Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

transitorische Wechsel und in demselben der
Grund unserer fortschreitenden Metamorphosen.
So wälzt sich die Erde um ihre eigene Axe und
giebt uns Morgen und Abend verjüngt zurück,
die sie uns raubte, schreitet aber bey diesen pe-
riodischen Umwälzungen immer vorwärts auf
ihrer Reise um die Sonne. So auch ihre Söhne;
nur mit dem Unterschied, dass sie ihre Reise nie
wiederholen, wenn sie einmal am Ziele sind.

Die Bedingungen, welche dies nor-
male Bewusstseyn in der Organisation voraussetzt,
werde ich unten weitläuftiger anzeigen. Jetzt be-
merke ich bloss, dass das Nervengebäude das ein-
zige animalische Band ist, durch welches alle
übrigen Organe dynamisch verknüpft und auf
Vollendung eines Zwecks angewiesen sind.
In demselben müssen wir daher auch die Grund-
vesten des Selbstbewusstseyns aufsuchen. Jeder
Theil dieses ausgebreiteten Systems muss seine
Kraft, diese in richtigen Verhältnissen besitzen
und mit dem Hauptbrennpunkt des Gehirns zu-
sammenstossen, damit sie alle, der Norm gemäss,
sich auf einander beziehn und eine freie Wechsel-
wirkung unter sich handhaben können. Dann
kann jedes Getriebe für sich und hervorstechend
wirken, aber auch schnell, nach freier Willkühr,
wieder zur Ruhe gebracht und ein anderes, nach
einer bestimmten Regel, erregt werden. Dann
kann die nöthige Mannichfaltigkeit der Vorstel-
lungen, Associationen, Willensfunktionen und

tranſitoriſche Wechſel und in demſelben der
Grund unſerer fortſchreitenden Metamorphoſen.
So wälzt ſich die Erde um ihre eigene Axe und
giebt uns Morgen und Abend verjüngt zurück,
die ſie uns raubte, ſchreitet aber bey dieſen pe-
riodiſchen Umwälzungen immer vorwärts auf
ihrer Reiſe um die Sonne. So auch ihre Söhne;
nur mit dem Unterſchied, daſs ſie ihre Reiſe nie
wiederholen, wenn ſie einmal am Ziele ſind.

Die Bedingungen, welche dies nor-
male Bewuſstſeyn in der Organiſation vorausſetzt,
werde ich unten weitläuftiger anzeigen. Jetzt be-
merke ich bloſs, daſs das Nervengebäude das ein-
zige animaliſche Band iſt, durch welches alle
übrigen Organe dynamiſch verknüpft und auf
Vollendung eines Zwecks angewieſen ſind.
In demſelben müſſen wir daher auch die Grund-
veſten des Selbſtbewuſstſeyns aufſuchen. Jeder
Theil dieſes ausgebreiteten Syſtems muſs ſeine
Kraft, dieſe in richtigen Verhältniſſen beſitzen
und mit dem Hauptbrennpunkt des Gehirns zu-
ſammenſtoſsen, damit ſie alle, der Norm gemäſs,
ſich auf einander beziehn und eine freie Wechſel-
wirkung unter ſich handhaben können. Dann
kann jedes Getriebe für ſich und hervorſtechend
wirken, aber auch ſchnell, nach freier Willkühr,
wieder zur Ruhe gebracht und ein anderes, nach
einer beſtimmten Regel, erregt werden. Dann
kann die nöthige Mannichfaltigkeit der Vorſtel-
lungen, Aſſociationen, Willensfunktionen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0066" n="61"/>
tran&#x017F;itori&#x017F;che Wech&#x017F;el und in dem&#x017F;elben der<lb/>
Grund un&#x017F;erer fort&#x017F;chreitenden Metamorpho&#x017F;en.<lb/>
So wälzt &#x017F;ich die Erde um ihre eigene Axe und<lb/>
giebt uns Morgen und Abend verjüngt zurück,<lb/>
die &#x017F;ie uns raubte, &#x017F;chreitet aber bey die&#x017F;en pe-<lb/>
riodi&#x017F;chen Umwälzungen immer vorwärts auf<lb/>
ihrer Rei&#x017F;e um die Sonne. So auch ihre Söhne;<lb/>
nur mit dem Unter&#x017F;chied, da&#x017F;s &#x017F;ie ihre Rei&#x017F;e nie<lb/>
wiederholen, wenn &#x017F;ie einmal am Ziele &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Bedingungen</hi>, welche dies nor-<lb/>
male Bewu&#x017F;st&#x017F;eyn in der Organi&#x017F;ation voraus&#x017F;etzt,<lb/>
werde ich unten weitläuftiger anzeigen. Jetzt be-<lb/>
merke ich blo&#x017F;s, da&#x017F;s das Nervengebäude das ein-<lb/>
zige animali&#x017F;che Band i&#x017F;t, durch welches alle<lb/>
übrigen Organe dynami&#x017F;ch verknüpft und auf<lb/>
Vollendung <hi rendition="#g">eines</hi> Zwecks angewie&#x017F;en &#x017F;ind.<lb/>
In dem&#x017F;elben mü&#x017F;&#x017F;en wir daher auch die Grund-<lb/>
ve&#x017F;ten des Selb&#x017F;tbewu&#x017F;st&#x017F;eyns auf&#x017F;uchen. Jeder<lb/>
Theil die&#x017F;es ausgebreiteten Sy&#x017F;tems mu&#x017F;s &#x017F;eine<lb/>
Kraft, die&#x017F;e in richtigen Verhältni&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;itzen<lb/>
und mit dem Hauptbrennpunkt des Gehirns zu-<lb/>
&#x017F;ammen&#x017F;to&#x017F;sen, damit &#x017F;ie alle, der Norm gemä&#x017F;s,<lb/>
&#x017F;ich auf einander beziehn und eine freie Wech&#x017F;el-<lb/>
wirkung unter &#x017F;ich handhaben können. Dann<lb/>
kann jedes Getriebe für &#x017F;ich und hervor&#x017F;techend<lb/>
wirken, aber auch &#x017F;chnell, nach freier Willkühr,<lb/>
wieder zur Ruhe gebracht und ein anderes, nach<lb/>
einer be&#x017F;timmten Regel, erregt werden. Dann<lb/>
kann die nöthige Mannichfaltigkeit der Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen, A&#x017F;&#x017F;ociationen, Willensfunktionen und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0066] tranſitoriſche Wechſel und in demſelben der Grund unſerer fortſchreitenden Metamorphoſen. So wälzt ſich die Erde um ihre eigene Axe und giebt uns Morgen und Abend verjüngt zurück, die ſie uns raubte, ſchreitet aber bey dieſen pe- riodiſchen Umwälzungen immer vorwärts auf ihrer Reiſe um die Sonne. So auch ihre Söhne; nur mit dem Unterſchied, daſs ſie ihre Reiſe nie wiederholen, wenn ſie einmal am Ziele ſind. Die Bedingungen, welche dies nor- male Bewuſstſeyn in der Organiſation vorausſetzt, werde ich unten weitläuftiger anzeigen. Jetzt be- merke ich bloſs, daſs das Nervengebäude das ein- zige animaliſche Band iſt, durch welches alle übrigen Organe dynamiſch verknüpft und auf Vollendung eines Zwecks angewieſen ſind. In demſelben müſſen wir daher auch die Grund- veſten des Selbſtbewuſstſeyns aufſuchen. Jeder Theil dieſes ausgebreiteten Syſtems muſs ſeine Kraft, dieſe in richtigen Verhältniſſen beſitzen und mit dem Hauptbrennpunkt des Gehirns zu- ſammenſtoſsen, damit ſie alle, der Norm gemäſs, ſich auf einander beziehn und eine freie Wechſel- wirkung unter ſich handhaben können. Dann kann jedes Getriebe für ſich und hervorſtechend wirken, aber auch ſchnell, nach freier Willkühr, wieder zur Ruhe gebracht und ein anderes, nach einer beſtimmten Regel, erregt werden. Dann kann die nöthige Mannichfaltigkeit der Vorſtel- lungen, Aſſociationen, Willensfunktionen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/66
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/66>, abgerufen am 27.11.2024.