſagte er, mit langſam abgemeſſenem Tone, den Zeigefinger an die Naſe haltend, bin ich das in dem Strome dort, oder das, indem er auf ſich deutete, was hier in den Strom ſieht? Was Sie dort ſehn, antwortete ihm der Vorübergehende, ſcheinen Sie zu ſeyn: was hier ſitzt, ſind Sie. Nicht ſo? Scheinen Sie zu ſeyn, fiel er ein: Ja wohl, ſcheinen: Scheinen, das iſts! Ich ſcheine mir zu ſeyn! Wer doch wüſste, ob, und was er wäre! Sind Sie nicht, fuhr der Vorübergehende fort, wenn ich fragen darf, Herr **? Sie nennen mich ſo: Ja es gab eine Zeit, wo ich war, wo ich ganz innig, ſo wahr, ſo lebendig mich fühlte. Ich war — jetzt fuhr er auf — der Geiſt der Welt, einmal der Verderbende. Ich ballte den Donner in meiner Fauſt, Kraft des Sturms ging vor mir her, mein Athem war Flamme und die Elemente rüttelte ich zuſammen in wilder Zerſtörung. Hier zogen ſich ſeine Muskeln krampfhaft zuſammen, ſeine Augen rollten fürchterlich. Dann, fuhr er mit anderer Stimme und andern Geberden fort, dann war ich der gute, der freundliche Geiſt, mein Leben Eine
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ſcharf gezeichneten Phyſiognomie zu ſeyn. Starr
ſah er vor ſich hin in den Fluſs, ſeinen Kopf auf
den rechten Arm geſtützt. Es ſchien als beob-
achtete er ſeinen Schatten, den der glatte Spiegel
des Stroms im Wiederſchein der Sonne zurück-
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Strom ſieht? Was Sie dort ſehn, antwortete
ihm der Vorübergehende, ſcheinen Sie zu ſeyn:
was hier ſitzt, ſind Sie. Nicht ſo? Scheinen Sie zu
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das iſts! Ich ſcheine mir zu ſeyn! Wer doch
wüſste, ob, und was er wäre! Sind Sie
nicht, fuhr der Vorübergehende fort, wenn ich
fragen darf, Herr **? Sie nennen mich ſo: Ja es
gab eine Zeit, wo ich war, wo ich ganz innig,
ſo wahr, ſo lebendig mich fühlte. Ich war — jetzt
fuhr er auf — der Geiſt der Welt, einmal der
Verderbende. Ich ballte den Donner in meiner
Fauſt, Kraft des Sturms ging vor mir her, mein
Athem war Flamme und die Elemente rüttelte ich
zuſammen in wilder Zerſtörung. Hier zogen ſich
ſeine Muskeln krampfhaft zuſammen, ſeine Augen
rollten fürchterlich. Dann, fuhr er mit anderer
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/78>, abgerufen am 25.11.2024.
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