Gesichts. Dennoch bringen starke Reize auf dasselbe ihn nicht zum Erwachen, sondern er entflieht oder schlägt um sich. Der Bediente des berühmten Nachtwandlers A. Forari rieth den Zuschauern der nächtlichen Actionen seines Herrn leise zu gehn und nicht zu reden, weil er wü- thend würde, wenn ein um ihn her entstandenes Geräusch sich in seine Träume mischte *). Die Ursache davon ist die, dass diese Reize dem Nachtwandler fremd sind, weil sie nicht in das Luftgebilde seiner Phantasie passen. Er hält sie für Ungeheuer, die er zu bekämpfen, oder denen er zu entfliehen sucht. Eben diese Kranken, die in gewissen Beziehungen ein so äusserst zartes Ge- fühl haben, sind gegen andere Reize so gefühllos, dass man ihnen, wie Monboddo**) beobach- tet hat, eine Nadel in den Arm stechen kann, ohne dass sie Schmerz äussern. Er folgert hier- aus, dass die Seelen der Nachtwandler zur Zeit des Anfalls auswanderten. Allein schwerlich möchten die Emigranten dann zurückkehren. Vielmehr scheint es, dass die aufgehobne Syn- thesis ihres Bewusstseyns in der genausten Paral- lele stehe mit der aufgehobnen Verknüpfung, die die Getriebe der Organisation im Gehirn haben.
*)Muratori über die Einbildungskraft des Men- schen, mit Zusätzen von Richerz, Leipzig 1785. 1ster Theil, S. 306.
**) Antient Metaphysics, London 1782. Mura- tori l. c. 1ster Theil, S. 353.
Geſichts. Dennoch bringen ſtarke Reize auf daſſelbe ihn nicht zum Erwachen, ſondern er entflieht oder ſchlägt um ſich. Der Bediente des berühmten Nachtwandlers A. Forari rieth den Zuſchauern der nächtlichen Actionen ſeines Herrn leiſe zu gehn und nicht zu reden, weil er wü- thend würde, wenn ein um ihn her entſtandenes Geräuſch ſich in ſeine Träume miſchte *). Die Urſache davon iſt die, daſs dieſe Reize dem Nachtwandler fremd ſind, weil ſie nicht in das Luftgebilde ſeiner Phantaſie paſſen. Er hält ſie für Ungeheuer, die er zu bekämpfen, oder denen er zu entfliehen ſucht. Eben dieſe Kranken, die in gewiſſen Beziehungen ein ſo äuſserſt zartes Ge- fühl haben, ſind gegen andere Reize ſo gefühllos, daſs man ihnen, wie Monboddo**) beobach- tet hat, eine Nadel in den Arm ſtechen kann, ohne daſs ſie Schmerz äuſsern. Er folgert hier- aus, daſs die Seelen der Nachtwandler zur Zeit des Anfalls auswanderten. Allein ſchwerlich möchten die Emigranten dann zurückkehren. Vielmehr ſcheint es, daſs die aufgehobne Syn- theſis ihres Bewuſstſeyns in der genauſten Paral- lele ſtehe mit der aufgehobnen Verknüpfung, die die Getriebe der Organiſation im Gehirn haben.
*)Muratori über die Einbildungskraft des Men- ſchen, mit Zuſätzen von Richerz, Leipzig 1785. 1ſter Theil, S. 306.
**) Antient Metaphyſics, London 1782. Mura- tori l. c. 1ſter Theil, S. 353.
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[66/0071]
Geſichts. Dennoch bringen ſtarke Reize auf
daſſelbe ihn nicht zum Erwachen, ſondern er
entflieht oder ſchlägt um ſich. Der Bediente des
berühmten Nachtwandlers A. Forari rieth den
Zuſchauern der nächtlichen Actionen ſeines Herrn
leiſe zu gehn und nicht zu reden, weil er wü-
thend würde, wenn ein um ihn her entſtandenes
Geräuſch ſich in ſeine Träume miſchte *). Die
Urſache davon iſt die, daſs dieſe Reize dem
Nachtwandler fremd ſind, weil ſie nicht in das
Luftgebilde ſeiner Phantaſie paſſen. Er hält ſie
für Ungeheuer, die er zu bekämpfen, oder denen
er zu entfliehen ſucht. Eben dieſe Kranken, die
in gewiſſen Beziehungen ein ſo äuſserſt zartes Ge-
fühl haben, ſind gegen andere Reize ſo gefühllos,
daſs man ihnen, wie Monboddo **) beobach-
tet hat, eine Nadel in den Arm ſtechen kann,
ohne daſs ſie Schmerz äuſsern. Er folgert hier-
aus, daſs die Seelen der Nachtwandler zur Zeit
des Anfalls auswanderten. Allein ſchwerlich
möchten die Emigranten dann zurückkehren.
Vielmehr ſcheint es, daſs die aufgehobne Syn-
theſis ihres Bewuſstſeyns in der genauſten Paral-
lele ſtehe mit der aufgehobnen Verknüpfung, die
die Getriebe der Organiſation im Gehirn haben.
*) Muratori über die Einbildungskraft des Men-
ſchen, mit Zuſätzen von Richerz, Leipzig
1785. 1ſter Theil, S. 306.
**) Antient Metaphyſics, London 1782. Mura-
tori l. c. 1ſter Theil, S. 353.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/71>, abgerufen am 26.11.2024.
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